Als Astronaut blicken Sie aus großem Abstand auf unseren Planeten. Was denkt man dann?
Wer da oben ehrlich ist, sieht, wie fragil das Ökosystem der Erde ist, mit einer hauchdünnen Atmosphäre drum herum. Und er versteht, dass wir Menschen für die Erde nicht wichtig sind. Es verhält sich anders: Wir Menschen können ohne dieses Ökosystem nicht überleben. Es ist relativ klar, dass die Erde uns überleben wird. Die Frage ist, wie wir Menschen das anstellen, dass die Erde weiterhin bewohnbar bleibt. Und da macht man sich schon Sorgen, wenn man realisiert, wie zerbrechlich dieses System ist. Zum Beispiel der Amazonas und die riesigen gerodeten Flächen: Jeder weiß doch, das Amazonasgebiet erzeugt das bisschen Sauerstoff, das wir zum Atmen brauchen. Wie kann es sein, dass wir diese Ressource einfach ruinieren?
Alexander Gerst
Auf die Internationale Raumstation, die komplexeste und wertvollste Maschine, die die Menschheit je gebaut hat. Das ist ein einzigartiges Laboratorium im Weltraum, in dem wir Experimente durchführen können, die nirgendwo auf der Erde und durch keinen noch so großen Aufwand möglich wären, die aber wichtig sind für unser Leben. 100 00 Menschen aus 16 verschiedenen Ländern an 500 Standorten haben an dieser Raumstation gebaut. Die Module haben sich vorher auf der Erde nie getroffen und sind vorher nie probeweise zusammengesteckt worden. Das geschah erst im Orbit bei einer Geschwindigkeit von 28 00 Stundenkilometern. Und sie passten auf ein Hundertstel Millimeter genau. Diese Maschine ist ein prächtiges Beispiel dafür, dass wir Menschen noch zusammenarbeiten können. Ein Land allein hätte so etwas nie bauen können.
In einem Tweet von Ihnen sitzen Sie mit Ihren Kollegen am Lagerfeuer. Worüber sprechen Sie da?
Wir trainieren seit vielen Jahren zusammen. Ich kenne Serena seit 2009 und Sergej seit 2012. Wir waren beim Winterüberlebenstraining bei minus 20 Grad im Wald, ohne Zelt und ohne Schlafsack. Da lernt man sich ziemlich gut kennen. Und unsere Familien kennen sich inzwischen auch. Wir haben viel zusammen unternommen. Wenn wir in der Sternenstadt bei Moskau um das Lagerfeuer sitzen, wissen wir, dass das jetzt für eine lange Zeit das letzte Mal sein wird. Seit zwei Wochen ist es hier in Russland warm. Alles ist grün. Und wenn man weiß, man verlässt diesen Planeten, dann schaut man auf solche Dinge mit ganz anderen Augen.
"In hundert Jahren werden Mond und Mars bevölkert sein."
Was bedeutet Heimat für Sie?
Das sind mindestens drei verschiedene Orte. Es ist ja nicht so, dass ich beim Training irgendwo in Houston oder in Russland im Hotel wohne. Ich habe da mein Apartment, in das ich jedes Mal neu einziehe. Ich habe meinen Haushalt verdreifacht. Wenn ich jetzt Hosen kaufe, sind es immer gleich drei. Eine kommt nach Houston, eine nach Russland und eine an meinen Wohnort Köln. Alle drei Plätze fühlen sich wie Heimat an. Überall sind Freunde, und abends gehen wir gemeinsam essen. Das hat sich geändert, als ich auf der Raumstation war. Da habe ich auf diesen Planeten heruntergeschaut und gedacht: Das ist ja schön, das ist meine Heimat da unten. Wenn man diesem Planeten wieder entgegenfliegt, dann ist da diese Aufregung: Jetzt geht es zurück in die Heimat. Und dann landet man nach dem Aufenthalt an Bord der ISS wieder in Kasachstan in der Steppe. Man riecht den torfigen, erdigen Boden und hat das Gefühl, das ist Heimat.
Spielt der Glaube eine Rolle, wenn Sie im Weltraum unterwegs sind?
Wir, die Crew, sind Menschen mit unterschiedlichem Background. Wir brauchen die persönlichen Erfahrungen jedes Einzelnen, auch unseren persönlichen Glauben. Aber wir sind alle unterschiedlich, von sehr religiös bis weniger gläubig. Das ergänzt sich.
Was beeindruckt Sie am meisten beim Blick von oben auf die Erde?
Zu sehen, in welchem schwarzen Nichts sich die Erde bewegt. Ich glaube, es ist dieser Kontrast, der mich am meisten bewegt als Astronaut.
Wovon träumen Sie?
Es ist wichtig, dass wir unsere Umgebung erkunden. Die ist inzwischen in erreichbare Nähe gerückt. Der Mond ist nur ein paar Tage weit, der Mars ein bisschen weiter. Wir verstehen von beiden aber noch überhaupt nichts. Das ist ungefähr wie vor hundert Jahren die Antarktis. Wir dachten, sie ist weiß, leer und lebensfeindlich. Heute haben die Klimadaten aus der Antarktis unser Verständnis für unser eigenes Erdklima erweitert, und das kann uns im Prinzip jetzt retten, weil wir die Prozesse besser verstehen. In hundert Jahren werden Mond und Mars bevölkert sein und Forschungsstationen von Mond und Mars Daten über uns selbst liefern. Der Mond ist ja quasi ein Archiv der Erde. Er ist wahrscheinlich aus ihr heraus entstanden. Der Mars war mal lebensfreundlich. Da gab es eine dichte Atmosphäre und Wasser an der Oberfläche. Jetzt ist er wüst und leer. Was ist da passiert? Wie vermeiden wir, dass die Erde sich ebenso entwickelt? Das sind alles Fragen, die wir beantworten müssen, in unserem eigenen Interesse. Und deshalb müssen wir dahinfliegen, irgendwann.
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