Europawahl
Deshalb gehe ich wählen!
Im EU-Parlament gehts um die großen Fragen. Die Antworten sollten wir nicht den Demokratiefeinden überlassen
UTILISEZ VOTRE VOIX-USE YOUR VOTE- NUTZE DEINE STIMME. Transparent an der Außenfassade des Europaparlaments in Straßburg vor der Europawahl im Juni
Transparent an der Außenfassade des Europaparlaments in Straßburg
Winfried Rothermel/picture alliance
Patrick Desbrosses
05.06.2024

Vor wenigen Wochen schickte mir ­jemand ein KI-generiertes Video. In dem sitzt ein kleines Mädchen auf einer futuristisch ­wirkenden Veranda neben einer älteren Frau und fragt: "Oma, was war noch mal dieses Deutschland?" Oma fängt an zu erzählen, sagt, dass Deutschland mal eine Demokratie war, dass es ­Wah­len gab. Dann beschreibt sie den Verfall, den Niedergang ­dieses Landes. Erzählt von Vertreibung, ­Vereinsamung, Krise. Sie erzählt, dass sie, als es nichts mehr gab, ­schließlich auch von dort wegging. Die Erzählung wird düster ­bebildert. Das Video zeichnet eine Dystopie, einen düsteren Blick in die Zukunft. In der Beschreibung des Videos steht: "Wir haben es zu Ende gedacht."

Mein erster Impuls war: nett gemacht, krass, was KI-generierte Videos auch an Emotionalität vermitteln können, aber ein bisschen drüber, so was wird niemals eintreten.

Wenige Tage danach schickte mir die ­gleiche Person noch ein Video. In dem ­sitzen ältere Menschen vor Kameras in einem ­Studio. Der Schriftzug "Eine Botschaft für mein ­Enkelkind. Und für den Rest von ­Europa" wird eingeblendet. Die älteren Menschen sprechen Menschen in meinem Alter an – ihre Enkel­kinder. Sie erzählen von ihren Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg, in Diktaturen, sie erzählen von Deportationen, Um­stürzen und Demokratiebewegungen. Sie sagen deutlich: "Man sollte die Demokratie nie als selbstverständlich ­an­sehen, man sollte sich immer für sie einsetzen." Sie er­innern daran, dass Freiheit und Demokratie nicht immer da ­waren und wir sie sehr schnell verlieren können. Sie geben uns allen mit: "Passt gut auf die Demokratie auf, wenn ich nicht mehr bin." Das, was sie berichten aus ihrer ­Vergangenheit, ist keine Erfindung von KI, sondern war Realität. Sie ­haben es selbst erlebt. Das Kurzvideo ist Teil der Kampagne #NutzeDeineStimme des Europäischen Parlaments und macht auf die am 9. Juni stattfindende Europawahl aufmerksam.

Niemand kann wollen, dass sich unsere dunkelste Geschichte wiederholt, und niemand kann wollen, dass die Prophe­zeiungen aus dem dystopischen KI-generierten ­Video wahr werden. Und doch: Rechtsextremismus ist wieder ein Problem in Europa. In fast allen Ländern ­haben rechtsextreme Kräfte im Vergleich zur letzten Wahl ordent­lich zugelegt. Und zu nahezu allen ganz großen und ­wichtigen Fragen, die im Raum stehen, ­nehmen sie die schlechteste aller denkbaren Posi­tionen ein. Während viele andere Parteien um die besten demokratischen Lösungen ringen, ­nutzen sie die ganze Un­sicherheit als Nähr­boden, um vor allem dort, wo Menschen ­gerade be­sonders verunsichert sind, Hass zu säen. Sie säen das Gefühl, dass wir mit unseren unterschiedlichen, aber doch auch oft geteilten Werten nicht mehr zusammen­kommen können. Sie erzeugen Spaltung.

