llustration: Eine Hand berührt den Screen eine Handys. Dort zu sehen sind Personen bei eine Trauerfeier
Julia Hosse
Digitale Trauer
Kann man online Abschied nehmen?
Auch der Bestattungs­sektor wird zunehmend digitalisiert und bietet Trauernden neue Möglichkeiten, etwa die Teilnahme an Beerdigungen per Livestream. Und siehe, es funktioniert. Irgendwie
06.08.2024
5Min

Ping! Auf meinem Bildschirm ploppt das Live­stream-Fenster auf. Zuerst unscharf und ­verwackelt, dann ganz klar und deutlich sehe ich eine Kirche, einen Altar. Weiße Lilien links und rechts. Sie umrahmen eine kleine, unscheinbare Urne – ein Holzkästchen, vielleicht zehn mal zwanzig Zentimeter groß. Plötzlich knacken meine Laptop-Lautsprecher, dann höre ich Rascheln und gedämpfte Schritte. Die Holzbänke füllen sich langsam. Ich bin auf einer Beerdigung, einer richtigen Beerdigung – und das zu Hause an meinem Schreibtisch.

Als Austauschschülerin habe ich ein Jahr lang bei einer Familie in Polokwane, einer Stadt im Norden Südafrikas, gelebt. Seitdem war ich nur zweimal wieder dort, aber über Whatsapp halte ich Kontakt zu meinen Gasteltern und meiner Gastschwester, gratuliere zum Geburtstag, schicke Grüße zu den meisten Feiertagen und tausche auch mal zwischendurch Nachrichten aus. So wurde ich auch vor zwei Tagen zum Livestream der Beerdigung von Oumie, meiner Gastgroßmutter, eingeladen.

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Im englischsprachigen Ausland sind Live­übertragungen von Bestattungen bereits weit verbreitet. Seit der Corona-Pandemie bieten auch in Deutschland immer mehr Bestattungs­häuser diesen Service an. Während der Zeremonie werden die Trauerfeier und Beisetzung gefilmt, und geladene Gäste können über einen Link daran teilnehmen.

Mir war sofort klar, dass ich dabei sein will. Als ich von Oumies Tod erfuhr, wäre ich am liebsten auf der Stelle in das nächste Flugzeug gestiegen, um die Familie zu unterstützen. Doch die große Entfernung ließ das nicht zu. Über 10 000 Kilometer trennen ­meine Heimat­stadt Berlin von den Menschen, die mir ­damals so sehr ans Herz gewachsen sind.

Oumie war eine stattliche Frau, stets in lange Blumen­röcke gekleidet und mit einer Tasse süßen, milchigen Tees in der Hand. Dass sie jetzt in dieser kleinen Holzkiste ­stecken soll, kann ich mir nur schwer vorstellen. Ich sehe meiner Gastfamilie zu, wie sie sich in die vordere Bank­reihe setzt – Mutter, Vater, Kinder und Enkelkinder. Sie ­alle haben sich schick gemacht. Ihre Blicke sind nach vorne gerichtet, sie wispern nur leise, als das jüngste Enkelkind von der Bank aufspringt. Mein Blick löst sich von der Szene auf meinem Bildschirm. Ich trage mein Homeoffice-­Outfit, Leggings und einen Pulli. Auf meinem Schreibtisch steht die Müslischale vom Morgen, und neben mir liegen Notizzettel vom Meeting mit einem Kunden vorhin. Ich fühle mich fehl am Platz, voyeuristisch und allein.

Plötzlich bricht der Livestream ab. Das Laderädchen dreht und dreht und dreht sich, ich aktualisiere den Tab immer wieder, bis ich nach ein paar Minuten wieder den Altar sehen kann. Jetzt höre ich auch lauten Gesang, das hätte Oumie gefallen. Die Unterbrechung scheint auch die anderen Zuschauenden aufgeweckt zu haben. ­Kommentare tauchen im Chatfenster auf: "We will miss you Oumie", "I am watching from Namibia. She was such a lovely lady", "Thank you for sharing this very special service with us" und einige weitere. Ich verteile Herzchen, schreibe auch einen Kommentar und fühle mich schon weniger einsam.

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Die Trauergäste erheben sich und verlassen in ­Grüppchen die Kirche. Ich sehe, wie meine­ Gastschwester mit geröteten Augen auf mich zugeht. Ich möchte sie umarmen, aber sie verschwindet aus meinem Blickfeld. Dann wackelt es und auch ich verlasse jetzt die Kirche. Ich höre meine Gastschwester nah am Mikrofon schluchzen. Mit einem Kloß im Hals rücke ich dichter an meinen Bildschirm, als könnte ich ihr dadurch näher sein. Nun laufen auch meine Tränen, auf die Tastatur. Ich lehne mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und greife nach einem zusammengeknüllten Taschentuch.

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Draußen gehen wir einen steinigen, schmalen Weg entlang auf eine Urnenwand zu. Einige der Nischen sind offen und leer, andere sind mit Gedenkplatten versiegelt. Ich beobachte, wie mein Gastvater die Urne mit der Asche seiner Mutter auf die Wand zuträgt und sie in ein Fach stellt, um das ­Blumen gesteckt sind. Einige der Trauergäste berühren die Urne zum Abschied. Allmählich begreife ich besser, dass Oumie wirklich tot ist, dass ich sie bei meinem nächsten Besuch nicht sehen werde.

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