Am Vormittag des vierten Advents 1909 eskaliert der Konflikt zwischen dem Kaplan und seiner Jungskameradschaft. Die "Jünglingssodalität" der Dortmunder Dreifaltigkeitsgemeinde begeisterte sich schon länger fürs Kicken, der Geistliche hingegen, seit 1906 zuständig für die religiöse Erziehung der jungen Männer, wettert von der Kanzel gegen den Proletensport und die "Fußlümmelei". Jetzt erklärt er kurzerhand die sonntägliche Nachmittagsandacht zur Pflichtveranstaltung. Sonntagnachmittag aber treffen sich die Jungs vom Borsigplatz zum Fußballspielen auf der "Weißen Wiese". Was nun?
Hubert Dewald heißt der Kaplan, und er betrachtet den 21-jährigen Franz Jacobi als einen der Rädelsführer unter den Freizeitkickern. Bei den Treffen der Sodalität lässt er ihn gern mal strammstehen. Doch Jacobi und seine Mitstreiter wollen sich das Fußballspielen nicht verbieten lassen. An diesem Sonntag kommt es zur Rebellion gegen die heilige katholische Kirche. Der folgenreiche Plan: einen Verein gründen.
Robin Bierbrauer
Am Abend versammeln sich die Sodalen in der Gaststätte "Zum Wildschütz" in der Dortmunder Oesterholzstraße, Heimat der Stahl- und Zechenarbeiter. Sie diskutieren hitzig über das Vorhaben. Einigen geht die Abspaltung von der Gemeinde zu weit, sie verlassen den Spiegelsaal über dem Wirtshaus und warnen Kaplan Dewald. Der rückt an und will die Vereinsgründung unbedingt verhindern.
Bruch mit der Kirche
Als der Kaplan im Wildschütz eintrifft, kommt es zum Streit und schließlich sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen Dewald und dem nur sechs Jahre jüngeren Jacobi – so schildert es jedenfalls der Film, der den Gründungsmythos des berühmten Fußballvereins erzählt: "Am Borsigplatz geboren. Franz Jacobi und die Wiege des BVB". Demnach muss sich der Kaplan geschlagen geben, der Bruch mit der Kirchengemeinde ist offensichtlich. Jacobi gelingt es, die 17 verbliebenen jungen Männer im "Wildschütz" zu überzeugen, es entsteht der Ballspielverein Borussia 09, eine Protestbewegung.
Verantwortung übernehmen, das ist Jacobi nicht fremd, als ältestem von sechs Kindern. Der Vater starb, als Franz 14 war. Der Junge sicherte das Einkommen der Familie, zunächst als Bürogehilfe, später als Hüttenbeamter bei der Hoesch-AG.
Anfangs ist es für Jacobi und seine Mitstreiter nicht einfach, sich der Autorität des Kaplans zu widersetzen. Der Respekt vor der Institution Kirche ist groß. Im Heiligabendgottesdienst nur wenige Tage später schmeißt Dewald die "Gemeindespalter" dann auch aus der Jünglingssodalität heraus – woraufhin einige Mitglieder die Borussia wieder verlassen.
"Wir waren eine fröhliche Truppe"
An der Vereinsgründung ändert das freilich nichts. Für Franz Jacobi ist der BVB wie eine zweite Familie: "Wir waren eine sehr fröhliche Truppe, die gern lachte und sang. Für jeden Blödsinn waren wir gut und konnten kräftig feiern", erzählt er als alter Mann dem Vereinsarchivar Gerd Kolbe.
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, müssen mehrere Mitspieler als Soldaten an die Front, unter ihnen Heinrich Unger, der während einer Feuerpause ein Soldatenlied umdichtet: "Aber eins, aber eins, das bleibt bestehen, Borussia Dortmund wird nie untergehen", eine Zeile, die heute jeder Dortmund-Fan kennt. In jener Zeit ist das Vereinsleben für die Angehörigen der Soldaten eine wichtige Stütze.
Franz Jacobi prägt den BVB, zunächst als Geschäftsführer, von 1910 bis 1923 als Präsident. Dem Verein verbunden bleibt er bis ins hohe Alter als Ehrenpräsident, 1966 wurde sein BVB sogar Europapokalsieger. Seine letzten Jahre verbringt er in Salzgitter, wo er 1979 im Alter von 90 Jahren stirbt.
Mit der Kirche versöhnte sich Franz Jacobi übrigens noch zu Lebzeiten: Ihre Hochzeit feierten Franz und Lydia – in der Dreifaltigkeitskirche.
Franz Jacobi und der BVB:
Der Film "Am Borsigplatz geboren. Franz Jacobi und die Wiege des BVB" erzählt die Gründungsphase des BVB, vermittelt durch Fotos, Animationen und nachgespielte Szenen, Historiker und Verwandte der Gründer kommen zu Wort (als DVD, um 19 Euro). Auch das Buch "Der Ruhm, der Traum und die Leidenschaft" von Dietrich Schulze- Marmeling (Die Werkstatt Göttingen, 34,90 Euro) schildert die Geschichte des Vereins, mit zahlreichen Exkursen wie "Der Fußball und die Kirche".