Haushaltshilfen in Mumbai
Helena Schaetzle
"Zu langsam!" "Zu spät!" "Nicht sauber!"
Das bekommen Sheela, Fatima und ihre Kolleginnen oft zu hören als Putzhilfen in Mumbai. Sie halten viel aus – und manchmal üben sie Widerstand.
26.09.2018

Sheela, 43: "Viele glauben, dass wir uns nicht wehren können"

Als ich meinen Mann kennenlernte, wusste ich, der soll es sein. Es war eine echte Liebesheirat. 1993 brachen in Mumbai Unruhen aus, zuerst gingen Hindus auf Muslime los, dann Muslime auf ­Hin­dus. In den Straßen lagen Leichen, es war schrecklich. Ich sagte zu meinem Mann: "Du kannst nicht zur Arbeit, es ist zu gefährlich. Ich werde für uns arbeiten gehen." Das habe ich dann gemacht. Ich hatte Angst rauszugehen, aber ich wollte meinen Mann unbedingt ­beschützen. So wurde ich Haushaltshilfe: ­putzen, waschen, kochen, einkaufen. Für ­andere ­Familien, über viele Jahre, an allen möglichen Orten der Stadt.

Sheela ist im Lauf der Zeit hartnäckig geworden

Wir Haushaltshilfen werden oft angebrüllt: "Du bist zu spät!", "Das ist nicht ­sauber!", "Du arbeitest zu langsam!", "Du bist nicht ehrlich!" Manche Arbeitgeber gönnen uns nicht mal ­eine Tasse Tee. Andere haben für uns be­sondere Tassen, die sie selbst nie anrühren würden. Das ist eigentlich noch kränkender, als gar keinen Tee zu be­kommen. Ich kenne auch Frauen, die um ihren Lohn betrogen ­werden. Manche unserer Chefs glauben, dass wir schwach sind und nicht den Mut haben, uns zu wehren, weil wir vom Land kommen und die meisten von uns ­weder ­lesen noch schreiben können.

Ich habe früher auch nicht den Mund aufbekommen, aber mit den ­Jahren habe ich es gelernt. Zuerst nur bei Kleinigkeiten, zum Beispiel, wenn es um die Arbeitszeiten ging. Inzwischen kann ich das richtig gut, ich traue mich, meine ­Meinung zu sagen! Neulich zum Beispiel wurde hier eine Frau von der Polizei verhaftet, weil sie beim Putzen angeblich 2000 Rupien gestohlen ­hatte. Doch auch als klar wurde, dass die Vorwürfe nicht stimmen, durfte die Frau nicht nach Hause. Ich bin zur Wache gegangen und habe den Polizisten gesagt, sie sollen sie freilassen. Sie haben versucht, mich hinzuhalten und weg­zuschicken. Sie sind es nicht gewohnt, dass eine Frau so hartnäckig ist – vor allem ­keine Analphabetin. Es hat den ganzen Tag ge­dauert, ich habe nichts gegessen oder ge­trunken. Aber schließlich habe ich erreicht, was ich wollte: Die Frau kam frei.

 

Fatima, 37: "Ich sage meinen Töchtern jeden Tag, dass sie etwas lernen müssen" 

Als ich Haushaltshilfe wurde, musste ich meine drei Kinder oft unbeaufsichtigt lassen, obwohl sie noch klein waren. Zum Glück ist in der Zeit nichts Schlimmes passiert. Während des Putzens habe ich ­ständig an sie gedacht. Aber die Arbeit hat mir auch geholfen. Nicht nur wegen des Geldes. Ich habe gemerkt, dass man sich dadurch Respekt verschafft. Sogar meine Schwieger­eltern haben mich irgendwann akzeptiert.

Um mich heiraten zu können, war mein Mann nämlich zum Islam übergetreten, obwohl seine Familie dagegen war. "Du bist doch Hindu, du kannst keine Muslimin heiraten", haben seine Eltern gesagt. Das hat ihn sehr belastet. Er hat angefangen zu trinken. Seine Familie wollte auch nicht, dass wir in ihr Haus einziehen, wie es üblich ist. Als ich mit meiner zweiten Tochter schwanger war, lebten wir in einer Hütte aus Bastmatten, die eines Nachts durch eine Anti-Moskito-Kerze in Brand geriet. Mein Mann war betrunken und merkte nichts, doch ein Nachbar hat Alarm geschlagen, und wir sind den Flammen knapp entkommen.

