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Herr N. ist wieder da. Beim Durchsehen meiner E-Mails stieß ich auf den Betreff „Wir sind zurück“. Das Seniorenpaar N. wohnt seit ein paar Jahren bei mir um die Ecke in einem neuen, schicken Häuserblock. Vorher lebten sie hoch über Neuenahr an der Straße nach Königsfeld, wo die Stadt endet und der Wald beginnt. Als das zu beschwerlich wurde, kauften sie die Wohnung im ersten Stock. Der Aufzug machte es möglich, die Lage in Citynähe direkt an der Promenade war attraktiv. Beim Hochwasser starb eine junge Frau in der Tiefgarage der Anlage, sämtliche Erdgeschoßwohnungen wurden zerstört, die Aufzüge funktionierten nicht mehr. N’s packten die Koffer, schlossen ihre Wohnung ab, wie sie war, und gingen ins Exil. Der alte Glanz des neuen Wohnens ist dahin, aber der Aufzug fährt wieder. Also sind sie zurückgekehrt. Und Herr N. versucht, Fäden aufzunehmen, um dort anzuknüpfen, wo wir im Sommer 2021 jäh unterbrochen wurden.
Ein Kollektiv von Künstlerseelen
Unser erster Kontakt liegt Jahre zurück, zehn vielleicht oder mehr. Damals stellte er sich mir vor als der Leiter der Malgruppe im Seniorennetzwerk des Mehrgenerationenhauses. Mehr Sexyness geht kaum, dachte ich damals mit leichtem Grauen. Doch der gelernte Grafiker war faszinierend. In einem bedächtigen nordischen Zungenschlag berichtete er von seiner Truppe. Ihm waren alle willkommen: Ruhestandsstudienrätinnen mit Affinität zu den schönen Künsten ebenso wie verrentete Verwaltungsangestellte, die den Stift zeitlebens vornehmlich zur Befüllung von Formularen geschwungen hatten. Sie trafen sich vormittags einmal in der Woche und malten frei. Alle Techniken, Kunstrichtungen und Motive waren erlaubt. Herr N. war Berater, Kritiker und Helfer. Er lud mich zu einem Besuch ein. Es dauerte, bis ich mich entschließen konnte. Und war dann beeindruckt. Die Atmosphäre war freundlich, aber gesammelt. Man plauderte hier und da, doch oft breitete sich kreatives Schweigen im Raum aus. Natürlich gab es in der Gruppe ein Gefälle an Talent und Fingerfertigkeit, wie in einer Schulklasse, doch es schien keine Rolle zu spielen. In den Bildern spiegelten sich Schicksale und Lebensgeschichten.
Zeigen, was unsagbar ist
Irgendwann entwickelten Herr N. und ich die Idee, für einen begrenzten Zeitraum nicht frei, sondern konzeptionell zu arbeiten, mit der Jahreslosung als Thema. Daraus wurde eine Ausstellung in der Martin-Luther-Kirche. Sie wurde zu einer Institution, von Jahr zu Jahr professioneller mit Galerierahmen und Passepartouts und Schildchen, einer richtigen Vernissage, Presse und einem Eröffnungsgottesdienst. 2017 war ein Höhepunkt: Die Gruppe setzte sich mit der Reformation auseinander, mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen, die Ausstellung fand größere Beachtung, das Gästebuch war voll.
Die Zerstreuten sammeln und weitermalen
Als das Wasser in die Kirche drang, hing die Ausstellung zu „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ Familienverhältnisse, Gewalterfahrung, Gerechtigkeitsfragen – alles war drin in den Motiven. Die Bilder blieben trocken, die Flut machte kurz darunter halt. Barmherzige Hände retteten die Werke auf die Empore. Dort verbrachten sie die Entkernung der Kirche. Inzwischen sind sie geborgen. Herr N. will sie demnächst sichten und seinen Kunstschaffenden zurückgeben. Er sucht und sammelt seine Truppe, wie der Hirte die Schafe. Kunst kennt kein Alter, darum will er weitermachen, weitermalen. Und er hat eine Idee, kühn und doch naheliegend: „Ich möchte die Flut zum Thema machen. Ein so gewaltiges Ereignis muss doch mit den Mitteln der Kunst bewältigt werden“, entwirft er unverzagt die nächste Ausstellung. Manchmal steckt die Sexyness nicht im Namen, sondern im Rahmen.