Den meisten von uns scheint im Alltag die EU vermutlich nicht besonders relevant. Nicht umsonst ist die Wahlbeteiligung bei EU-­Wahlen so niedrig. Fragt man Menschen danach, was ­Europa für sie tut, kommen oft genug skurrile Normen für Bananenkrümmung und Gurkenlängen – die sind ­immer für einen Lacher gut. Aber tatsächlich werden auf euro­päischer Ebene die großen Fragen unserer Zeit verhandelt: Wie können wir die Klimakrise lösen? Wie gehen wir mit denen um, die unseren Schutz suchen? Wie können wir unsere Gesellschaften zukunftssicher machen – wirtschaftlich stabil und innovationsorientiert, aber zugleich sozial und inklusiv? Und heute so wichtig wie schon ­lange nicht mehr: Wie schützen wir unsere Demokratien vor ­Aggressoren?
Das sind Dinge, die uns alle angehen – und deshalb gehe ich am 9. Juni wählen.

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Ockenga.
Sehr geehrte Frau Heinrich!
Es geht auch um die Werte, die langfristig die Zukunft tragen können. Ob die alten Werte noch tragen können, ist zu bezweifeln, wenn der Babel-Turm der Zivilisation schwach wird. Irgendwann lässt die Tragfähigkeit der alten Werte und Fundamente nach. Das olympische Prinzip von immer schneller, höher und weiter trägt nicht unendlich. Mit welchen gesellschaftlichen und religiösen Werten kann denn dann die nahe Zukunft (100 Jahre?) geleitet werden? Da müsste die Verantwortung aller Wertewächter doch rechtzeitig beginnen. Die Frage den Autoren von Science-Fiction zu überlassen wäre bequem aber einfach.
MfG Ockenga

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Ich gehe nicht wählen, weil gerade der Krieg und die wettbewerbsbedingten Provokationen gegen Russland, China und dem "Rest der Welt" klar bekunden, dass die leichtfertig durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck gewählten "Verantwortungsträger" nur bewusstseinsbetäubt-erfolgsüchtige "Treuhänder" des parlamentarisch-lobbyistischen Marionetten-Theaters sind, Demokratieverständnis ist etwas anderes, bzw. wird erst wirklich-wahrhaftig, wenn der zeitgeistlich-reformistische Kreislauf des imperialistisch-faschistischen Erbensystems und die heuchlerisch-verlogene Schuld- und Sündenbocksuche zweifelsfrei-eindeutig zur Vernunft eines globalen Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden" wird und das ganzheitlich-ebenbildliche Wesen Mensch gottgefällig gestaltet.

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Die Propaganda, mit der das Stimmvieh zur Wahl getrieben wird, stützt sich auf die Behauptung, die Wahl sei das Mittel der Wähler. Stimmt das?

Wenn der Mehrheitswähler von seiner Abgeordneten verlangt, sie möge nicht die Rente kürzen oder sie möge nicht die Flüchtlinge im Mittelmeer absaufen lassen, bekommt er vom Büro der Abgeordneten den folgenden Textbaustein: Sehr geehrter Wähler! Ich bedanke mich für Ihre Stimme und Ihr Vertrauen. Ich finde Ihre Wünsche sehr bedenkenswert. Als Abgeordnete bin ich aber an das Gemeinwohl und mein Gewissen gebunden. Deshalb muss ich leider manchmal Wünsche meiner Wähler enttäuschen.

Der Mehrheitswähler hat mit der Wahl also nichts in der Hand.

Kann der Minderheitenwähler erklären, dass er den von der Mehrheit gemachten Gesetzen nicht folgen wird, da er schließlich seine abweichende Meinung zum Ausdruck gebracht hat? Genau das kann er nicht, da in der Demokratie die Mehrheit der Wähler bestimmt, wer an die Macht kommt.

Der Minderheitenwähler hat mit der Wahl also nichts in der Hand.

Kann der Nichtwähler sich den Anspruch auf seinen Gehorsam verbitten mit dem Hinweis, dass er der wuchtigen Legitimationsmaschine namens Wahl vorsätzlich ferngeblieben ist? Genau das kann er nicht. Er bekommt gesagt, dass er ja hätte wählen gehen können und deswegen jetzt nichts zu meckern habe.

