chrismon: Mieten steigen rasant, die Immobilienpreise sind hoch wie nie. Viele Normalverdiener haben große Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Was ist da schiefgelaufen?
Caren Lay: Der Staat hat sich nach und nach aus der politischen Regulierung des Wohnungsmarktes herausgezogen. Die Mittelschichten haben fast keine Chance mehr, Eigentum zu erwerben, obwohl es das Aufstiegsversprechen der alten Bundesrepublik war, dass man mit harter Arbeit und bescheidener Lebensführung sein Eigenheim haben kann. Dieser Traum ist vielleicht noch im ländlichen Raum realisierbar - oder wenn man erbt. Aber in den Großstädten ist das sehr schwierig.
Was sind die Ursachen?
Der Staat hat viel zu wenig Geld in den Neubau investiert. Städtische und gemeinnützige Wohnungsunternehmen haben früher Steuervorteile bekommen. In den nuller Jahren hat die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder große Fonds durch Steuergeschenke regelrecht auf den Immobilienmarkt eingeladen und damit zu einer Massenprivatisierung von Werkswohnungen und städtischen Wohnungen beigetragen. Diesen Fonds geht es nicht um die Herstellung von Wohnraum, sondern um schnellen Profit.
Caren Lay
Warum schiebt die Politik den Spekulationen mit Wohnraum keinen Riegel vor?
Menschen mit wenig Geld haben keine Lobby. Steuererleichterungen für Neubauprojekte sind schnell beschlossen, aber das Geld für den sozialen Wohnungsbau ist nicht da. Fordern wir als Linke eine öffentliche Mietpreisregulierung, die es noch unter Konrad Adenauer gegeben hat, heißt es, wir wollen Oma Else ihr Häuschen wegnehmen.
Wollen Sie Oma Else das Häuschen wegnehmen?
Wir brauchen eine neue Mieterbewegung, und Oma Else ist Teil von uns. Als es vor kurzem die Debatte zum Bürgergeld gab, war ich dafür, dass wir ein hohes Schonvermögen berücksichtigen, damit Oma Else ihr Häuschen behalten kann, wenn sie mal ihren Job verliert oder wenn sie ins Pflegeheim kommt und es ihren Enkeln übertragen oder vererben will. Dafür würde ich immer kämpfen. Was mir vorschwebt, ist ein Mitte-unten-Bündnis, also der Menschen mit geringerem Einkommen und der Mittelschicht, die auch merken, dass sie ihre Wünsche und Träume nicht mehr realisieren können, weil sie nur noch für die Miete arbeiten. Denjenigen, die nur Geld machen und Rendite für ihre Aktionäre herausschlagen wollen, möchte ich sagen, dass es so nicht geht. Wohnungen sind in erster Linie zum Wohnen da und keine Ware. Es gibt ein Recht auf Wohnen, aber kein Recht auf Rendite.
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Was wäre nötig, damit es wieder bezahlbaren Wohnraum gibt?
In Städten oder Regionen, wo die Mietpreise komplett außer Rand und Band sind, braucht es Gesetze, die das Mietniveau wieder regulieren. Also einen atmenden Mietendeckel. Zweitens brauchen wir einen Teil des Wohnungsmarktes, der per Gesetz gemeinnützig organisiert ist, wie wir es in Deutschland schon mal hatten und wie es Wien bis heute erfolgreich praktiziert. Drittens schlage ich eine Art Antispekulationsgesetz vor. Immobilienspekulation muss hart besteuert oder ganz unterbunden werden.
"Die Städte müssen wieder den Städten gehören"
Wenn der Staat große Wohnkonzerne stärker besteuert und die Spekulation einschränkt, könnte es dazu führen, dass sie sich aus Deutschland zurückziehen und dem Staat dadurch Einnahmen entgehen, die wiederum in die Wohnförderung fließen könnten.
Ich erkenne keinen Mehrwert daran, dass mit Wohnungen an der Börse gehandelt wird. Die Städte müssen wieder den Städten selbst gehören und nicht einer kanadischen Versicherung oder dem chinesischen Staatsfonds. Das ist doch keine gute Entwicklung. Ich möchte, dass wir zwei neue Prinzipien auf dem Wohnungsmarkt einführen: lokal vor global und gemeinnützig vor profitorientiert.
