Vor den großen Ställen in der Grafschaft Bentheim, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu den Niederlanden, mischt sich ein Hauch von Weltpolitik in die Landluft. Eine Gruppe von Jugendlichen aus der Ukraine ist an diesem Dienstagmorgen im August mit Albert Stegemann über den Hof gelaufen. Sie haben Kälbchen angeschaut und sich von dem großen, stämmigen Mann das Futtermonster erklären lassen, das Silage, Soja und Maismehl zu den Rindern fährt. Ein älterer Herr hat alles übersetzt. Albert Stegemann hält eine kurze Ansprache. "Die Welt steht an eurer Seite!", sagt er zum Schluss. "Und wollen wir noch ein Foto machen?"
Stegemann, 47 Jahre alt, hat zwei Berufe. Er ist Bauer und Politiker, seit 2013 sitzt er für die CDU im Bundestag. Außer Stegemann sind fünf weitere Landwirte im Parlament vertreten. Sechs von 736. Drei von der Union, eine von der FDP und einer von der AfD. Als Stegemann in den Bundestag einzog, waren es 19 – und 1990 sogar noch 24.
Im Hohen Haus spiegelt sich eine Entwicklung wider: Es gibt immer weniger Bauern in Deutschland. 1960 gab es allein in Westdeutschland 1,5 Millionen Höfe, vor drei Jahren waren es im gesamten Bundesgebiet etwas mehr als 250 000. Warum sollten viele Bauern im Parlament sitzen, wenn es immer weniger von ihnen gibt? Andererseits: Ohne Ernten, ohne Essen geht nichts. Das verdient doch mehr Repräsentanz im Bundestag! Lebenserfahrung kann in der Politik nie schaden, findet Albert Stegemann. "Und mit der Landwirtschaft ist es wie mit der Fußballnationalmannschaft: Du hast mehr als 80 Millionen Trainer und alle wissen, wie es funktioniert."
Die Gäste aus der Ukraine sind weg, Albert Stegemann hat sich zu einigen seiner Leute gesetzt, die gerade Pause machen. Der Aufenthaltsraum ist mit Spanholz verkleidet, durch ein Fenster kann man in den Stall blicken. Kühe laufen herum, sie gehen zum Melkkarussell, wenn sie merken, dass es dafür Zeit ist. Zur Seite ist der Stall offen wie ein Festzelt, bei dem man die Plane hochgerollt hat. Auf die Weide kommen die Tiere nicht. "Wir sind kein Nostalgiebetrieb, aber den Kühen geht es gut", sagt Stegemann. Die Eltern hatten 80 Milchkühe, als sie ihrem Sohn vor gut 20 Jahren den Betrieb übergaben. Heute sind es 670. Aufhören oder wachsen? Vor dieser Frage stand auch Albert Stegemann.
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Der Strukturwandel in der Landwirtschaft
Warum prägen Agrarunternehmen die Landwirtschaft? Erstens: Die gemeinsame Agrarpolitik der EU richtet sich vor allem nach der Fläche – je größer ein Betrieb ist, desto mehr EU-Prämien bekommt er. Zweitens: Landwirtschaft ist auf teure Maschinen angewiesen, auch Ställe kosten viel Geld. Kleinere Höfe können diese Investitionen nicht stemmen. Viele Betriebe spezialisieren sich auf eine Tier- oder Pflanzenart. Damit senken sie die Kosten pro produzierter Einheit, zum Beispiel pro Kilo Milch oder Kartoffeln. Die Betriebe werden aber auch anfälliger für Preisschwankungen oder Wetterextreme. Drittens: Schon heute sind 40 Prozent der Hofleitungen älter als 55 Jahre. Aber nur wenige junge Menschen wollen in die Landwirtschaft – das Höfesterben geht weiter.