chrismon: Bundesfinanzminister Christian Lindner beklagt, wer das Wort "Dienstwagenprivileg" benutze, betreibe "linkes Framing". Aber wie funktioniert es eigentlich, dieses Dienstwagenprivileg?
Julia Jirmann: Arbeitgeber zahlen Arbeitnehmern ein Gehalt, klar. Aber wenn sie Beschäftigten neben dem Gehalt weitere Vorteile gewähren, müssen diese Vorteile in der Regel besteuert werden. Sonst könnten Arbeitgeber teilweise oder vollständig in Naturalien bezahlen, und das bliebe steuer- und sozialversicherungsfrei. Deshalb heißen solche Vorteile im Steuerrecht auch geldwerte Vorteile. Ein Dienstwagen ist so ein geldwerter Vorteil.
Julia Jirmann
Und was gilt genau für die Dienstwagen?
Wenn Mitarbeitende einen Dienstwagen bekommen und es ihnen nicht ausdrücklich untersagt ist, den Wagen auch privat zu nutzen, haben sie einen geldwerten Vorteil. Den muss man versteuern.
Es klingt erst mal fair, geldwerte Vorteile zu versteuern, damit die Menschen nicht plötzlich mit Autos oder Häusern bezahlt werden und der Staat leer ausgeht.
Ja, der Grundgedanke ist richtig, aber ein Dienstwagen wird leider nicht fair und gerecht besteuert. Der Arbeitnehmer kann sich dafür entscheiden, ein Fahrtenbuch zu führen, um so festzuhalten, welche Fahrten rein privat sind. Und nur die würden dann auch als geldwerter Vorteil besteuert werden. Diese Variante wählen aber die wenigsten. Die meisten nutzen die Pauschale – und die gilt selbst dann, wenn das Auto zu 99 Prozent privat genutzt wird.
Wie funktioniert das genau?
Das Finanzamt veranschlagt ein Prozent des Bruttolistenpreises des Autos. Beispiel: Liegt dieser Preis bei 50.000 Euro, beträgt der geldwerte Vorteil monatlich 500 und aufs Jahr gerechnet 6000 Euro. Diese 6000 Euro müsste der Arbeitnehmer mit dem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern. Hinzu kommen noch 0,03 Prozent des Listenpreises für den einfachen Arbeitsweg. Beides zusammen ist ein geldwerter Vorteil, und der ist zudem auch sozialversicherungspflichtig. Viele Dienstwagenfahrer verdienen aber oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze – es fallen dann überhaupt keine zusätzlichen Beiträge zur Sozialversicherung für den geldwerten Vorteil an.
"Je höher der Anteil der privaten Fahrten und je kürzer der Arbeitsweg ist, desto mehr Geld sparen Dienstwagennutzer"
Warum empfinden Sie das als ungerecht?
Weil Kolleginnen und Kollegen, die keinen Dienstwagen haben und sich selbst ein Auto kaufen, häufig deutlich teurer wegkommen als der Kollege mit Dienstwagen (ein Beispiel finden Sie hier in einem Blog-Beitrag von "Agora Verkehrswende", Anm. d. Red.). Man kann sagen: Je höher der Anteil der privaten Fahrten und je kürzer der Arbeitsweg ist, desto mehr Geld sparen Dienstwagennutzer mit der Pauschalbesteuerung gegenüber den Menschen, die sich ein eigenes Auto kaufen. Es gibt verschiedene Berechnungen, etwa vom Umweltbundesamt, wonach das Dienstwagenprivileg uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über drei Milliarden Euro kostet, Jahr für Jahr. Und es gibt weitere Ungerechtigkeiten.
Welche zählen Sie dazu?
Über die Hälfte dieser drei Milliarden Euro kommt den 20 Prozent der einkommensstärksten Haushalte zugute. Und: Männer haben viermal so häufig einen Dienstwagen wie Frauen. Den Arbeitgebern entsteht ebenfalls ein Privileg, denn sie dürfen Dienstwagen als Betriebsausgaben komplett von der Steuer absetzen, auch wenn der Wagen überwiegend privat genutzt wird, was ihre Steuerlast mindert. Und das, obwohl man normalerweise nur etwas als Betriebsausgabe absetzen kann, wenn es überwiegend betrieblich veranlasst ist. Bei Dienstwagen ist das nicht so, denn wie gesagt: Wenn der Arbeitgeber es nicht ausdrücklich verbietet, sind Privatfahrten erlaubt. Zu alldem konterkariert es die Klimaschutzziele.
Warum?
Wer seinen Dienstwagen pauschal versteuert, hat keinen finanziellen Anreiz mehr, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen oder Rad zu fahren. Das ist ungerecht gegenüber jüngeren Generationen, weil es ein sehr klimaschädlicher Anreiz ist. Oft übernehmen die Arbeitgeber sogar noch die Tankrechnungen und Reparaturen. Jeder Dienstwageninhaber wird sich zweimal überlegen, für einen Ausflug oder Urlaub doch die Bahn zu nutzen.
