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Neulich recherchierte ich zu Gerald Hüther: Der Neurobiologe und Hirnforscher (hier ein chrismon-Interview mit ihm zum Thema "Würde") arbeitet viel zum Thema Gemeinschaft/Individuum, also zu all dem, worüber ich hier gerne schreibe.
Während ich so rumgoogelte stieß ich auf den Artikel einer Lokalzeitung über ein „Wohnprojekt für Menschen ab 55 plus“, das Hüther berät.
Ich klickte mich weiter durch zur Webseite von Anundo-Park. Auf den ersten Blick: Extravagante Architektur, schicke Wohnungen mit tollen Grundrissen, viel Gemeinschaftsflächen, dazu so eine Art Rundum-Service mit Concierge, Bibliothek, Dachgarten, Sauna und wer weiß was noch. Ein Luxus-Resort für reiche Silver Ager?
Doch dann las ich auf den Seiten von einem „Mannheimer Wohnprogramm“, nach dem von den 54 Wohnungen 30 Prozent für Menschen mit geringerem Einkommen gebaut werden. Dazu Berichte von Workshops, gemeinschaftlichen Aktionen und Diskussionen, die oben erwähnte wissenschaftliche Begleitung, eine Stadtteil-Concierge und öffentliche Flächen für die Nachbarschaft. Kurz: viele gute Ideen.
Bauen wir, was wirklich gebraucht wird?
Wir telefonierten und letzten Freitag traf ich dann im Zoom Carina Krey und Alexander Döring, das Heidelberger Unternehmerpaar, das sich das Konzept von Anundo ausgedacht hat.
Meine erste Frage, vielleicht etwas uncharmant, lautete: Woher kommt das Geld? Wer mit so einem Anspruch bauen will, braucht Kapital; staatliche Unterstützung, eine Stiftung, was auch immer. Eine hohe Rendite wird es bei so einem Projekt erst mal nicht geben.
Die einfache Erklärung: Es gibt Familienvermögen und das haben das Unternehmerpaar und andere Teile der Familie in dieses Projekt gesteckt. Alexander Döring hat seinen Job als Chef eines Schaltschrankhersteller aufgeben und ist jetzt Geschäftsführer von Anundo. Carina Krey ist Architektin und Baubiologin. Beide sind Anfang/Mitte fünfzig und haben sich vor ein paar Jahren überlegt: Wie soll es in der nächsten Lebenshälfte weitergehen? Kinder aus dem Haus und dann? Es sind die Fragen, die ich schon so oft in diesem Blog gestellt habe: Bauen wir wirklich immer noch die Häuser, die unseren veränderten Lebensansprüchen und Bedürfnissen entsprechen?
Das Duo Krey/Döring weiß die Antwort längst: Nein, tun wir nicht.
Gerade die Generation der jetzt 50/60jährigen hat in der Jugend oft WG-Erfahrungen gesammelt. Und nun im Alter sollen sie (soll ich, denn ich gehöre ja auch zu dieser Generation) weiter allein in meiner Miets-/Eigentumswohnung/Haus bleiben? Das ist für viele Menschen längst keine Alternative mehr und so gründen sie Baugemeinschaften oder Genossenschaften. Doch nicht alle haben Kraft und Lust dazu. Sie wollen einfach nur anders wohnen und das auch bezahlen können.
Hinter den Rundbögen die Gemeinschaftsflächen
Anundo bringt das Konzept mit der Architektur mit, berichtet Carina Krey: „Wir haben uns überlegt, wo man sich trifft, und das ist eben auch auf den Fluren, den Treppenhäusern, den Durchgängen.“ Also hat der Bau jetzt an die 300 qm Gemeinschaftsflächen, untergebracht in den „Gemeinschaftstürmen“, also dort, wo die Bewohner sich auf den Wegen von A nach B sowieso treffen würden. Kenntlich von außen ist das durch die markanten Rundbögen: „Wo die von außen zu sehen sind, steckt Gemeinschaft dahinter“.