Sie haben Ihr Buch weitgehend vor der Ukraine-Krise geschrieben. Seitdem sind die Energiekosten stark gestiegen, Baukosten etwas gesunken und die Niedrigzinsphase ist vorbei. Hat sich an Ihren Einschätzungen etwas verändert?
Eigentlich nicht. Ich beschreibe in meinem Buch den starken Anstieg der Kaltmieten. Dazu kommt jetzt ein wahnsinniger Anstieg der Nebenkosten - die Energiekrise. Hinzu kommt die Klimakrise. Auch da wird es darauf ankommen, welche Maßnahmen wir ergreifen, damit das Wohnen nicht noch teurer wird. Wenn wir es so machen wie bisher, dass die klimagerechte Sanierung von Gebäuden dazu führt, dass die Mieten sich verdoppeln, ist das eine tickende soziale Zeitbombe.
Sie sagen, dass die Kommunen Wohnungen zurückkaufen sollen. Dabei argumentieren Sie auch, dass die Wohnungen langfristig eine gute Anlage für die Gemeinden wären, weil sich ihr Wert steigert. Hat sich diese Forderung durch das Ende der niedrigen Zinsen erledigt?
Ja, die Zinsen steigen wieder, gleichwohl hat es sich volkswirtschaftlich überhaupt nicht gelohnt, alle diese Wohnungen zu privatisieren, weil der Staat das jetzt als Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger und Wohngeld doppelt und dreifach zahlt. Insofern ist es eine gute Option, die Städte zurückzukaufen.
Was sollen die Kommunen dann mit den Wohnungen machen?
Bis 1990 war ein Teil des Wohnungsmarktes per Gesetz gemeinnützig organisiert. Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen durften keine hohen Mieten verlangen. Im Gegenzug wurden sie mit Steuergeschenken belohnt. In Wien hat das gut funktioniert. Das brauchen wir auch in Deutschland wieder. Deswegen müssen die Städte, Genossenschaften, aber auch Stiftungen und Kirchen wieder mehr gemeinwohlorientierte Wohnungen haben. Wenn man keine Enteignung will, ist der Rückkauf von Wohnungen die mildere Alternative.
"Keine andere Regierung hat so viele Wohnungen privatisiert wie rot-grün"
Wo sollen die Kommunen das Geld hernehmen, um massenweise Wohnungen zurückzukaufen?
Nicht alle Kommunen sind arm. Ulm sorgt seit über 100 Jahren dafür, dass die Stadt jedes Jahr Grundstücke aufkauft, um selbst entscheiden zu können, was damit passiert. Städte, die kein Kapital haben, sollten durch eine Art Rekommunalisierungsfonds unterstützt werden, Wohnungen zurückkaufen zu können.
Sollen die Kommunen die Wohnungsunternehmen notfalls enteignen, so wie es das Volksbegehren "Deutsche Wohnen enteignen" in Berlin gefordert hat?
Dieses Volksbegehren wollte große Wohnungsunternehmen ab 3000 Wohnungen in Berlin enteignen. Ich habe am Anfang nicht daran geglaubt, aber 60 Prozent der Berlinerinnen und Berliner haben dafür gestimmt. Deswegen muss das auch umgesetzt werden. Bundesweit ist es aber nicht mehrheitsfähig, Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften. Deshalb schlage ich den Rückkauf vor. Oder eine Besteuerung großer Wohnungsunternehmen. Momentan werden Unternehmen, die mit Wohnungen spekulieren, auch noch steuerlich belohnt.
Unternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia zahlen Steuern ...
So viele Steuern zahlen die gar nicht. Wir haben in Deutschland die Spekulationsfrist, so dass man keine Steuer zahlen muss, wenn man Wohnungen nach zehn Jahren zum doppelten Preis wieder verkauft. Das kann man Kleineigentümern durchgehen lassen, aber doch nicht im großen Maßstab, wenn Vonovia und Deutsche Wohnen sich die Wohnungen hin- und herschieben und dabei mit Share Deals allein 2021 eine Milliarde Euro an Steuern sparen. Das ist ungerecht. Außerdem: Kommunale Wohnungsunternehmen würden auch Steuern zahlen.
Genossenschaftlich bauen, gemeinschaftlich wohnen? Im Webinar erklären wir, wie es geht
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich die Mitte-Links-Parteien nachhaltig an den Mieter*innen "versündigt" hätten, weil sie Gesetze erlassen haben, die diese benachteiligt hätten. Was meinen Sie damit?
