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Habe nun, ach! die Documenta durchaus durchwandert mit heißem Bemühn. Aber eingebracht hat mir dies nur zwei müde Beine und einen ermatteten Kopf. Morgen fahre ich nun nach Münster, um mir die große Skulpturen-Ausstellung anzusehen. Darauf freue ich mich, denn dort findet alles unter freiem Himmel statt. Auch soll es im Westfälischen nicht so moralpädagogisch zugehen wie im Hessischen, heißt es.
Trotzdem bin ich besorgt. Wird es mir wieder so ergehen wie in all den anderen Großausstellungen, die ich in den vergangenen Jahren besucht habe? Wird es mir wieder zu viel werden? Ich laufe und laufe, schaue und schaue. Doch so viel ich auch sehe, umso mehr habe ich am Ende verpasst. Je mehr Eindrücke ich in mich aufnehme, umso schneller verfliegen sie. Natürlich weiß ich, dass die Kunst – wie die Kirche – gelegentlich Großereignisse braucht, um in der Gesellschaft weithin sichtbar zu sein. Aber für mich hat die Kunst – wie der Glaube – vor allem etwas mit Konzentration, Reduktion, Stille und auch Einsamkeit zu tun.
Wenn ich jetzt meine Augen schließe und meinen inneren „Kulturbeutel“ durchsuche: Was für Kunsterlebnisse habe ich im vergangenen halben Jahr gemacht und was ist davon geblieben? Welche Bilderfahrung habe ich bewahrt, welche klingt in mir nach? Wenn ich ehrlich bin, hat sich vieles – vor allem von den großen Spektakeln – längst verflüchtigt.
Anders ist es mit vermeintlich kleinen Kunst-Schauen an vermeintlich angelegenen Orten. Da hat sich mir einiges eingeprägt und beglückt mich immer noch. Zum Beispiel habe ich vor zwei Monaten eine Ausstellung mit Bildern der Berliner Malerin Sabine Herrmann im Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst in Cottbus besucht. Was, Sie waren noch nie in Cottbus und wissen nicht, was man dort aus einem alten Dieselkraftwerk gemacht hat? Das ist schade für Sie. Sie hätten dort in wenigen, lichten Räumen ohne Gelärm und Gedränge ausgewählte Bilder von Sabine Herrmann betrachten können: großformatige Farbkompositionen, in die ich am liebsten wie in einen frischen See oder ein weites Meer hineingesprungen wäre. Da dies nicht möglich war, habe ich lange davorgestanden und mich in diese Bilder hineingeträumt – in aller Ruhe und fast ganz allein. Danke, Cottbus!
Wenn Sie dies verpasst haben, gebe ich Ihnen zum Trost einen Hinweis. In den Hamburger Deichtorhallen, gleich unterhalb des Hauptbahnhofs, ist immer noch eine Schau mit Videoarbeiten von Bill Viola zu sehen. Wer beim Wort „Videokunst“ zurückschreckt, weil er dabei an dunkle, klamme Kammern mit banalen Bildschirmen denkt, auf denen überambitionierte und ewig lange Filme laufen, bei denen man stets den Anfang verpasst hat und das Ende nicht abwarten möchte, darf hier neu nachdenken: Denn mit den Mitteln moderner Technik malt Viola Gemälde in durchaus altmeisterlicher Manier, mit zarten Bewegungen und überraschenden Dynamiken, in denen sehr viel Stille steckt und eine meditative Kraft, die man sich für manche Kirche wünsche würde.