Fatima hat sich mit der Arbeit als Haushaltshilfe bei den Schwieger­eltern Respekt ­verschafft. Heute putzt sie nur noch selten, haupt­beruflich ist sie ­Gewerkschafterin

Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass, wer sich anstrengt, auch belohnt wird. Doch ich hatte das Gefühl, es gibt nur Schmerz und Enttäuschung. Natürlich gab es auch andere Momente, in denen ich dachte: "Gott hat dir drei Kinder geschenkt. Was verlangst du noch mehr von deinem Leben?"

Ich trat LEARN (Labour Education and Research Network) Mahila Kamgar Sanghatana bei, einer Gewerkschaft, die sich um die Rechte von Haushaltshilfen, Straßenver­käuferinnen und Heimarbeiterinnen kümmert. Heute bin ich dort die Präsidentin, ich organisiere un­sere Veranstaltungen, sammle die Beiträge ein und motiviere unsere Mitglieder, damit sie sich engagieren. Ich putze nur noch, wenn ich für meine Freundinnen, die Urlaub ­machen oder krank sind, einspringe – damit sie ihre Arbeitsstellen nicht verlieren. Trotzdem reicht mein Einkommen nicht, daher erledige ich nachts noch Näharbeiten.

Als Kind habe ich auf der Straße gelebt. Weil meine Eltern so arm waren, musste ich auf Märkten übrig gebliebenes Gemüse vom Boden aufsammeln. Überall lagen Chili­schoten herum, meine Füße waren wund und brannten schrecklich. Dabei hätte ich so gern gespielt und etwas gelernt. Meine Töchter sind heute vierzehn, dreizehn und sechs. Sie sollen ein besseres Leben haben. Ich sage ­ihnen jeden Tag, dass sie etwas lernen müssen. Sie sollen unbedingt wissen, dass sie auf eige­nen Beinen stehen müssen, bevor sie sich ­verlieben oder heiraten.

 

Devakiamma, 45: "Einen Tag freizubekommen, ist immer ein großes Drama"

Vier Stunden täglich kocht, putzt und ­wäscht Devakiamma bei einer netten Familie. Solche Leute gibt es nur selten, sagt sie

Ich stamme aus einem kleinen Dorf im Bundesstaat Karnataka. In Mumbai arbeite ich täglich in fünf verschiedenen Haushalten, aber es gibt eigentlich nur ein Haus, in dem ich gern bin. Die Familie dort hat mich nie beschimpft oder schlecht behandelt. Wahrscheinlich denken die Leute im Stillen über mich: "Das arme Ding. Sie ist ja auch ein Mensch." Neulich, nachdem ich mit der Arbeit fertig war, hat mich die Frau sogar zum Essen eingeladen. Es gab Lamm. Ich habe abgelehnt und gesagt, ich könnte zu Hause essen. Aber sie hat darauf bestanden und mich erst gehen lassen, nachdem ich bei ihnen gegessen hatte. Vielleicht liegt es daran, dass sie Christen sind so wie ich und dadurch mehr Verständnis für mich und mein Leben haben. Ich weiß, dass sie auch mal arm waren, sie haben früher in einer Hütte in einem Slum gelebt. Doch sie haben sich hochgearbeitet und sind zu Reichtum gekommen. Ich habe schon viele Jobs gekündigt, doch bei dieser Familie arbeite ich mittlerweile seit fünfzehn Jahren.

Die anderen Familien sind nicht freundlich. Wenn die Straßen während des Monsuns überschwemmt sind, erwarten sie, dass ich zur gleichen Zeit komme wie an jedem anderen Tag. Wenn ich einen freien Tag haben will, ist das immer ein großes Drama, selbst wenn ich zu einer Beerdigung in meiner Familie muss. Und wenn ich einmal im Jahr frei nehme und in mein Dorf fahre, bezahlen sie das nicht. Manchmal zahlen sie auch den Monatslohn nicht pünktlich. Ich habe zwei Söhne und zwei Töchter. Die Älteste ist verheiratet, bei mir leben noch drei Kinder, um die ich mich kümmern muss. Mein Mann ist kurz nach der Geburt unserer jüngsten Tochter verschwunden, fünfzehn Jahre ist das her. Ich war selbst nicht in der Stadt, als es geschah, aber ich glaube, dass er Streit mit einem Nachbarn hatte und dann etwas Schlimmes passiert ist. Weil niemand weiß, ob er tot ist und ich keinen Totenschein habe, bekomme ich keine Witwenpension.

Martin Jahrfeld

Martin Jahrfeld erlebte Mumbai als Lärmkultur – eine Welt des Krachs. Bei den Interviews dröhnte oft der Generator einer nahen Brotfabrik. Für den Autor ­nahe der Schmerzgrenze, für die Inderinnen nicht der Rede wert.
 

