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Beten lernen in Corona-Zeiten, aber mit Johann Peter Hebel
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
21.03.2020

Das Wichtigste zuerst: Wer hier klickt, findet einen kurzen Text von mir über die Solidarität mit freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen in der Kirchenmusik. Wer mag, verteilt ihn an alle seine Freunde und Bekannten.

Wie viele nutze ich die unfreiwillig-freie Zeit, um Aufgeschobenes zu erledigen. So arbeite ich gerade an einer theologischen Auseinandersetzung mit einer wichtigen Figur der sogenannten Neuen Rechten. Das muss ja auch mal gemacht werden.

Natürlich beschäftigt mich die Frage, wie man theologisch mit dieser epochalen Krise umgehen sollte. Aber da fällt mir noch nicht viel ein, ich bin eben etwas langsam. Viel schneller war ein Kollege, der auf „zeitzeichen.net“ gleich ein ganzes theologisches Programm ankündigt. Ich habe es nur überflogen, denn schon sein Hauptsatz in der Überschrift hat mich nicht so angesprochen: „Die Coronakrise zieht alle Register der Theologie.“ Das ist eine Formulierung, über die man lange schmunzeln könnte, wenn die Lage nicht so ernst wäre. Seit wann können Pandemien Orgel spielen?

Deshalb an dieser Stelle etwas ebenfalls theologisch Grundsätzliches, aber besser Formuliertes. Es ist gegenwärtig wieder viel vom Beten die Reden. Aber wie betet man? Genauer gefragt: Welche Sprache ist angemessen? Oder auch: Wie schreibt man ein gutes Gebet? Antworten habe ich kürzlich in einem unbekannten Text von Johann Peter Hebel gefunden. Gerade ist eine neue, ziemlich preisgünstige Gesamtausgabe des Autors der wunderbaren „Kalendergeschichten“ erschienen. Darin finden sich auch seine „Ideen einer Gebetstheorie“ (1798/99).

Sie beginnen so: „Wir haben unsere Gebete von der alten Dogmatik gereiniget, reinige Gott auch unsern Stil von allem Schlendrian des Ausdrucks. Tausche der liebe Gott uns gegen die fremde Zunftsprache unsere natürliche Sprache wieder ein, die wir verloren haben, damit wir beten können, wie die lieben Kinder zu ihrem lieben Vater, nicht wie steife Handwerksgenossen.“

Dann erklärt Hebel grundsätzlich: „Beten heißt eine unsichtbare Person als gegenwärtig denken, und im Vertrauen, daß sie’s höre und theilnehmend darauf achte, mit ihr reden. Was also darf man beten? Der Einzelne alles, was er nach seiner Individualität mit einem Freund, im Charakter der Gottheit gedacht, reden kann. Der Beter für Viele, nur das, woran Alle Theil nehmen können.“

Dies hat Folgen für den Stil: „Wie soll man zu dem Unsichtbaren lebten? Gerade so, und gerade nur so, wie man mit dem Sichtbaren reden würde. Dies ist in so vielen Gebeten vergessen, und dann wird die Rede unvermeidlich Geschwätz.“ Gebete in der Kirche sollten knapp sein, nicht alles ausführen, sondern den Hörenden die Freiheit lassen, Eigenes anzuknüpfen. Vor allem: „Das Gebet muß auf die Empfindung, nicht auf den Verstand wirken, nicht moralisieren. Nach einer Predigt wieder ein belehrendes und moralisierendes Gebet, ist das nämliche Gericht zweimal mit einer andern Sauce.“ Aber das Gebet darf auch nicht kitschig werden: „Nichts klingt erbärmlicher als Sprache der Rührung, wo keine Rührung mehr ist.“

Dankbar war ich besonders, dass Hebel eine heutige Unsitte vieler kirchlicher Gebete schon vor über 200 Jahren kritisiert hat: „Seitenlange Weltbürgers-Bitten für den Frieden unter allen Völkern, allgemeines Menschenwohl, für Ausbreitung der christlichen Religion, oder der Wahrheit und Aufklärung, der Moralität unter der Menschheit, sind nicht nur unnütz, sondern auch zweckwidrig, da Zeit und Raum zu bitten in näherer Anwendung auf uns, und die um uns sind, dadurch eingeengt wird. Ich halte es für zweckmäßiger, mit dem Zuhörer immer in seiner Sphäre, die er selber übersieht, im Kreis seiner Familie, seines Gewerbeverkehrs, seiner Gemeine, seines Vaterlandes zu bleiben, und nur seltener Blicke darüber hinaus zu thun. Gewiss mehr Wirkung selbst ins Allgemeine und Große wäre zu erwarten, wenn jede Christengemeine für sich beten, und dadurch den moralischen Segen des Gebets sich zuwenden wollte, als wenn alle für alle beten, und alle in ihrem Kreis unthätiger bleiben, als sie sein sollten.“

Damit will Hebel natürlich keinem egoistischen Provinzialismus im Gebet das Wort reden. Nur sieht er eben, dass ganz allgemeine Gebete die Mitbetenden nicht berühren und deshalb auch nicht dazu inspirieren, selbst für das Gute tätig zu werden. Wer aber konkret betet und dann handelt, bewirkt auch für das große Ganze mehr. Heute allerdings ist das Nahe und das Ferne enger miteinander verknüpft als zu Hebels Zeiten. Wenn wir heute für unsere alten Eltern, für kranke Freunde und isolierte Nachbarn beten, dann denken wir natürlich immer auch an die Kranken und Sterbenden in Italien, Spanien oder China.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur