Solidarisch mit Israel sein und zugleich loyal zu den Palästinensern stehen, geht das? Und was können die Deutschen zur Verständigung der beiden Völker beitragen?
Israelis und Palästinenser müssten endlich die Traumata der jeweils anderen Seite anerkennen und sich über ihre sehr gegensätzlichen Erinnerungen an das Jahr 1948 austauschen, sagte die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann.
Die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, die EU und Deutschland, müssten sich wieder mehr darum bemühen, beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen, findet die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, Charlotte Knobloch. Der IT-Manager Frank Müller ist überzeugt, dass die wirtschaftlichen Verbindungen im Alltag segensreich wirken. Und Ella Treml setzt auf persönliche Freundschaften. Sie war mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ein Jahr in Israel.
Claudia Keller
Aleida Assmann brachte auf den Punkt, was Palästinenser und Israelis seit der Staatsgründung Israels und dem Unabhängigkeitskrieg 1948 grundsätzlich trennt: Für die Israelis und besonders für die, die den Holocaust überlebt hatten, war 1948 das Jahr der Selbstbefreiung, des Sieges, der Beginn einer hoffnungsvollen Zukunft.
Für die palästinensischen Araber im Land war 1948 "Nakba", arabisch für Katastrophe. Sie wurden vertrieben, verloren Land und Häuser, ihre Geschichte und Kultur. Während die Sieger diese hässlichen Umstände des Sieges vergessen wollten, halten die Besiegten und ihre Nachkommen die Erinnerung an die Vertreibung bis heute wach – "es blieb ihnen ja kaum etwas anderes als die Erinnerung und die Schlüssel zu ihren verlorenen Häusern", sagte Assmann. Und während viele Palästinenser bis heute die Vorgeschichte des Konflikts, den Holocaust, verleugneten und vernachlässigten, verleugneten und vernachlässigten Israelis die Nachwirkungen des Konflikts, die Nakba und die Besatzung.
Von Annäherung weit entfernt
"Diese historisch verflochtenen Ereignisse und verknoteten Erinnerungen müssen entknotet und erzählt werden", sagte Aleida Assmann, sonst sei Verständigung nicht möglich. Und wir Deutschen hätten eine wichtige Rolle dabei, denn wir seien "Teil des Knotens".
1998 sei ein hoffnungsvolles Jahr gewesen, eine neue Generation von Historikern auf beiden Seiten hätten sich angenähert und damals in einer gemeinsamen Erklärung gefordert, man müsse die Traumata der jeweils anderen Seite anerkennen. Assmann zitierte am Donnerstag in ihrem einleitenden Impuls einige Sätze aus der Erklärung, auch den Satz: Israel müsse beginnen, "seine Verbrechen gegen die palästinensische Nation im Jahre 1948 anzuerkennen".
Heute sei man von solchen Annäherungen weit entfernt: "Der Hass wächst, die Ent-Demokratisierung Israels schreitet rapide voran, die religiöse Fundamentalisierung nimmt auf beiden Seiten zu", sagte Assmann. Sie sehe nirgendwo Konzepte, Visionen, nicht mal die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen.
In allen Debatten um den Nahost-Konflikt ist das Eis sehr dünn, das zeigte sich auch in der Meistersingerhalle in Nürnberg. Kaum hatte Aleida Assmann zu Ende gesprochen, empörte sich Charlotte Knobloch: Sie werde zu Assmanns Vortrag nichts sagen, da diese Israel beleidigt habe. Auf dem Podium sei noch kein Wort darüber gefallen, dass es die Nazis waren, die Verbrechen begangen hätten. Aber Assmann habe im Zusammenhang mit Israel von Verbrechen gesprochen. Diese "Beleidigung Israels" lasse sie nicht zu.
Die Versuche, Brücken zu bauen, wären schnell zu Ende gewesen, hätte Aleida Assmann nicht deutlich gemacht, dass der Satz mit den Verbrechen ein historisches Zitat sei. Beim Vorlesen habe auch sie gemerkt, wie problematisch der Satz sei. Denn der Unabhängigkeitskrieg 1948 dürfe nicht in Gänze kriminalisiert werden, sondern lediglich "einzelne Episoden". Knobloch akzeptierte Assmanns Erklärung, ein echter Austausch kam zwischen den beiden trotzdem nicht zustande. Aber man blieb im Gespräch.
"Frieden wäre möglich, wenn die Völker direkt miteinander reden würden"
Das lag vor allem auch an Frank Müller, dem Gründer einer IT-Firma namens Axsos. Müller stammt aus dem Schwäbischen und hat eine Niederlassung in Ramallah in Palästina gegründet, weil er etwas "wirtschaftlich Sinnvolles machen und jungen Leuten eine Perspektive bieten wollte". In Ramallah seien 60 bis 70 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Er sei in Palästina und Israel unterwegs, kenne auf beiden Seiten die Vorurteile übereinander und glaube daran, dass wirtschaftliche und persönliche Beziehungen viel zum Guten ändern können.
Knobloch stimmte voll und ganz zu: Von ihren vielen Besuchen in Israel wisse sie, wie sehr Israelis palästinensische Handwerker schätzten, und wie froh die Palästinenser seien, wenn sie gut bezahlte Arbeit in Israel hätten. Sie ist überzeugt: "Frieden wäre möglich, wenn nur die Völker direkt miteinander reden würden und nicht die Politiker."
Müller erzählte, wie sehr sich palästinensische Familien in der Opferrolle eingerichtet hätten, ständig höre er, was alles wegen der israelischen Besatzung nicht gehe. Auch wenn ein Jugendlicher zum Bewerbungsgespräch zu spät komme, sei die Besatzung schuld – die Rechtfertigung sei schnell bei der Hand, statt dass man auf Nummer sicher gehe und zwei Stunden früher anreise. Er rate den Jugendlichen und ihren Familien: "Nutzt die 80 Prozent, die ihr trotz Besatzung habt, kommt aus der Opferrolle raus!"
Charlotte Knobloch hofft, dass Israelis und Palästinenser vielleicht doch im Stillen diplomatische Gespräche führten. Ella Treml hat ein Freiwilliges Soziales Jahr über die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel verbracht und hat israelische und palästinensische Freunde. Sie hat miterlebt, wie in Freundschaften Vertrauen wächst und damit die Bereitschaft zuzuhören und anzuerkennen, dass es auch der jeweils andere schwer hat. Ihr Rat ans Publikum: "Reisen Sie nach Israel! Sprechen Sie mit vielen verschiedenen Menschen und seien Sie offen für unterschiedliche Perspektiven!" Auch das könne ein Beitrag sein, um die vielen "Knoten" zu lösen.
Anm. d. Red.: Wir haben den Teaser dieses Textes überarbeitet. In einer früheren Fassung ging nicht hervor, dass es sich bei den dort getätigten Aussagen um ein Zitat der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann handelte.