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Der Bedarf ist groß, aber das Angebot könnte reichhaltiger sein. Gute Weihnachtsgedichte findet man nicht so leicht. Natürlich, es gibt die alten Lieder und klassische Verse wie die von Theodor Storm (der Weihnachten innigst liebte, zur Religion jedoch deutlich Abstand hielt). Aber in der modernen Literatur? Da hat man sich mit Weihnachten eher nicht befasst. Nun habe ich in diesem Jahr ein sehr schönes Weihnachtsgedicht eines großen Dichters des 20. Jahrhunderts gefunden.
Jan Skácel (1922-1989) gehört zu den bedeutendsten Autoren des modernen Tschechien. Während der kommunistischen Diktatur hielt er sich gerade und veröffentlicht nur im Untergrund oder im Ausland. Zum Glück fand er in Reiner Kunze einen Freund, der seine Gedichte übersetzte und im deutschen Sprachraum bekannt machte. Es braucht solche Brückenbauer, weil man in Deutschland zu sehr nach Westen starrt und die kulturellen Schätze der östlichen und südöstlichen Nachbarn zu oft übersieht.
Im Göttinger Wallstein-Verlag gibt es eine feine, konzentrierte Auswahl seiner Gedichte und Prosastücke mit dem wunderbaren Titel "Für alle die im Herzen barfuß sind", herausgegeben von Peter Hamm, mit vielen Übersetzungen von Reiner Kunze. Das Weihnachtsgedicht, das ich am Ende dieses langen Jahres allen ans Herz lege, hat Felix Philipp Ingold übersetzt.
Johann Hinrich Claussen und der Schriftsteller David Wagner über Weihnachten
Da es einen beim Lesen so direkt und doch überraschend anspricht, kann ich mir längliche literaturgeschichtliche Einführungen und theologische Deutungen ersparen. Stattdessen bedanke ich mich mit diesem lyrischen Fund bei allen, die meinen "Kulturbeutel" immer wieder mal aufgemacht haben und bei der Redaktion, die ihn so freundlich in Schuss hält. Nun aber, Jan Skácels "Weihnachten für Erwachsene":
Mit kindlicher Freude werden wir uns die Hände wärmen
wir werden lächeln und sagen
Weihnacht ist da
derweil der Frost mit weißem Faden all das Abgetragene
säumen wird
das ausgefranst ist in den langen Jahren
Ein wenig werden wir heiter sein
und ein wenig werden wir trauern
und ein wenig belustigt sein über uns selbst
und die Stille wird ihre zehn Finger ausstrecken
nach unsern Gesichtern
und wird herunterfrieren in die menschenleeren Straßen
Und die warmen Arme der Weihnachtsbäumchen
werden zu den Fenstern drängen wenn die Kinderlosen
nach dem Abendessen noch spazieren gehen
und sich bei den Händen halten
und einer des andern Kind ist
Und jeder von den beiden
wird der Erwachsene sein wollen
und sich um den andern kümmern
denn draußen ist’s eisglatt
und drinnen ist Weihnacht
Wallstein Verlag, 20 Euro