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Bitte nicht zu viel künstliche Nähe
Kaum sind wir in Deutschland, beginnen wir unsere Kommunikation mit Ihnen, den Menschen, die hier leben. Doch wissen wir alle genug darüber, wie wir richtig miteinander kommunizieren? Teil 1 mit Tipps für Sie!
Lena Uphoff
04.09.2023

Vielen Menschen in Deutschland sind irritiert, wenn Sie mich kennenlernen. Einerseits herrscht in meinem Land Krieg, jeden Tag sterben dort Menschen, andererseits sehe ich nicht unglücklich aus. Ich kleide mich gerne stilvoll, gehe in Cafés, kaufe Blumen, treffe Freunde auf einem Weinfest. Bedeutet das, dass meine Gesprächspartner*innen das Thema Krieg in einem Gespräch mit mir überhaupt nicht ansprechen können? Oder sollen sie ihr Bedauern gleich zum Ausdruck bringen? Sollen sie mich einladen? Will ich jeden Mann, den ich kennenlerne, so schnell wie möglich heiraten? Schließlich bin ich mit einem Flüchtlingsvisum in Deutschland und meine finanzielle Situation ist höchstwahrscheinlich nicht die beste.

Das Treffen absagen? Nein!

Stellen Sie sich vor, ich habe ein vorab geplantes Treffen mit Freunden. Aber am selben Morgen erfahre ich, dass es nachts zu einem Bombenangriff auf Kiew kam, wo meine Freunde und Verwandten leben. Es gibt Tote und Verwundete. Meine Journalistenkollegen schicken mir per E-Mail Dutzende Fotos vom Tatort und bitten mich, sie an die deutschen Medien zu senden.

Ich bin gestresst, aber muss ich deshalb mein Treffen mit meinen Bekannten absagen? Nein, finde ich. Der Krieg dauert seit anderthalb Jahren an, und solche Terroranschläge gibt es täglich in der Ukraine.

Ich lebe zwei parallele Leben gleichzeitig

Also gehe ich trotzdem zum Treffen. Was soll ich auf die Frage „Wie geht es dir?“ antworten. Die Wahrheit sagen und allen die Laune verderben? Oder schweigen? Ich lebe zwei parallele Leben gleichzeitig: Das eine ist der Tod von Kindern, Kriegsverbrechen mit Terroranschlägen und der verzweifelte Versuch, Menschen zu helfen; das andere ist die tägliche Kommunikation mit Menschen, die (Gott sei Dank) diese Lebenserfahrung nicht haben. Aber ich baue mein Leben in Deutschland auf, ich kommuniziere jeden Tag mit der lokalen Bevölkerung, auch bei der Arbeit, also sollte ich lernen, wie man Kommunikation richtig aufbaut. Dazu möchte ich gerne ein paar Tipps teilen. Heute im ersten Teil sind es Tipps für Sie: Für die Menschen, die mit mir und anderen Geflüchteten beruflich oder privat zu tun haben.

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1. Details sind nicht immer erforderlich

Wenn ich nicht Ihre enge Freundin bin, sollten Sie mir keine Fragen stellen, die zu viele Details einfordern. Sagen Sie einfach: „Es tut mir sehr leid, dass es in der Ukraine einen Krieg gibt. Ich hoffe, dass Ihre Angehörigen in Sicherheit sind und der Krieg bald endet. Wenn ich bei etwas helfen kann, lassen Sie es mich wissen.“

Es ist unnötig, übermäßiges Mitleid zu zeigen, oder mich in den Arm zu nehmen, wenn wir uns gar nicht gut kennen. Ich als Geflüchtete weiß, dass Menschen, in deren Land es keinen Krieg gab und die keine Erfahrung mit Zwangsauswanderung haben, nicht verstehen können, wie ich mich wirklich fühle.  Vor dem Krieg in der Ukraine schien es mir, dass ich die Flüchtlinge aus Syrien gut verstehe und dass ich in der Kommunikation mit ihnen meine Trauer zum Ausdruck bringen muss. Aber erst jetzt verstehe ich, wie vorgetäuscht und künstlich das auf sie wirken musste.