Ist es auch ein geldwerter Vorteil, wenn der Arbeitgeber Benzin oder Diesel und die Reparaturen übernimmt?
Die Übernahme von Tank- und Reparaturkosten ist zwar ein geldwerter Vorteil, der allerdings mit der Einprozentregelung ebenfalls abgegolten ist – ein Flatrate-Modell also. Die Anreize, das Auto stehen zu lassen, nehmen dadurch noch einmal ab. Und: Der Arbeitgeber kann die Tankkosten komplett von der Steuer absetzen.
Elektroautos werden beim Dienstwagenprivileg besonders berücksichtigt, wird die Regelung dadurch gerechter?
Stimmt, dann muss nicht ein Prozent versteuert werden, sondern weniger. Der Vorteil mit E-Dienstwagen kann also noch größer sein. Aber auch das kommt ausgerechnet einkommensstärksten Haushalten zugute. An der sozialen Ungerechtigkeit ändert das nichts.
Drei Milliarden sind viel Geld, das Privileg schadet dem Klima – der Staat braucht Geld, der Verkehrssektor muss Emissionen sparen: Warum streicht der Bundestag die Regelung nicht einfach?
Einfach streichen - das geht nicht, weil ein geldwerter Vorteil versteuert werden muss. Bundesregierung und Gesetzgeber könnten das Privileg umgestalten. Aber Christian Lindner will die einkommensstarken Gruppen wohl schlicht nicht vor den Kopf stoßen. Ein Problem hat der Bundesfinanzminister allerdings.
Und das wäre?
Sein Ministerkollege im Verkehrsministerium, Volker Wissing, hat die Klimaschutzziele für den Verkehrssektor verfehlt. Zwei Drittel der Autos mit mehr als 200 PS, die besonders klimaschädlich sind, gehen an Unternehmen und Selbstständige. Daran sieht man: Das Dienstwagenprivileg liefert einen Anreiz, übermotorisierte Autos zu produzieren. Besonders der deutschen Autoindustrie, die sich auf solche Autos spezialisiert hat, würde es schaden, wenn es das Dienstwagenprivileg in heutiger Form nicht mehr gäbe. Entsprechende Lobbyarbeit leisten die Konzerne auch, um es zu erhalten, und der Draht zwischen Christian Lindner und den Chefs von Autokonzernen ist bekanntermaßen sehr kurz.
Was könnte man denn konkret ändern am Dienstwagenprivileg, um es gerechter und klimafreundlicher zu gestalten?
Man könnte es zur Pflicht erklären, ein Fahrtenbuch zu führen. Wenn ich wirklich jede private Fahrt versteuern muss, geht der Anreiz verloren, das Auto auch privat ständig zu nutzen.
Die FPD wird sofort schimpfen: Viel zu bürokratisch!
Na ja, die selbst ernannte Partei der Digitalisierung sollte doch längt einen Weg gefunden haben, so etwas unbürokratisch und digital zu organisieren. Und es gibt noch die zweite Möglichkeit: Andere Staaten berücksichtigen den CO2-Ausstoß und setzen Wagen, die viel Kohlendioxid ausstoßen, steuerlich höher an. Ein Wagen, der viel Kohlendioxid ausstößt, müsste nicht mit einem Prozent des Bruttolistenpreises, sondern höher veranschlagt werden. Dann profitieren Hersteller von 200-PS-Autos nicht mehr, weil ihre Autos weniger nachgefragt werden. Auch andere Parameter sind denkbar, zum Beispiel wie viel Parkraum ein Auto einnimmt. Je größer und je mehr, desto mehr Steuern werden fällig.
Drei Milliarden Euro kostet die Subvention derzeit. Aber das ist sehr abstrakt, wissen Sie einen guten Vergleich?
Ja, für den Nachfolger des 9-Euro-Tickets, das übrigens CO2 eingespart hat, möchte der Bund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Mit drei Milliarden Euro könnte man in Deutschland also einiges bewegen. Übrigens – weil Sie gerade "Subvention" sagten: Im Subventionsbericht der Bundesregierung taucht das Dienstwagenprivileg gar nicht auf. Das ist ein Bericht, in dem die Regierung darstellt, wie sich die Finanzhilfen des Bundes und die Steuervergünstigungen für die privaten Unternehmen und Wirtschaftszweige entwickeln.
Warum fehlt das Dienstwagenprivileg darin?
Weil es als Steuervereinfachung beziehungsweise Pauschalierung und nicht als Subvention gilt. Stünde es im Subventionsbericht, würde das Dienstwagenprivileg mit seinen drei Milliarden einen der Spitzenplätze einnehmen.