Careleaver - ein Verein für ehemalige Heim- und Pflegekinder
Sie wissen, was sie durchlebt haben
Über 200.000 Kinder wachsen in Deutschland in Heimen, Pflegefamilien oder Wohngruppen auf. Was wird, wenn sie zu alt für die Jugendhilfe sind? Im Verein Careleaver stärken sie sich gegenseitig
Mitglieder des Vereins Careleaver bei einem Netzwerktreffen. Laura Brüchle, vorne Mitte/rechts fast kniend, mit schwarzem Oberteil
Mitglieder des Vereins Careleaver bei einem Netzwerktreffen. Laura Brüchle, vorne Mitte/rechts fast kniend, mit schwarzem Oberteil
Careleaver
Tim Wegner
21.08.2024
2Min

Laura Brüchles Kindheit war krass - das sagt sie selbst. Ihre ersten Lebensjahre verbrachte sie mit der alleinerziehenden Mutter, mehreren Geschwistern von unterschiedlichen Vätern in einem chaotischen Haushalt: "Mit fünf Jahren hat mich meine Mutter aus der Vorschule nach Hause gerufen, weil ich ihr bei der Geburt meiner Schwester helfen sollte." Ein fünfjähriges Mädchen als Geburtshelferin?

Eine aufmerksame Nachbarin alarmierte das Jugendamt und schon bald stand ein Auto vor der Tür. Innerhalb weniger Minuten musste Laura ihre Lieblingsspielsachen packen. Sie wusste weder, wohin es ging, noch wie lange. Es folgten: Übergangspflegefamilie für zwölf Wochen; Dauerpflegefamilie für einige Jahre, Wohngruppe. Mit 18 Jahren, noch vor dem Abitur, Auszug in eine eigene kleine Wohnung.

Junge Erwachsene, die in Pflegefamilien, Wohngruppen oder im Heim aufgewachsen sind, fällt es manchmal schwer, ihren Weg zu finden. Viele sind auf sich gestellt. Laura fand Hilfe beim Verein Careleaver e.V. "Careleaver" - so heißen die Menschen, die die Fürsorge für ein eigenständiges Leben verlassen. Im Verein helfen sie einander, feiern gemeinsam Weihnachten, treffen sich zu Workshops, und in besonders schwierigen Situationen gibt es auch Geld aus dem Notfallfonds.

Mit 16 nahm Laura an einem Netzwerktreffen teil und konnte zum ersten Mal frei mit anderen über ihre Kindheit und Jugend reden. Mit Leuten, die wissen, was eine "Inobhutnahme" ist, raus aus der Familie, weg von Mutter und Geschwistern. Wie es ist, wenn eine "Amtsvormündin" bestimmt, wo du die nächsten Jahre deines Lebens leben wirst. Wie toll staatliche Jugendhilfe oft ist - und oft auch nicht. Das Reden, "das war großartig", erinnert sich Laura.

Der Verein wird vom Bundesfamilienministerium unterstützt und hat mittlerweile über 200 Mitglieder. Zielgruppe sind neben Menschen wie Laura auch Jugendhilfeorganisationen und Vereine. Am wichtigsten sind Infos und Austausch, kommuniziert wird über Whatsapp-Gruppen oder in Arbeitsgemeinschaften. Welche Rechte haben junge Careleaver, was können sie voneinander lernen?

Heute hat Laura, Jahrgang 1998, einen Studienabschluss in Sozialer Arbeit, sie lebt zusammen mit ihrem Freund. Der Austausch mit Schicksalsgenossinnen und -genossen gehört zu ihrem Leben. Auch beruflich. Als "Netzwerkreferentin" arbeitet Laura in Teilzeit bei dem Verein. Sie hat sich mühsam beigebracht, mit eigenem Geld zu haushalten. Das kann sie jetzt gut, auch beruflich. Sie weiß: Ein Netzwerktreffen für 20 bis 30 Menschen beispielsweise kostet 5000 Euro.

Ab 16 darf man bei Careleaver e.V. mitmachen (wenn die Erziehungsberechtigten zustimmen), nach oben gibt es keine Grenze. Längst kommen auch 50+-Careleaver. Und das ist gut so, sagt Laura. Eine Careleaverin ist sie ihr Leben lang.

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