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Einen Satz mag ich seit frühester Kindheit nicht hören: "Wir möchten doch nur dein Bestes!" Gerne haben ihn Lehrer gesprochen, meist am Ende von fruchtlosen Diskussionen, während deren sie mich dazu veranlassen wollten mein Tun und Lassen an ihren Maßstäben auszurichten. Sie formulierten diesen Satz mit einem ermüdeten, gleichzeitig aber beleidigten Unterton, als würden sie meinen Mangel an Einsicht in ihre edlen Absichten als Angriff, als boshafte Verweigerung, als freche Renitenz ansehen.
Dieser Ton des guten Menschen, der einem störrischen Dummkopf gegenübersteht, machte mich vollends zornig. Bis ich mir schließlich angewöhnte, grundsätzlich jeden klagenden Appell, man wolle nur mein Bestes, mit dem Antwort-Kalauer "Das bekommen Sie aber nicht!" zu kontern. Von dem Augenblick an, da mir diese Replik zu Gebote stand, ging es mir besser. Wie ein Schlag auf die Nase wirkte diese kleine, giftige Sottise. Achselzuckend, so erinnere ich mich, machte Studienrat G. einmal auf dem Absatz kehrt, nachdem er mir gerade noch in einer länglichen Suada nahe zu bringen versucht hatte, dass ich dringend zum Friseur müsse. "Du willst es nicht anders", zischte er dabei, verstummte und nahm übel.
Nein, ich wollte es nicht anders. All die aufdringlichen, in ihren eigenen Augen lebensklugen Leute, die mich zu regelkonformem Verhalten überreden wollten, verstärkten nur eines: meine Sehnsucht nach einer eigenständigen Position, nach Abgrenzung, nach Individualität. Manchmal wusste ich in meinem Trotz sehr gut, dass mein Auftreten angreifbar war. Als ich meinen Schulleiter ich mag sechzehn, siebzehn Jahre alt gewesen sein in einem Disput aufforderte, seine moralischen Ergüsse für sich zu behalten, schrie er: "Ich prophezeie dir, du wirst in der Gosse landen oder in der Baader-Meinhof- Bande!" Das war 1973 starker Tobak. Ich radelte nach Hause, verbarrikadierte mich in meinem Zimmer und hörte "Born, to be wild" von "Steppenwolf".
Mir fiel das alles wieder ein, als mich meine Cousine Barbara neulich bat, ihrer Tochter Nora deren neuen Freund auszureden "Auf dich hört sie, das weiß ich!" Irgendwie wollte ich nicht, obwohl ich Barbaras Einschätzung von dem jungen Burschen teilte: ein unangenehmer Typ! "Tja, ich weiß nicht ...", hörte ich mich sagen, "ich wüsste nicht, wie ich anfangen sollte." Barbara sehr wohl: "Sag ihr doch einfach, du wolltest nur ihr Bestes! Dir glaubt sie das!"
Die Heftigkeit, mit der ich ablehnte, überraschte Barbara. Ich erzählte ihr daraufhin meine Geschichte, die sie nicht verstand: "Was ärgert dich so daran, wenn es jemand gut mit dir meint?" Ich habe lange darüber nachgedacht. Wahrscheinlich ärgert mich der Mangel an Vertrauen, der in der Botschaft steckt, mein Bestes zu wollen: Ich will dein Bestes und ich weiß, was das ist. Du weißt es nicht. Du machst Fehler. Folge mir! Vielleicht stört mich auch die mitschwingende Angst, die Kontrolle zu verlieren, nur weil sich der oder die Schutzbefohlene nicht am Bilde des Erziehenden orientiert. Oder es nervt mich einfach der plumpe Versuch, mich moralisch unter Druck zu setzen, nachdem der Besserwissende mit seinen Argumenten gescheitert ist.
Meine Cousine fragte: "Und was würdest du an meiner Stelle zu Nora sagen?" "Am besten nichts, wenn ich meinem Gefühl folge. Darauf vertrauen, dass die junge Dame des Kerls bald überdrüssig wird. Und wenn sie fragt, wie du ihn findest, kannst du immer noch erklären: Mein Typ ist er nicht, aber schließlich ist er ja auch dein Freund!"
Übrigens: Meinen alten Direktor traf ich Jahre später bei einem Besuch in meiner Heimatstadt zufällig auf dem Markt. Sein Bekenntnis, "Sie haben uns Lehrern das Leben ganz schön schwer gemacht", fand ich in Ordnung. Und er lachte, als ich antwortete: "Sie mir meines aber auch!" Dann fügte er leider mit fürsorglicher Miene hinzu: "Das mögen Sie so empfunden haben. Wir wollten doch nur Ihr Bestes!"