Auch der Nichtwähler hat mit der Wahl also nichts in der Hand.

Das Wahlvolk hat mit der Wahl nichts in der Hand. Die Wahl ist nicht das Mittel der Wähler. Die Wahl ist das Mittel der Gewählten. Weil die Wahl stattgefunden hat, sind die Gewählten legitimiert, Macht auszuüben.

Und die sowohl bei Demokraten wie auch Faschisten beliebte Drohung, man möge gefälligst sie wählen, weil sonst noch viel Schlimmere an die Macht kämen, könnte einem nun wirklich die Augen öffnen, was hier gespielt wird.

Aber lieber Augen zu und hinein ins Wahllokal!

Fritz Kurz

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Wir können die Entwicklung unserer Demokratie nicht deshalb loben,
und damit die politischen Kräfte, die aktuell am "Ruder" sind in Europa,
weil es höchstwahrscheinlich mit den Rechtsextremen
wie sie in Abgrenzung zu denen die jetzt Regieren aber fast schon genaus so handel wie die sog. Rechtsextremen,
noch schlimmer wird.
Das kann nicht das Ziel sein. Das ist demagogisch.
Es geht um Demokratie im Sinne von maximaler Transparenz, Bürgernähe und Gemeinwohlorientierung der Politik in der EU
sowie um die Sicherung der Errungenschaften wie die Freizügigkeit ohne Begrenzung und Missbrauch,
als auch um einheitliche Sozial-, Versicherungs- und Steuerstandards in der EU, so dass es da keinen Wettstreit mehr geben kann, wer am niedrigsten da liegt.
und auch um die Subsidarität vor Ort, so dass die Gemeinden ihre Handwerker nehmen dürfen und nicht in ganz Europa ausschreiben müssen.
Das sind Ziele, die die Gewählten umsetzen sollen, sofern man sie lässt und die Regierungschefs nicht am Parlament vorbei machen was sie wollen, wie oft jetzt,
und wir eine Kommissionspräsidentin haben, die korrupt ist, gegen die ermittelt wird, die die Aufklärung hinterteibt und eigentlich ins Gefängnis gehört.
Wenn das die Ziele für Demokratie in der EU sind, ist das o.k.
Da haben wir mit den Leuten, die da z.Z. an der Macht sind genug zu tun.
Da braucht keiner den Popanz der sog. Rec htsextremen aufzubauen.
Das lenkt nur, von interessierter Seite gewollt, vom Wesentlichen ab.

Wolfgang Schlenzig

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Sehr geehrte Frau Heinrich,
ich finde es begrüßenswert, dass Sie bei den Europawahlen wählen gehen. Es ist Ihnen natürlich auch unbenommen, überall in Europa "Rechtsextremisten" zu sehen. Dass es allerdings diese Menschen sind, die "Hass" säen, möchte ich bezweifeln. Hass gibt es leider auf allen Seiten. Es ist Ihnen sicher bekannt, dass AfD-Politiker am meisten körperlich angegriffen werden. Und was sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende in Niedersachsen dazu: "Körperliche Attacken auf Demokratinnen sind ein Angriff auf unsere Demokratie." Ich glaube, diesen Satz muss man nicht interpretieren. Und was sagt die Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland dazu? Nichts, und damit machen Sie sich schuldig.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Schikorr

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Liebe Frau Heinrich,

das war ein brillianter Artikel "Auf ein Wort", zu dem ich Sie beglückwünsche. Insbesondere der Einstieg "Oma, was war nochmal dieses Deutschland?" war cool. Das ist ein Thema, das uns nicht nur durch AfD und andere immer wieder aufgetischt wird. Die objektiven Zahlen und die fast einhellig negativen Berichte in den Medien (egal, welcher Couleur) bekräftigen das leider.

Ihre guten Argumente für eine Teilnahme an der Wahl sind richtig, aber vielleicht nicht "sexy" genug, weil sie leider so komplex sind. Ich weiss auch nicht, wie man die Dinge besser ausdrücken kann, aber ich werde wählen gehen - keine Frage!

Dank und Gruß

Claus Gielisch