Ich stamme aus einem kleinen Dorf im Bundesstaat Karnataka. In Mumbai arbeite ich täglich in fünf verschiedenen Haushalten, aber es gibt eigentlich nur ein Haus, in dem ich gern bin. Die Familie dort hat mich nie beschimpft oder schlecht behandelt. Wahrscheinlich denken die Leute im Stillen über mich: "Das arme Ding. Sie ist ja auch ein Mensch." Neulich, nachdem ich mit der Arbeit fertig war, hat mich die Frau sogar zum Essen eingeladen. Es gab Lamm. Ich habe abgelehnt und gesagt, ich könnte zu Hause essen. Aber sie hat darauf bestanden und mich erst gehen lassen, nachdem ich bei ihnen gegessen hatte. Vielleicht liegt es daran, dass sie Christen sind so wie ich und dadurch mehr Verständnis für mich und mein Leben haben. Ich weiß, dass sie auch mal arm waren, sie haben früher in einer Hütte in einem Slum gelebt. Doch sie haben sich hochgearbeitet und sind zu Reichtum gekommen. Ich habe schon viele Jobs gekündigt, doch bei dieser Familie arbeite ich mittlerweile seit fünfzehn Jahren. Die anderen Familien sind nicht freundlich. Wenn die Straßen während des Monsuns überschwemmt sind, erwarten sie, dass ich zur gleichen Zeit komme wie an jedem anderen Tag. Wenn ich einen freien Tag haben will, ist das immer ein großes Drama, selbst wenn ich zu einer Beerdigung in meiner Familie muss. Und wenn ich einmal im Jahr frei nehme und in mein Dorf fahre, bezahlen sie das nicht. Manchmal zahlen sie auch den Monatslohn nicht pünktlich.
  
Ich habe zwei Söhne und zwei Töchter. Die Älteste ist verheiratet, bei mir leben noch drei Kinder, um die ich mich kümmern muss. Mein Mann ist kurz nach der Geburt unserer jüngsten Tochter verschwunden, fünfzehn Jahre ist das her. Ich war selbst nicht in der Stadt, als es geschah, aber ich glaube, dass er Streit mit einem Nachbarn hatte und dann etwas Schlimmes passiert ist. Weil niemand weiß, ob er tot ist und ich keinen Totenschein habe, bekomme ich keine Witwenpension.

Chandranilamma, ca. 55: "Meine Chefinnen sind geizig, aber ich habe Mitleid mit ihnen"

Mein Tag sieht so aus: Morgens um zehn beginne ich mit dem ersten Haushalt. Für die eine Stunde, die ich brauche, bekomme ich 2200 Rupien* im Monat. In der zweiten Wohnung putze ich bis zwölf Uhr, dann fahre ich zur dritten Wohnung. Dort wasche ich die Wäsche und wische die Fußböden. Beide Arbeitgeber zahlen mir dafür je 1800 Rupien im Monat. Am frühen Nachmittag fahre ich zu zwei älteren Frauen und putze dort. Sie sind geizig und zahlen nur 1200 Rupien. Um fünfzehn Uhr fahre ich in die fünfte Wohnung, Chapati-Brot bereiten und Böden machen. Dafür bekomme ich noch einmal 2000 Rupien. Wenn es gut läuft, bin ich um 16.30 Uhr wieder zu Hause. Aber oft sind die Busse verspätet, und ich komme erst um achtzehn Uhr zurück. Das Anstrengendste ist, Chapati-Brot zu backen. Ich knete den Teig, ­rolle das Chapati aus, backe das Brot. Die ­Küchen sind sehr eng, man kann sich kaum bewegen. Ich arbeite im Stehen. Meine Beine fühlen sich oft taub an, mein Rücken schmerzt.

Chandranilamma geht kaum zum Arzt. Zu teuer. Lieber unterstützt sie ihren Sohn

Manchmal bin ich müde von der Arbeit – und der Bus kommt nicht. Wenn ich gar nicht mehr kann, nehme ich ein Taxi. So oder so zahle ich für die Arbeitsfahrten jeden ­Monat rund 1000 Rupien. Mein Sohn und ich ­wohnen zur Miete, die Wohnung kostet 3000 Rupien, der Strom 500 Rupien, die Kabelgebühr 350 Rupien. Dazu täglich zwei Rupien für den Gang zur öffentlichen Toilette, weil wir keine eigene Toilette haben. Muss ich zum Arzt oder benötige ich Medikamente, bitte ich meine Chefs um einen Vorschuss, den ich abarbeite. Deshalb gehe ich kaum zum Arzt. Lieber versuche ich, meinen Sohn zu unterstützen.

