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Der Tod ist nur eine Episode zwischen Kreuzigung und Auferstehung. Das ist die Bot- schaft, die in den zahllosen Pietà-Darstellungen der Kunstgeschichte steckt. Für gewöhnlich zeigen die Bilder auf eindringliche und intime Art, wie die Mutter Maria um ihren toten Sohn trauert. Michelangelo hat dafür im 15. Jahrhundert die wohl berühmteste, nämlich die vatikanische Pietà als Vorlage für sämtliche Künstlergenerationen nach ihm geschaffen und gleichzeitig eines der universalen Motive menschlichen Leids aufgegriffen. Aber – und das macht die Pietà zum christlichen Motiv – es geht nicht nur um Trauer. Maria hält Jesus nicht nur in den Armen, sondern sie hält ihn gewissermaßen auch im Leben. Denn sogar Menschen ohne Bibelkenntnisse wissen, dass die Geschichte mit der Kreuzigung ein Happy End hat.
Lukas Meyer-Blankenburg
Damit hat der Münchner Maler Franz von Stuck radikal gebrochen. Von einer innigen, körperlichen Beziehung ist auf seiner Pietà von 1891 nichts zu sehen. Vielmehr sind Jesus und Maria etwas steif und senkrecht zueinander angeordnet. Sie greifen formal die Kreuzform, die der christlichen Geschichte von Leid und Auferstehung das Symbol gibt, auf. Die verkrampfte Hand des Toten verweist auf seine Leidensgeschichte und den Schmerz. Eine Ahnung von Trost bietet das Bild nicht. Von Stucks Maria hat die Hände vors Gesicht geschlagen und berührt ihren Sohn nicht. Für den Künstler gibt es keine Beziehung zwischen Lebender und Leichnam und erst recht keine Exitstrategie aus dem Tod, wie sie das Christentum für den Heiland vorsieht. Ungewöhnlich nur, dass der Tote fast lebendiger wirkt als die trauernde Mutter. Deren Körper ist trotz ihres dunklen Gewandes beinahe so schemenhaft, dass man meint, die Beine des Gesalbten dahinter sehen zu können. Von Stuck zeigt eine Frau, die sich in einsamer Trauer aufzulösen scheint. Das ist drastisch und für den lebenslustigen Künstler ein eher ungewöhnliches Motiv.
Der aufkommende Rationalismus war nichts für ihn
Berühmt wurde Franz von Stuck als Karikaturist, tat sich hervor mit heiteren Alltagszeichnungen, fertigte Skulpturen und sogar Möbelstücke an und ist der Nachwelt vor allem als Maler nackter Damen in Erinnerung geblieben, die – mal mit einer Schlange, mal mit einem zornigen griechischen Gott ringend – als Allegorien für Sünde, Leidenschaft oder andere prägende Gefühlswelten der menschlichen Natur herhalten mussten. Von Stuck liebte es, in Symbolen zu malen. Der aufkommende Rationalismus seiner Zeit war nichts für ihn. Als Professor an der Münchner Kunstakademie prägte er mit seinem Symbolismus spätere Künstlergrößen wie Paul Klee oder Wassily Kandinsky. Zu Lebzeiten galt er manchem Kunstkritiker gar als bedeutendster deutscher Maler überhaupt. Die Münchner Schickeria adelte ihn mit dem Titel Malerfürst. So einen Titel bekamen Künstler, die in privaten Salons für das Großbürgertum malten, zu der Zeit häufig. Heute ist von Stuck auf Lokalgröße geschrumpft. Seine einstige Villa dient als Ausstellungs- und Veranstaltungsraum im Herzen der bayerischen Haupt- stadt. Die einsame Pietà lässt sich in der Dauerausstellung des Frankfurter Städel Museums bemitleiden.