Ich sitze auf meinem Board, gucke nach links, gucke nach rechts und fühle mich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dabei bin ich tatsächlich im Wasser, mit Fischen und anderen Surfern und Surferinnen an einem wunderschönen Strand in Spanien. Ich sollte glücklich sein, dass ich endlich wieder am Meer bin. Schließlich habe ich genau darauf die letzten Jahre hingearbeitet.
Meine Freundin und ich sind seit ein paar Monaten mit unserem Bus unterwegs. Wir haben gleichzeitig unser Studium abgeschlossen und zusammen entschieden, den Trendtraum vom "Van Life" zu verwirklichen. Ja, wir haben unserem Bus einen Namen gegeben. Ja, wir sind auf dem Weg in den Süden und "followen" der Sonne und ja, es ist alles traumhaft schön.
Der perfekte Urlaub: Wer was erzählen will, muss vor die Tür
Trotzdem erscheint mir alles nicht so genial, und da ist dieses unangenehme Gefühl wieder. Wir haben uns nicht für diesen Trend entschieden, weil es gerade – durch Corona oder andere Zufälle – ein Trend wurde. Nein, wir haben kein Zeitraffervideo vom Ausbau unseres Autos auf Instagram gepostet. Auch nicht die tollsten Stellplätze mit emotionaler Hintergrundmusik, und nein, wir machen keine Werbung für irgendwelche Produkte.
Wir hatten Ziele. Nicht im Sinne eines Ortes auf einer Landkarte. Wir wollten uns ein bisschen umschauen, Menschen kennenlernen, die etwas Spannendes machen, und neue Möglichkeiten für uns erkunden. Wir wollten unseren Horizont erweitern und Inspirationen sammeln.
Aber was bedeutet das? Erst jetzt merke ich, wie vage das alles klingt. Horizonterweiterung – würden Kolumbus oder Magellan uns da nicht auslachen?
Auf Stellplätzen war es leicht, Leute kennenzulernen. Unser Kennzeichen, LIF-VE, hat den Small Talk immer zum Laufen gebracht. Viele, die wir trafen, haben wirklich spannende Sachen gemacht, andere eher gar nichts, was im Prinzip ja auch spannend ist. Trotzdem hat mich nichts begeistert.
Wwoof im Ausland: Voluntourismus erweitert den Horizont
Ich war oft nur überrascht, wie vernünftig die anderen waren. Robert, der in der Schweiz für eine Bank arbeitet. Ferrin ist Busfahrer auf Teneriffa. Anna Sofia hatte gerade ihren Bürojob in Österreich gekündigt. Karsten will als Quereinsteiger Lehrer werden. Alle hatten entweder Jobs, Struktur oder ein regelmäßiges Gehalt. Und sie hatten Pläne, eine Vision oder einen Weg für die Zukunft.
Was mache ich? Wollten die anderen wissen.
Ich sollte eigentlich Fotograf sein. Meine ich.
"Wow, cool, wie spannend!"
Das gab zwar den Unterhaltungen Schwung – aber meinen Unsicherheiten auch freie Laufbahn.
Cool? Vielleicht.
Vernünftig? Für mich nicht.
Ob wir einen Instagram-Account hätten für unsere Reise – oder Jobs, wollen die anderen wissen. Diese Fragen sind wie das Gaspedal des gesellschaftlichen Drucks, das mich direkt in meine Abwärtsspirale katapultiert.
Der Horizont bleibt schräg und unerreichbar. Es sind schon fast drei Monate, dass wir der Sonne hinterher fahren, und ich merke: Diese Sommerjagd lässt unser Erspartes schmelzen. So fange ich verzweifelt an, Google nach ein bisschen Vernunft zu fragen.
Aus mehreren Ecken erfahre ich, dass man sich gerade für Sommerjobs in der Schweiz bewerben kann. Ein Sommer in einer Berghütte in den Alpen – auch vom Meer aus betrachtet ist das eine idyllische Vorstellung. Ich staube meinen Lebenslauf ab, poliere ihn und bewerbe mich überall, wo es irgendwie passt.
Ein wenig Vernunft habe ich damit gewonnen, Geld leider noch nicht. Immerhin, die Göttinnen und Götter der Online-Suche sollten mich mittlerweile so gut kennen, dass sie den perfekten Job für mich finden. Dann fällt mir ein, ich könnte Sprachen unterrichten oder Nachhilfe geben. Ich bewerbe mich bei einem Online-Nachhilfeportal als Tutor.
Alles läuft geschmeidig, bis sie mich nach meinem Lebenslauf fragen. Ein Studium, ein zweites, ein Job hier, ein anderer Job da und viele weitere. Was kann ich überhaupt? Ach ja, da bin ich ja wieder, der Fisch auf dem Trockenen, der von hier nach da springt, ohne atmen zu können. Ohne das Wasser zu finden.