2. Stereotypen vermeide

Die meisten deutschen Männer glauben, dass ein Mädchen aus der Ukraine, die ledig ist und keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat, einen Deutschen heiraten möchte, damit sie unbefristet bleiben kann. Aber nicht alle unverheirateten Mädchen aus der Ukraine wollen das überhaupt. Viele sind bereits in die Ukraine zurückgekehrt oder in andere Länder umgezogen. Und die Mädchen, die geblieben sind, würden ihr Leben nicht nur wegen eines Visums mit irgendjemandem verbinden wollen. Dies liegt daran, dass Frauen in der Ukraine in den letzten Jahren unabhängiger geworden sind. Unter ihnen sind viele Unternehmerinnen und Direktorinnen. Ukrainische Frauen sind es gewohnt, das Recht zu wählen und möchten sich nicht vollständig von einem Mann abhängig machen. Natürlich sind alle Menschen unterschiedlich. Aber genau das meine ich: Bevor man einem Flüchtling ein Stereotyp zuweist, sollte man zunächst unvoreingenommen mit ihm oder ihr kommunizieren. Sie wissen nicht, wie das Leben dieses Mannes vor dem Krieg war. Vielleicht war er/sie ein Dichter, ein erfolgreicher Geschäftsmann oder hat zwei Diplome mit Auszeichnung?

3. Nicht immer gleich einladen

Wenn sie sich wirklich treffen möchten und dies die Hauptsache ist, dann lassen Sie doch uns den Treffpunkt wählen. So können wir einen Ort suchen, den wir uns leisten können. Immer automatisch andere bezahlen lassen, ist peinlich für uns. Auch wir möchten mal einladen.

Und noch ein paar Tipps:

- Vermeiden sie, bitte, die Sätze „Sie haben so viel Glück, in Deutschland zu sein!“ Wir hören da nämlich heraus: „Sie haben so viel Glück, dass es in der Ukraine einen Krieg gibt und Menschen sterben!“

  • Vermeiden sie, bitte, die Formulierung „Warum hast du nicht ...“. Zum Beispiel: „Warum hast du nicht einen Job als Putzfrau gefunden / keine Zusatzversicherung abgeschlossen / an Nachbarn Versammlungen nicht teilgenommen“ usw. Diese Formulierung impliziert, dass etwas sehr einfach zu tun ist und jeder es bereits geschafft hat, außer mir. Allerdings besteht das Leben eines Flüchtlings jeden Tag aus einer Million neuer, ungewohnter Handlungen in einer fremden Sprache. Wir können einfach nicht alles auf einmal machen. Wir brauchen Unterstützung, und solche Kritik löst in uns ein Gefühl der Scham und unserer eigenen Unzulänglichkeit aus.
     
  • Bitte erinnern sie uns nicht ständig daran, dass es für andere Flüchtlinge oder Immigranten viel schwieriger war und den Ukrainern jetzt viele Rechte und Erleichterungen gewährt wurden. Wir sind absolut nicht schuld daran, dass es vorher andere Regeln gab. Wir haben keine anderen Erfahrungen mit dem Flüchtlingsstatus, daher ist die, die wir jetzt haben, schwierig für uns. Bitte werten sie unsere Erfahrung und unsere Schwierigkeiten nicht ab.
     
  • Bitte überfordern sie uns nicht. Studien zufolge dauert die Ausführung selbst der einfachsten Handlung in einer Fremdsprache im Durchschnitt 2,5 bis 3 Mal länger als in der Muttersprache. Für die meisten von uns ist absolut alles neu: Währung, Auswahl an Haushaltsprodukten, Straßennamen, Ladenstandorte, Krankenversicherung, die Terminvereinbarung beim Arzt, die Organisation eines Schulablaufs usw. All dies verbraucht viele Ressourcen. Ein Gehirn tut buchstäblich weh. Außerdem leben wir, wie ich oben geschrieben habe, jetzt zwei Leben statt einem, und der Tag hat immer noch 24 Stunden. Ja, es war unsere eigene Entscheidung, nach Deutschland zu kommen. Deshalb werden wir auf jeden Fall alle Regeln lernen und sich integrieren.

Für die Flüchtlinge selbst gelten natürlich auch bestimmte Gesprächsregeln, um die Kommunikation mit der einheimischen Bevölkerung angenehmer zu gestalten. Dazu komme ich in der nächsten Folge mit Kommunikationstipps.

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Kolumne

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Wer bin ich, wenn ich keine Heimatgefühle mehr habe? Was machen Krieg und Flüchtingsdasein mit mir? Darüber schreibt die ukrainisch-georgische Schriftstellerin Tamriko Sholi in Transitraum