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Der "Kulturbeutel" geht in die Ferien. Aber nicht, ohne zuvor die geschätzten Leserinnen und Leser mit einem besonders geliebten Gedicht zu beglücken. Geschrieben hat es der inzwischen ziemlich vergessene Detlev von Liliencron (1844-1909).
Liliencron einen vergessenen Dichter zu nennen, wäre weder originell noch aufschlussreich. In Zeiten des digitalen Gedächtnisschwundes sind alle alten Dichter und Dichterinnen vergessen (die neuen werden gar nicht erst zur Kenntnis genommen). Deshalb erinnert diese digitale Kolumne gelegentlich an diesen oder jene. Bei Liliencron lohnt es sich besonders. Literaturgeschichtlich war er bedeutsam, weil er den Naturalismus als Stilrichtung mitbegründet hat. Unabhängig davon haben sich nicht alle, aber doch erstaunlich viele seiner Gedichte eine natürliche Frische und Lebendigkeit bewahrt. Da ist immer noch ein Schwung, eine Lust, eine Freude in seinen Versen zu spüren.
Am liebsten von allen ist mir seine "Dorfkirche im Sommer". Ich kenne kein anderes Gedicht, das so präzise, witzig und doch respektvoll von einem ganz normalen Sonntagsgottesdienst erzählt und dies mit einem so bezaubernden Rhythmus, so schönen Reimen – weshalb ich es auswendig kenne (was ich leider von viel zu wenigen Gedichten sagen kann):
Dorfkirche im Sommer
Schläfrig singt der Küster vor,
Schläfrig singt auch die Gemeinde.
Auf der Kanzel der Pastor
Betet still für seine Feinde.
Dann die Predigt, wunderbar,
Eine Predigt ohnegleichen.
Die Baronin weint sogar
Im Gestühl, dem wappenreichen.
Amen, Segen, Türen weit,
Orgelton und letzter Psalter.
Durch die Sommerherrlichkeit
Schwirren Schwalben, flattern Falter.
PS: Im September ist der Kulturbeutel wieder da