Auf das begehrte Filetstück am Eingang des BUGA-Geländes 2023 in Mannheim hatten sich viele Projektentwickler beworben, doch am Ende bekam Anundo den Zuschlag. Wie im städtischen Wohnprogramm verankert, werden 30 Prozent der Wohnungen zu einem Quadratmeterpreis vermietet, der mindestens 30% unter dem städtischen Durchschnitt von Neubauten liegt. Die Preisbindung besteht für mindestens 20 Jahre, danach, so Alexander Döring, werden sie sehen, ob und was sie erhöhen müssen. Das Projekt soll sich irgendwann refinanzieren, aber das sei nicht das alleinige Ziel. Das Paar selbst wird nicht dort hinziehen: "Eigentümer und Mieter in einem Haus, das ist keine gute Idee", finden sie.
Im nächsten Jahr soll alles fertig sein. Die Wohnungen werden zwischen 40 und 130 qm groß sein und je nach Lage zwischen 8 bis 17.50 Euro pro qm an Miete kosten. Fast die Hälfte ist mittlerweile mit Kandidatinnen belegt, 52 ist der jüngste, 80 Jahre die älteste der zukünftigen Bewohner*innen. Die größte Nachfrage gibt es nach den Ein-Personen-Wohnungen. "Paare", so Alexander Döring, "brauchen länger für die Entscheidung für eine neue Wohnform und schauen sich das Objekt meist mehrere Male an, bevor sie sich entschließen mit zu machen.“ Das Konzept ist so geplant, dass Menschen hier bis zu ihrem Lebensende bleiben können, wenn sie denn wollen. Vorstellbar sind Rahmenverträge mit Pflegediensten und selbstredend ist das Haus barrierearm geplant.
Aufgenommen wird nur, wer sich wirklich einbringen will. „Wir wollen auf keinen Fall Menschen hier haben, die nur cool und mit einem Superblick wohnen wollen“, berichtet Carina Krey. Bei der Akademie von Gerald Hüther wird Anundo als "Begleitprojekt" geführt. Der Neurobiologe kenne das Projekt gut und sei als Berater ansprechbar: "Wir telefonieren oder zoomen regelmäßig."
Alle vier bis sechs Wochen gibt es unter der Leitung der Mediatorin Maria Holm einen Workshop mit der zukünftigen Bewohnerschaft. Nicht alle Ideen aus der Theorie haben da Bestand und wurden, auch aus Preisgründen, ad acta gelegt
Nicht gekippt wurde die Idee einer von der Gemeinschaft finanzierten Concierge unten im Foyer. Sie soll Anlauf- und zentrale Informationsstelle für Bewohnerschaft wie umgebendes Quartier werden. „Erfahrungswissen weitergeben“, möchte das Unternehmerpaar: „Es gibt einen so unglaublich hohen Erfahrungsschatz von älteren Menschen. Doch wie können wir alle davon profitieren, wenn alte Menschen abgeschottet von der Außenwelt in Heimen leben?“
Fast eine Stunde haben wir uns unterhalten und ich habe mitgenommen: Anundo will was Neues sein und dafür investieren hier ein paar Leute nicht nur ihr Geld sondern auch ihre ganze Energie. Manchmal sei sie schon sehr am Zweifeln sagt Carina Krey: „Es ist einfach so wahnsinnig viel Arbeit, es gibt Rückschläge und dann denke ich: Müssen wir es uns wirklich so schwierig machen?“ Doch am Ende sind sich beide einig: Sie wollen es so und nicht anders.
PS:
Es gibt so viele tolle Wohnideen. Darüber zu schreiben, bringt mir viel Freude. Doch ein bisschen Arbeitsökonomie muss auch sein, und daher geht die Wohnlage jetzt auf einen zweiwöchigen Rhythmus. Das nächste Mal also wieder am 19. Mai.