Kirchgang - Lesestunde in der Auferstehungskirche Landshut
Kirchgang - Lesestunde in der Auferstehungskirche Landshut
Uwe Birnstein
Lesestunde
Maren Kolf
08.09.2020

Auferstehungskirche Landshut, Sonntag, 10 Uhr:

Wie, heute kein Pastor? Ja, in Niederbayern ist Ende Juli Ferienzeit. Ein attraktiver Mann ohne Talar, stylisch gekleidet, tritt an den Altar. Er stellt sich nicht vor, hinterher erzählt er auf Nachfrage, er sei Lektor, also für Gottesdienste beauftragter Laie. Neben ihm eine sympathische Frau, die auch einige Texte liest.

Maren Kolf

Uwe Birnstein

Uwe Birnstein ist Theologe, lebt in München und arbeitet als Journalist für Zeitschriften und ARD-Hörfunksender

Die Kirche ist mit ihrer quadratischen Form und ihren bunten Bibelbildern eine architektonische Einladung, miteinander ins Gespräch zu kommen. Heute haben sich nur 17 Gläubige durch den Sommerregen herbemüht, schade. Und welch krasser Kontrast zu den Bibel­lesungen, die nun zu hören sind – da ist von 3000 Menschen die Rede, die einst in Jerusalem nach einer flammenden Predigt des ­Apostels Petrus zum Glauben kamen. Und davon, dass 5000 Menschen Jesu Nähe suchten und sie alle satt wurden. Der Widerspruch schwebt im Raum und wartet ver­gebens darauf, angesprochen zu werden.

Die Orgelpfeifen ragen hinter der hölzer­nen Altarwand in die Höhe. Wie von Geisterhand spielt der verborgene Organist Kirchenlieder, jeweils nur eine Strophe. Dann werden die Liedtexte vorgelesen, denn es darf noch nicht gesungen werden. Der Lektor steigt 
die Stufen zur schönen Holzkanzel hinauf. ­Sachlich verliest er die vom Kirchenamt formulierte Predigt. Als Lektor darf er ja leider keine Predigten selbst schreiben. Schade, denn der Mann wirkt so interessant, dass ­seine eigenen Gedanken vermutlich gemeinde­näher und spannender wären. Es geht um einen Rat aus dem Hebräerbrief: Christen sollen "gastfrei", gastfreundlich, sein, denn auf diese Weise hätten schon viele – ohne es zu wissen! – Engel beherbergt.


Hauptthema der Predigt ist die Heraus­forderung, auch jene Menschen zu lieben, die einem nicht unbedingt sympathisch sind. Christen können das, wenn sie sich an Christus erinnern, der sie bedingungs­los liebe. Viel Richtiges und Wichtiges ist zu hören. Einmal lässt die Predigt sogar aufhorchen mit einem schönen Beispiel: Ein bayerischer Kabarettist habe mal fremdenfeindlichen Politikern gewünscht, sie mögen "mit Liebe überhäuft werden, dass dadurch Licht in eure Herzen kommt".

Nach der Predigt tönt fröhlich "Komm, sag es allen weiter" aus der Orgel, auch dieser Liedtext wird gelesen. Ohne Melodie, nur gesprochen, hört er sich komisch an.

Der Lektor zeichnet das Segenskreuz in die Luft.

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