Wenn ich meinen Arbeitgebern sage, dass der Lohn zu niedrig ist und am Monatsende nichts übrig bleibt, sagen sie: "Wenn das für dich nicht genug ist, kannst du gern gehen. Wir finden jemand anderen." Und das stimmt auch. Es gibt Haushaltshilfen, die arbeiten für weit geringeren Lohn als ich. Auch die beiden geizigen Frauen habe ich schon ein paar Mal um Lohnerhöhung gebeten – nichts. Einmal habe ich zu ihnen gesagt: "Schaut mal, euer Nachbar schenkt seiner Haushaltshilfe zwei Saris pro Jahr." Doch sie sind überhaupt nicht darauf eingegangen. Trotzdem habe ich irgendwie Mitleid mit ihnen. Sie haben keine Kinder und leben von den Mieteinnahmen ihres Hauses. Ich hoffe, dass Gott sich um sie kümmert und dafür sorgt, dass es ihnen gut geht. Auch wenn sie mir gar nichts zahlen würden, würde ich noch für sie arbeiten. Einfach, um alten Menschen etwas Gutes zu tun.

* 1000 Rupien = 12,12 Euro, Stand 30.8.2018

Saaeda, ca. 52: "Wenn man Respekt zeigt, erhält man Respekt zurück"

Momentan arbeite ich in zwei Haushalten. Einer der Kunden ist Junggeselle. Für den arbeite ich schon über achtzehn Jahre. Ich mache ihm Frühstück, koche sein Tiffin* und beginne dann mit dem Putzen. Ich besitze Schlüssel zu den Wohnungen und arbeite dort, als wenn es meine eigenen Wohnungen wären. Wenn alle Aufgaben erledigt sind, ist es meist abends. Aber ich finde die Arbeit nicht allzu anstrengend. Meistens behandeln mich die Leute mit Respekt. Wenn man Menschen Respekt zeigt, erhält man auch Respekt zurück. Das ist zumindest meine Erfahrung. Einige Leute wollten mich nicht einstellen, weil ich Muslimin bin. "Okay Madame", habe ich immer gesagt, "dann ist das eben so. Ich kann ja wegen Ihnen nicht meine Religion ändern."

Saaeda ist die Hauptverdienerin in der ­Familie. In ihrer ­Einzimmerwohnung ­leben sie selbst und ihr Mann, der Sohn mit Frau und Neugeborenem und die Tochter mit ­ihren drei Kindern

Mein Mann verdient kaum etwas. Früher hat er in einer Schuhfabrik gearbeitet. Er war mal ein sehr guter Schuhmacher. Aber immer mehr Fabriken in der Stadt mussten schließen, und er hat irgendwann keinen Job mehr gefunden. Mittlerweile sitzt er an einer Ecke in der Nähe unseres Hauses und repariert Schuhe und Sandalen. Das reicht für sein Taschengeld, die Zigaretten und den Alkohol. Er fragt mich nie nach Geld. Aber er gibt mir auch keines. Die Haushaltskosten trage ich allein.

Anfangs habe ich für eine reiche Frau im Amrit Building an der Carter Road gearbeitet, dort, wo auch Schauspieler Shah Rukh Khan mal gewohnt hat. Weil ich so viel in diese weit entfernten Viertel pendeln musste, bin ich auf die Idee gekommen, daheim einen Lunch-Service für Angestellte anzubieten. Zurzeit versorge ich sechs Büroangestellte mit Mittagessen.

Wenn ich früher in die großen Häuser ­meiner Auftraggeber gekommen bin und all die schönen Dinge dort gesehen habe, dachte ich immer: Wie schön das wäre, wenn du dein Haus auch so einrichten könntest. Weil ich viel gearbeitet habe, konnte ich sparen. Wer mich heute besucht, wird sagen: "Mein Gott, Saaeda, was für eine wunderschöne Wohnung du hast!" Es ist alles vorhanden. Herd und Waschmaschine und Musikanlage und Fernsehgerät. Alles, alles, alles. Was ich mir für ein erfülltes Leben gewünscht habe, besitze ich heute. Aber es ist für meine ­Kinder und auch für meine Schwiegertochter. Sie sollten nie das Gefühl haben, wir seien arm. Ich ­danke Allah, dass er mir die Kraft gegeben hat, die schwierigen Zeiten in meinem Leben zu bestehen. Das Einzige, das ich mir noch von ihm wünsche, ist, dass er meinen Kindern die gleiche Kraft schenkt.

** Runde Metallbehälter für das Mittagessen, die die Dabbawalas (die Zusteller) in den Haus­halten abholen und den Büroangestellten an den Arbeitsplatz bringen

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