Keine andere Bundesregierung hat so viele Wohnungen privatisiert wie rot-grün. Auch die PDS hatte sich in Berlin und Dresden an Privatisierungen von Wohnungen beteiligt. Dahinter steht vor allem eine große ideologische Fehleinschätzung der letzten Jahrzehnte, nämlich die neoliberale Haltung, dass der Markt die Dinge schon von allein regelt und die Politik sich rausziehen kann. Das hat neben anderen Fehlentscheidungen wie Hartz IV und Rentenkürzungen dazu geführt, dass sich viele Menschen ins Nichtwählerlager abgewendet haben oder die AfD wählen.
"Ich habe erlebt, dass mich Menschen beschimpft haben"
Wie können Sie das Vertrauen der Wähler wiedergewinnen?
Indem wir engagierte Politik für diejenigen machen, die keine Wohnung mehr finden oder sie nicht bezahlen können. Für diejenigen, die Angst haben, dass ihnen nach diesem absehbar harten Winter die Wohnung gekündigt wird. Die brauchen besseren Kündigungsschutz. Wir müssen vor allem für die Leute neu bauen, die gar nichts haben. Der Bund hat 2021 aber nur sechs Wohnungen selbst gebaut. Die Zahl der Sozialwohnungen geht zurück.
Die Linke hat es gerade so in den Bundestag geschafft, sitzt in nur neun von 16 Landesparlamenten. Wie wollen sie sich für die Menschen einsetzen?
Ich persönlich versuche, Vertrauen dadurch zu gewinnen, dass ich den Wohnungsmarkt aus der Sicht der Schwächsten denke. Ich besuche regelmäßig die Plattenbaugebiete und spreche dort mit den Leuten, mit den Mietervereinen, mit Verbraucherzentralen, Sozialarbeitern und Schuldnerberatungsstellen.
Wenn Sie in die Plattenbauten gehen – wie reagieren die Menschen auf Sie?
Ich habe erlebt, dass Menschen so wütend waren, dass sie mich beschimpft haben. Ich kann das aber verstehen. Wer mit einem kleinen Einkommen oder mit Hartz IV eine Mietverdoppelung bekommt, braucht Hilfe. Ich habe aber auch erlebt, dass es Menschen schätzen, wenn ich mich für sie einsetze.
Warum sagen die Mieterverbände kaum etwas?
Das hat zum Teil parteipolitische Gründe, weil man sich der SPD eng verbunden fühlt und hofft, dass man auf dem kleinen Dienstweg etwas erreichen kann. Aber der zentrale Grund ist, dass zum Beispiel der Deutsche Mieterbund kein großes Budget hat, um sich für die Interessen von Mieterinnen und Mietern einzusetzen. Ich habe herausgefunden, dass vier Lobbyisten der Mieterseite ungefähr 144 Lobbyisten der Immobilienseite gegenüberstehen.
Warum demonstrieren die Betroffenen von hohen Mieten nicht?
Es gibt eine Mietenbewegung, aber viele Betroffene haben Angst, sich gegen ihre Vermieter zu wehren, weil sie befürchten, ihre Wohnung zu verlieren. Wiederum andere schämen sich, auf die Straße zu gehen, weil man nicht zugeben will, dass man die Miete nicht zahlen kann oder verschuldet ist. Darüber hinaus ist es für viele schwierig, sich langfristig zu engagieren, wenn es über den Kampf um das eigene Haus hinausgeht. Ich wünsche mir, dass die Gewerkschaften oder Sozialverbände das Thema Wohnungspolitik noch stärker in den Fokus nehmen. Ich will die Mieterverbände nicht kritisieren und sehe mich als Teil der Mietenbewegung. Aber wir müssen schauen, wie wir mehr werden können und unsere Interessen stärker artikulieren können. Dieser Protest der Mieterinnen und Mieter bezieht sich häufig auf die eigene Stadt, aber es ist die Bundespolitik, wo die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden. Wir brauchen mehr Protest auf Bundesebene.
2 Seiten einer Medaille.
Ich lebe, trinke, rauche, spiele und habe zum Schluss nichts. Die Rendite meines Lebens ist für die Zukunft wertlos geworden. Ich spare, arbeite und baue mir ein Haus und verwohne meine Rendite. Mein Leben im Zuhause hat einen lebenslangen Wert.
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