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Und in eigener Sache?
Ein Herausgeber einer Wochenzeitung ist selbst in die Schlagzeilen geraten. Er steht im Verdacht, die Berichterstattung über einen befreundeten Bankier hinausgezögert zu haben. Das gibt Anlass, über Qualitätsmedien und Selbstkritik nachzudenken.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
27.05.2022

Es gehört zu den Hauptaufgaben von Qualitätsmedien, Missstände aufzudecken und zu skandalisieren: in der Politik, Wirtschaft und Kultur, natürlich auch bei den Kirchen. Davon lebt die demokratische Gesellschaft. Die Qualitätsmedien könnten diese Aufgabe allerdings noch besser und überzeugender erfüllen, wenn sie souveräner und ehrlicher mit eigenen Problemen umgingen.

Das jüngste Beispiel hierfür ist der Herausgeber einer Wochenzeitung (Namen tun hier nichts zur Sache, es geht um Strukturelles). Ein Brief von ihm an einen befreundeten Bankier wurde öffentlich, der den Anschein erweckt, als habe er eine Berichterstattung seiner Zeitung über Steuerkriminalität zugunsten seines Freundes beeinflusst. Wie immer der Fall gelagert sein mag, mich erinnert dies daran, dass eine Vorgängerin von ihm tatsächlich die Berichterstattung über einen schlimmen Fall von Kindesmissbrauch unterdrückt hat – sie war mit dem Täter und dessen Lebensgefährten befreundet. Eine ernsthafte Aufarbeitung dieses Skandals hat meines Wissens bislang nicht stattgefunden.

Zum aktuellen Fall hat die Wochenzeitung nun eine kurze Erklärung veröffentlicht: Der Herausgeber werde sein Amt ruhen lassen, bis sein Vertrag im kommenden Jahr ausläuft; der Eindruck, der „entstanden“ sei, es wäre unlauterer Einfluss auf die Berichterstattung genommen worden, wird dementiert. Das war es schon: der Beschuldigte erhält einen gesichtswahrenden Abgang, die Vorwürfe werden erst ins Diffuse gezogen (der Eindruck war ja nicht „entstanden“, sondern vom Herausgeber selbst erweckt worden) und dann dementiert, weitere Fragen scheinen dem Verlag ebenso unnötig zu sein wie ein Wort des Bedauerns – das Image der Institution ist wiederhergestellt.

Bei der Lektüre anderer Zeitungen allerdings kamen die Freunde gepflegter Schadenfreude voll auf ihre Kosten. Genüsslich wurden dort die Verlogenheit und die Schein-Vornehmheit der Wochenzeitung bloßgestellt. Wer an so etwas weniger Gefallen findet, fragte sich, warum in all diesen Artikeln nicht auch nur ansatzweise ein Bewusstsein dafür zu erkennen war, dass die Autoren auch in den eigenen Medienhäusern Skandalöses hätten finden können. Das trifft besonders für die Qualitätsmedien zu, die sich auf große Ahnen und Gründer berufen. Das mag zu ihrem Erbe, ihrem Marketing gehören, ist aber ein Problem. Denn große Medien haben große Macht, große Medienmacher sind in der Versuchung, diese zu missbrauchen, und ihren Nachfolgern mangelt es an Mut, sich damit auseinanderzusetzen: Der eine Zeitschriftengründer verbarg seine krasse NS-Vergangenheit, erst jetzt wird sie diskutiert; der andere Nachrichtenmagazingründer empfing Mitarbeiterinnen im Bademantel, Rückfragen dazu gibt es bis heute nicht; der nächste Zeitungsherausgeber kollaborierte höchst erfolgreich mit einem NS-Führer, steht aber immer noch hoch in Ehren; über seinen Nachfolger gibt es einen posthum veröffentlichten Text eines Redakteurs, der ihn als missbräuchliche Person zeigt, dennoch trägt ein ruhmreicher Preis seinen Namen; der übernächste Boulevard-Chefredakteur nutzte seine Position aus, um Sex mit abhängig Beschäftigten zu haben, das wird als Ausrutscher behandelt; die Liste ließe sich fortführen, auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk wäre zu berücksichtigen.

Stets ist es dasselbe Muster: Mutig, wortreich und lautstark decken all diese Qualitäts- bzw. Boulevardmedien Skandale bei anderen auf und unterziehen sie einer präzisen, scharfen, berechtigten und notwendigen Kritik. Geht es jedoch um sie selbst, halten sie es zumeist wie die von ihnen Kritisierten: Sie schweigen, wiegeln ab, gehen in Deckung, leugnen; wenn all dies nicht mehr geht, erklären sie, dass es sich um einen bedauerlichen Einzelfall handle, und entsorgen den Beschuldigten still und leise.

Eine ernsthafte Aufarbeitung aber besteht aus diesen Schritten: einer Untersuchung durch eine externe Fachperson, einer Analyse der tieferen historischen und strukturellen Gründe, einer Beteiligung der Geschädigten, strukturellen Konsequenzen. In der evangelischen Kirche lernen wir langsam und mühsam, was das bedeutet. Damit wir darin nicht nachlassen, bedürfen wir des öffentlichen Drucks durch weiterrecherchierende und nachhakende Qualitätsmedien. Letztere aber könnten sich selbst fragen, ob eine Nachschulung in Sachen Selbstkritik ihnen bei Gelegenheit nicht auch ganz guttäte.

P.S.: „Wie alles anfing – vor 7.500 Jahren“ – in meinem Podcast spreche ich mit Katja Lembke und Florian Klimscha vom Niedersächsischen Landesmuseum Hannover über die Anfänge von Zivilisation, Krieg, Religion und Klimawandel.

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Und da liegt ein nicht zu lösendes Problem. Bestätigen Medien ihre Unzulänglichkeit, auch wenn es nur Einzelfälle sind, verlieren sie an Glaubwürdigkeit. Ist die erschüttert -jeder sucht sich was ihm passt! - und die Auflage sinkt. Die Glaubwürdigkeit von TV ist eh gebrochen bei denen, die Trash sehen wollen. Allenfalls ein Glaube wie es Euch gefällt. Die Theologie ist und war der Vorreiter.

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur