Stolz hält mir Karl-Heinz seine neue Armbanduhr vors Gesicht. Meine Reaktion, ein skeptisches Zurückzucken, hat er wohl erwartet. "Du weißt, was das ist?" Logisch: eine Uhr. "Nee! Das ist der Typus von anno dunnemals. Fitness-Tracker mit Uhr nennt man das jetzt." Und nun beginnt er eine mehrminütige Laudatio auf das grauschwarze Teil an seinem Handgelenk.
Arnd Brummer
In seinem Tracker stecke alles, was er für Leben, Gesundheit, Kommunikation und Sport brauche. Ein Schrittzähler gebe genaueste Auskunft über seine Beweglichkeit: "Heute sind es erst 987 Schritte, also rund 700 Meter gewesen, am Sonntag waren es 8594, also mehr als sechs Kilometer." Das Gerät misst rund um die Uhr seine Herzfrequenz, überwacht Schlaf und Kalorienverbrauch, informiert über SMS- und Anrufdaten aus dem Handy sowie Twitter-, Facebook- und Whatsapp-Nachrichten. Und wenn es der Nutzer möchte, werden alle Gesundheitsdaten und Tagesaktivitäten seinem Bekanntenkreis zugesendet.
Für Karl-Heinz ist dieses Gerät ein Symbol für die positive Wirkung des technischen Fortschritts auf Leben und Gesundheit. Was habe er sich einst selbst belogen, wenn er sich an seinen sportlichen Aktivitäten erfreute. "Da saß ich Sonntagabend auf der Couch und war mir absolut sicher, dass ich genügend gelaufen bin. Ich gönnte mir ein Bierchen." Nun erkenne er an den Daten, "dass ich gemessen an Schritten und Kalorienverbrauch lieber ein Glas Wasser leeren sollte".
"Alexa, Pfingstlied!"
Mag sein, dass die vollständige Selbstkontrolle mit solchen Geräten ein Gewinn für die körperliche Gesundheit ist. Ob sie seelisch weiterhilft, ziehe ich doch heftig in Zweifel. Dem eigenen Gefühl, dem außerhalb der rationalen Datenwelt liegenden Empfinden zu trauen, darf nicht zu einer Nebensache im Leben werden. Noch mehr als die Überschätzung der Zahlenlogik stößt mich jedoch der Verlust der sogenannten Privatsphäre ab. Ich möchte nicht, dass persönliche Daten Menschen und Firmen zugänglich gemacht werden, die ich nicht kenne.
Für meinen alten Freund Karl-Heinz bin ich auch in diesem Fall Angehöriger einer "aussterbenden Gruppe von Holz- und Blechromantikern". Für ihn ist Amazons Sprachsteuersystem ein "hilfreiches Familienmitglied. Ich schalte den kleinen Lautsprecher ein und rufe: Alexa, Pfingstlied! Und schon ertönt in unserem Esszimmer laut und schön: Freut euch, ihr Christen alle! Da spare ich mir den Gottesdienst mit dem rumpligen Kirchenchor. Und am nächsten Tag rufe ich vom Frühstückstisch aus: Alexa, starte Mähroboter! Während wir fröhlich bei Kaffee und Brezeln sitzen, wird draußen die Gartenarbeit geleistet."
Konservative Angst-Kultur?
Dass Alexa nicht nur Musikwünsche erfüllt und Gartenarbeit organisiert, sondern auch höchst intime Dialoge ins Netz sendet, findet Karl-Heinz "halb so wild". Sowas komme mal vor, meint er. "Technik ist wie dein Kopf fehleranfällig. Aber die meisten Firmen achten auf Datenschutz und Sicherheit. Und wenn mal was schiefgeht, werden die User relativ schnell informiert." Technologie mit solchen Argumenten abzulehnen, hält der Liebhaber der E-Avantgarde für konservative Angst-Kultur. Damit sei jede neue Erfindung geschmäht worden, "bis ihre Nutzung über all dies Gemaule hinweg selbstverständlich geworden sei. Das gilt für die elektrische Eisenbahn, das Auto wie für Telefon, Rundfunk und Fernsehen."
Als ich unseren Dialog mit dem Hinweis schloss, ich müsse dringend noch eine Geburtstagskarte in den Briefkasten schmeißen, weil der in einer halben Stunde geleert werde, öffnete Karl-Heinz seinen Geldbeutel: "Falls du noch eine Briefmarke brauchst, schenke ich dir eine. Das hier sind meine letzten drei aus einer Hunderter-Packung, die ich vor acht Jahren gekauft habe."