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Einen Teil meines Studiums absolvierte ich in Paris. Mein erstes "Chambre de Bonne", eine winzige, ehemalige Dienstmädchen-Mansarde ganz oben in einem herrschaftlichen Haus, lag in der Nähe der Champs-Élysées. Oft ging ich dort spazieren und kam am Grand Palais vorbei. Ein beieindruckender Glaskuppelbau von gut 240 m Länge, errichtet zwischen 1897 und 1900 für die Weltausstellung zur vorletzten Jahrtausendwende.
Für mich war dieser Bau ein Symbol für die immer wieder selbst beanspruchte Großartigkeit der "Grande Nation". So etwas Prachtvolles kannte ich aus meiner, damals noch BRD genannten, Heimat nicht.
Ich sah im Grand Palais Kunstausstellungen, dort gab und gibt es Auto- und Modeschauen, Konzerte, seit 2010 sogar ein Springreitturnier - und jetzt auch die Fechtwettkämpfe der Olympischen Spiele Paris 2024.
Nachhaltiger sollen diese Spiele sein, gar "bescheiden", möglichst wenig CO² verbrauchen und in Summe ein Gewinn für die Bevölkerung.
Nun ja - das Grand Palais ist nicht neu gebaut, ebenso wenig wie die Pont d'Iéna oder der Place de la Concorde, alle drei Austragungsorte von Sportarten wie Fechten, Leichtathletik, Breaking oder Skateboard. Bestehendes wird genutzt und tatsächlich sinkt dadurch die Umweltbelastunten für die Spiele erheblich.
Angestrebt ist in Summe die Halbierung des Co²-Verbrauchs um 50 Prozent im Vergleich zu Vorgängerspielen wie London (2012) oder Rio (2016).
Aber vieles, sehr vieles wird eben auch neu gebaut - so wie die provisorischen Tribünen, Plätze und Arenen, ob nun im Grand Palais fürs Fechten oder am Place de la Concorde der Hindernisparcours für die BMX-Räder. Millionen Menschen reisen für die Spiele an - per Flugzeug. Die Surfwettkämpfe finden auf Haiti statt. Zehntausende von Soldaten und Polizisten sichern die Spiele. All das kostet Millionen an Euro und kann überhaupt nicht klimaneutral sein.
Zusammengefasst wird das Pro- und Contra der "nachhaltigen" olympischen Spiele von Paris in diesem Video von der Bundeszentrale für Politische Bildung, bzw. dem Magazin Fluter: Fein französisch lobt die Direktorin für "Wirksamkeit und Vermächtnis Paris 2024" (so einen Titel kann es auch nur in Frankreich geben) die ökologischen und sozial verträglichen Spiele; genauso fein französisch beschreibt der Architekturkritiker den wiederkehrenden Etikettenschwindel bei den olympischen Spielen: Jedes Mal von Neuem würden Olympisches Komitee und Gastland nachhaltige Spiele versprechen; und jedes Mal von Neuem bezahlten am Ende die Bürgerinnen und Bürger des jeweiligen Staates die Zeche.
Hier in der Wohnlage geht es vor allem ums Bauen. Beeindruckt hat mich in diesem Kontext der Bürgermeister Karim Bouamrane im Pariser Vorwort Saint-Ouen-sur-Seine. In einer ARD-Langzeitdoku kommt er bei einer Pressekonferenz zu Wort. Mit Pathos und Trikolorenschärpe erinnert der Sohn marokkanischer Einwanderer an seine Kindheit: Nur wenige Meter entfernt von der Stelle, wo jetzt das nagelneue olympische Dorf stehe, sei er in einer "Hütte, wie in einer Favella" aufgewachsen. Nun freut er sich über die Neubauten, von denen ein Großteil später zu Sozialwohnungen umgewidmet werden soll. Hoffen wir mal, dass das wahr wird, nicht die klassische Richtung der Gentrifizierung einschlägt, und am Ende Kinder, wie Karim Bouamrane es einst war, weiter raus in den Vorstadtgürtel von Paris verdrängt werden.
So - nun aber Schluss. Ich muss zur Mediathek umschalten. Dort finden gerade die Dressurwettkämpfe zu Pferde statt; im Park von Versailles. Den gibt es auch schon ziemlich lange und wird es nach den Spielen hoffentlich noch lange geben. Hier hat schon der Sonnenkönig seine Pferde tanzen lassen. Sehr viel prächtiger geht es nicht. Wie heißt es so schön: Bescheidenheit ist eine Zier... La Grande Nation eben!
PS: Die Wohnlage geht jetzt in die Sommerpause und ist im September wieder da.