Wer kam auf die Idee, das Leben sei eine gerade Linie? Immer schön sinnvoll von A nach B nach C? Kolumbus und Magellan hätten denjenigen oder diejenige auf jeden Fall ausgelacht. Mein Lebenslauf kommt mir unordentlich vor, willkürlich und sinnlos. Viele Sachen gemacht und ausprobiert. Einiges sogar studiert und gelernt. Ich kann anscheinend vieles und gleichzeitig gar nichts.
"Wann habe ich mich verlaufen?"
Auf der Reise denke ich oft an meine Freundinnen und Freunde zu Hause. Die sind alle so erfolgreich. Die haben Familie, unbefristete Verträge, feste Zukunftspläne. Die fahren alle auf dieser geraden Linie. Wann habe ich mich verlaufen? Warum habe ich alle Sicherheiten und die wenige Struktur, die ich mir in den Jahren in Deutschland aufgebaut habe, aus dem Fenster weggeworfen?
Bei mir scheint ein Erfolg so weit entfernt. Wie der Punkt, wo sich das Meer und der Himmel treffen. Ich sitze wieder auf meinem Board, schaue in den Horizont und fühle mich verloren. Ich weiß nicht, wohin mit mir. Weiß nicht, was ich will, was ich kann, und vor allem weiß ich nicht, warum.
Beim Fahren schaue ich auf die Nummernschilder der anderen Bullis. Aus der Schweiz: Ach! Die haben bestimmt viel Geld. Aus Österreich: Ach! Die fliehen vor den Corona-Maßnahmen. Aus Holland: Ach! Die sind richtige Hippies. Ich bin so vertieft in meinen Neid und meine Sorge, dass ich kaum noch erkenne, dass ich selbst auch am Lenker eines Bullis mit ausländischem Kennzeichen sitze.
Das "Van Life" hat uns schnell in den Wahnsinn getrieben. Immer die gleichen Leute, immer der gleiche Small Talk. Manche machen Werbung für ihre Social-Media-Accounts. Wenn man sie dann auf Instagram sucht, wird alles noch bizarrer. Immer die gleichen Sonnenaufgänge, immer die gleiche Hintergrundmusik und natürlich ist alles perfekt. Alle verreisen zusammen, verlinken sich gegenseitig und finden sich gegenseitig toll. Wir sind doch Fotograf und Fotografin, vielleicht sollten wir das auch machen! Aber einen Sinn können wir darin eigentlich nicht finden.
Wahrscheinlich habe ich zu viele Hoffnungen und Erwartungen in diese Reise gepackt. Es sollte eine Art Trampolin für uns sein. Wir wollten nicht aussteigen, sondern eher irgendwo einsteigen. Ich bin 31 Jahre alt. Was für egozentrische Gedanken sind es, die mich seit Beginn der Reise durch den Nebel lenken? Ich bin privilegiert und unfair. Viele würden davon träumen, die Zeit und die Freiheit zu haben, so zu verreisen wie wir. Selbst meine Freundinnen und Freunde, diese vernünftigen, strukturierten Menschen, beneiden mich. Nicht zu wissen, wohin, nichts Festes zu haben, das bedeutet auch, offen zu sein. Das Nichts ist voller Möglichkeiten. Vielleicht ist es das, worauf ich mich konzentrieren sollte.
Wieso müssen wir überhaupt alle irgendetwas Wichtiges schaffen, irgendetwas Vernünftiges und absolut Sinnvolles tun?
"Ich habe das Glück, nichts zu haben, was mich bremst"
Je mehr ich mich mit den anderen, den vernünftigen Reisenden, unterhalte, desto mehr wird mir bewusst, dass ich nicht der Einzige bin, der sich so verloren fühlt. Vielleicht sollten wir öfter mal die Verwirrung und Verlorenheit im Leben genießen? Zum ersten Mal erscheint mir einer meiner Gedanken vernünftig.
Ich habe das Glück, nichts zu haben, was mich bremst, was mich festhält. Ich sollte meinen willkürlichen Weg weitergehen. Von A nach G nach N springen. Ist vielleicht gar nicht so sinnlos, wie ich immer denke.
Ich sitze auf meinem Board, gucke in die Leere, und da kommt eine Welle. Vielleicht sollte ich ein Bild von Konfuzius mit kitschiger Hintergrundmusik auf Instagram hochladen. Hashtag: "Der Weg ist das Ziel." Mitten in meinem privilegierten Gejammer verstehe ich, was für ein Glück ich habe, mich mit diesen Gedanken und Fragen nach meinem Sinn in der Welt überhaupt auseinanderzusetzen. Ich fühle mich verloren, aber lebendig. Es gibt nichts Besseres.
Eine erste Version des Textes erschien am 25. Januar 2023.