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Der von den drei westlichen Besatzungsmächten USA, England und Frankreich einberufene Verfassungskonvent trat zusammen und brachte innerhalb von nur 14 Tagen den bis heute berühmten Entwurf für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zustande. Es berieten damals 61 Männer und vier Frauen, gewählt von den schon bestehenden westdeutschen Landtagen. Die deutschen Parteien waren nach der Kapitulation überraschend schnell wieder gegründet worden – noch bevor ein deutscher Staat existierte oder besser gesagt zwei deutsche Staaten ab 1949.
Menschenrechte und Gewaltenteilung waren die Hauptthemen in Herrenchiemsee
Ob der Staat die Grundrechte verletzt, darüber sollte ein Bundesverfassungsgericht entscheiden. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Rats, der kurz danach endgültig über das Grundgesetz entschied, war Konrad Adenauer. Die Geschichte der Bundesrepublik begann mit dem damals 72-jährigen aus Rhöndorf. Die jetzige Feier in Herrenchiemsee gab Bundespräsident Steinmeier den Rahmen für eine Grundsatzrede, die im Angesicht der steigenden Umfragewerte für die teils verfassungsfeindliche AfD einfach fällig war.
„Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!“ war der Tenor dieser vielleicht wichtigsten Rede der bisherigen steinmeierschen Amtszeit. Der Bundespräsident würdigte das kostbarste Gut der zweiten deutschen Demokratie: das Grundgesetz mit dem berühmten Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Damit ist das menschliche Leben vom Anfang bis zum Schluss gemeint.
Diese neue Demokratie sollte nie wieder für so ungeheure Verbrechen wie die des Hitler-Regimes missbraucht werden dürfen. Die Gefahren für die Demokratie waren vor 75 Jahren noch allen bewusst. Ob das heute noch so ist? Josef Göbbels hatte in unverfrorener Offenheit gesagt: „Es wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selbst stellte, durch die sie vernichtet wurde.“
Heute ist die nationalistische AfD stärker denn je und rechtsradikaler denn je. Sie ist antisemitisch, antimuslimisch, gegen die EU, grundsätzlich gegen ausländische Mitbürger und sie leugnet die Klimakatastrophe. AfD-Politik ähnelt sehr der Trump-Politik. Wollen wir das wirklich?
Steinmeier: „Verächter der Demokratie in die Schranken weisen“
Es lohnt sich deshalb die Rede des Bundespräsidenten weiter zu zitieren: „Eine Demokratie muss wehrhaft sein gegenüber ihren Feinden. Niemals wieder sollen demokratische Freiheitsrechte missbraucht werden, um Freiheit und Demokratie abzuschaffen…Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unsere Demokratie. Wir müssen sie schützen.“ Kein Wähler, so der Bundespräsident, könne sich „auf mildernde Umstände herausreden, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen.“
Steinmeier erinnerte auch an den ersten Satz des Chiemsee-Entwurfs: „Der Staat ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um des Staats willen.“
Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner mahnt aus demselben Anlass in Richtung AfD: „Wehret den Anfängen.“ Auch Bayerns Ministerpräsident Söder erinnerte an die „unglaubliche Leistung“ des Verfassungskonvents und meinte, es habe vor 75 Jahren im Schloss Herrenchiemsee nur „zwei Telefone und noch keine Handys“ zum Ablenken gegeben. Das sei ein großer Vorteil gewesen.
Bemerkenswert auch: Klimaaktivisten der „letzten Generation“ warfen am Rande dieser Feierlichkeiten am Herrenchiemsee der Bundesregierung vor, dieselbe Verfassung, die hier gefeiert werde, zu brechen, weil ihre Politik die Bevölkerung schutzlos der Klimakatastrophe ausliefere.
75 Jahre nach dem Verfassungskonvent sind die parteiübergreifenden Warnungen vor heutigen Verfassungsfeinden aktueller denn je in der Nachkriegsgeschichte. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden darüber, ob unsere Demokratie zum Selbstmord fähig ist oder überleben wird. Haben wir aus der Vergangenheit gelernt?
Mit der Herrenchiemsee-Konferenz begann der erste demokratische Gehversuch der jungen Bundesrepublik. Erst 13 Monate später , am 15. September 1949 wurde Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik gewählt – mit einer Stimme Mehrheit, seiner eigenen.
Er quittierte den denkbar knappsten Wahlausgang mit dem legendären Satz: „Et hät noch immer jut jejangen.“ Es liegt an uns, ob diese optimistische Aussage auch morgen noch gelten wird.