In einem unscheinbaren Wohnhaus mit der Adresse "Am Hauptbahnhof 4" lebte Oskar Schindler von 1965 bis 1974. In der Zeit des Nationalsozialismus rettete er über 1200 Juden vor dem Tod in Auschwitz und anderen Lagern. So steht es auf der Gedenktafel an der Hauswand. Sie wurde 1996 angebracht. 2022 beschloss der zuständige Frankfurter Ortsbeirat, den Bahnhofsvorplatz nach Oskar und Emilie Schindler zu benennen. Der 9. Oktober 2024 wäre ein gutes Datum dafür gewesen. An diesem Tag vor 50 Jahren ist Oskar Schindler gestorben. Doch bislang ist nichts daraus geworden.
Wer war dieser Mann, den Steven Spielberg mit "Schindlers Liste" weltberühmt machte? Warum strandete er nach dem Krieg im Frankfurter Bahnhofsviertel?
Es gab eine Zeit in meinem journalistischen Leben, da ist mir Oskar Schindler sehr nahgekommen. So nah, dass ich abends die Tür zu meinem Arbeitszimmer zumachte, um ihn auf Abstand zu halten. Das war 1999. Ich wohnte mit meinem damaligen Freund Stefan Braun, einem Redakteur der Stuttgarter Zeitung, in Stuttgart. Durch Zufall sind wir mit einem Ehepaar in Kontakt gekommen, das uns von Schindler erzählte. Und von einem Nachlasskoffer, den sie beim Auflösen des Haushalts der Eltern auf dem Dachboden gefunden hatten. Die Eltern seien mit Schindler eng befreundet gewesen, vor allem die Mutter habe ein enges Verhältnis zu ihm gehabt. Sie hatte den Judenretter 1970 am Strand in Tel Aviv kennengelernt. Schindler hatte sich die Füße im heißen Sand verbrannt, sie half mit einer kühlenden Creme. In den letzten Jahren vor seinem Tod verbrachte Schindler immer wieder Wochen und Monate in Hildesheim, hatte sogar ein eigenes kleines Zimmer in der Wohnung des Paares.
Beim nächsten Treffen brachte das Paar den Nachlasskoffer mit. Die beiden wollten, dass wir ihn auswerten und darüber schreiben, damit die Welt erfährt, wie es Schindler nach dem Krieg in Deutschland ergangen ist. Ich hatte 1994 "Schindlers Liste" im Kino gesehen und war beeindruckt. Aber würde sich irgendwer für sein Nachkriegsleben interessieren? Wir bezweifelten es. Der schmucklose graue Samsonite-Koffer mit dem Anhänger "O. Schindler" stand ein halbes Jahr an unserer Garderobe, wir übersahen ihn, anderes war wichtiger. Erst als das Ehepaar drohte, den Koffer dann doch direkt der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel zu geben, nahmen wir uns Zeit und öffneten ihn.
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