Das Thema Freiheit packt die Kirchentagsbesucher schon lange, bevor sie die Hallen und Plätze der Diskussionen betreten haben. Noch nie wurde ein Kirchentag von so vielen Polizisten gesichert wie der Berliner des Jahres 2017. Er ist bei weitem nicht so entspannt und sorglos wie andere zuvor.
Doch trotz eines großen Aufgebots an Beamten und angesichts ungezählter Maschinenpistolen lassen sich die Besucher und Diskutanten nicht den Blick dafür trüben, dass es um die Menschenrechte, vor allem um die Religionsfreiheit in Deutschland so ganz anders bestellt ist als in vielen Ländern der Erde. Hier gibt es zweifellos eine abstrakte Gefährdung - durch Terroristen, in manchen muslimischen Ländern werden Christen hingegen systematisch unterdrückt, vom Staat, von der religiösen Mehrheit.
Wie steht es um die Rechte der Kopten in Ägypten?
Steht es wirklich so schlecht um die Rechte der Kopten in Ägypten? Anba Angaelos, Erzbischof der koptisch-orthodoxen Kirche im Vereinigten Königreich, meint ja. Geboren 1967 in Kairo, aufgewachsen in Australien, seit 1995 in Großbritannien, hat die Welt gesehen. Ökumenisch ist er höchst aktiv. Er schildert in der Französischen Friedrichstadtkirche, welchem Hass und welcher Verfolgung die Kopten ausgesetzt und dass sie ihrer „Bürgerlichkeit beraubt“ sind. Aber statt sich in einer Verteidigungsposition zu verschanzen, wirbt er dafür – umso engagierter für Religionsfreiheit einzutreten: nicht etwa für die eigene, sondern die aller Religionen.
„Religionsfreiheit ist ein von Gott gegebenes Recht“, sagt der koptische Bischof. „Deshalb müssen wir für dieses Recht aller Menschen eintreten.“ Wenn Menschen anderer Bekenntnisse verfolgt würden, sei es ist es Aufgabe aller Christen, Einfluss zu nehmen. Er erwähnt die Religionsgemeinschaft der Bahai. Und für alle formuliert er: „Kirchen können neu aufgebaut werden, Menschenleben kann man nicht wiederherstellen.“ Und er bittet die Zuhörer: „Betet für die Verfolger! Die Verfolger sind wie alle anderen Menschen von Gott erschaffen.“ Am ägyptischen Großscheich Ahmad al-Tayyeb, Kairo, ärgert ihn allerdings, dass der immer wieder von den christlichen Kreuzzüge redet. „Aber das ist doch 1000 Jahre her“, sagt der Kopte.
"Wenn so viele Muslime sagen, der 'IS' habe mit dem Islam nichts zu tun, dann sollten wir das glauben“
Vor pauschalen Verfolgungsmythen warnt Cornelia Füllkrug-Weitzel, von der Moderatorin Silke Lechner charmant als „Miss Entwicklungspolitik der evangelischen Kirche“ vorgestellt. „Dass nicht mehr so viele Christen in Ländern des Nahen Ostens leben, hat nicht nur mit Verfolgung zu tun, sondern auch mit Perspektivlosigkeit der Menschen.“ Christen würden in muslimischen Ländern auch sehr geschätzt. In Jordanien stünden zehn Prozent der Parlamentsplätze Christen zur Verfügung. Christen gälten für das jordanische Königshaus als eine Art Garantie für Toleranz und Freiheit im Lande. Und in der Verfassung des Libanon stehe, dass Christen in den öffentlichen Ämtern ausgewogen repräsentiert sein sollen.
Ihr Urteil über den sogenannten Islamischen Staat ist eindeutig und hart: „Der 'IS' ist eine kleine gewalttätige Clique, die sich eine religiösen Namen gibt. Aber wenn so viele Muslime sagen, die 'IS' habe mit dem Islam nichts zu tun, dann sollten wir ihnen das glauben.“
Sie mahnt zur Zurückhaltung bei öffentlicher Kritik an der Verfolgung von Christen in muslimischen Ländern. Durch sie setze man die Christen zusätzlichen Gefahren aus. Einzig sinnvoll sei, ihnen dadurch zu mehr Anerkennung in ihrem Land zu verhelfen. Zum Beispiel dadurch, dass man sie dabei unterstützt, Hilfsgüter an andere zu verteilen.
Würden nur sie westliche Gelder bekommen, würden sie sofort mit dem Westen identifiziert. Ihnen wird vorgeworfen, westliche Spione und antimuslimisch zu sein.
"Es wird für die Religionsfreiheit vielerorts enger"
Christen sind nur glaubhaft in ihrem Einsatz für Religionsfreiheit, wenn sie dies ungeteilt tun. Die Finger richten sich also auch auf uns selbst.
Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechte in Erlangen, bis Oktober 2016 Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrates, beobachtet, dass es „für die Religionsfreiheit vielerorts enger wird“. Das spüren zum Beispiel die Zeugen Jehovas in Russland. „Wir erleben auch neue Wellen der Schiitenverfolgung durch Sunniten, zum Beispiel in Bahrein. Es trifft selbst einen Scheich in Bahrein.“
Und wenn der „IS“ vertrieben ist. Kann dann Versöhnung gelingen? „Mossul ist zurückerobert“, sagt Bielefeldt. „Aber was jetzt? Kehren die Flüchtlinge zurück in die Dörfer, in denen Menschen leben, die beim 'IS' mitgemacht haben?“ Seine Empfehlung: Langsam wieder eine Gesprächskultur aufbauen, neue interreligiöse Gespräch einfädeln.
Ist das Christentum von Haus aus tolerant?
Aber er sagt auch: Die Verfolgungen hat auch viel mit Korruption zu tun. „Korruption zerstört Vertrauen. Wo Staaten durch und durch korrupt sind, haben Menschen kein Vertrauen in ihn mehr. Ohne Vertrauen gibt es keine funktionierende Institution. Das führt zur politischen Paranoia. Ganze Milieus werden zersetzt. Letztlich ernährt der Krieg den Krieg.“
Ist das Christentum von Haus aus tolerant? Oder ist bereits in der Abgrenzung zum Judentum Intoleranz zugrundegelegt? Es gab kritische Fragen zum Reformationsjubiläum als Christusfest. Gibt es eine Christologie ohne antijüdischen Ton, fragte ein jüdisch-christliches Podium in der Hochschule der Künste.
Amoz Oz über Antijudaismus und Judas
Der große israelische Schriftsteller Amos Oz erzählt vom schleichenden Gift des Antijudaismus. Er zeichnet ein Bild von Judas, der Jesus verraten haben soll, das große Thema seiner letzten Novelle. Die Geschichte ist ihm wichtig, weil sich in ihr ein negatives Verständnis der Juden zeigt. Warum küsste Judas Jesus? Etwa um ihn dadurch für die Tempelpolizei zu identifizieren? Aber ihn kannte doch jeder! Diese widersprüchliche Geschichte ist wohl deshalb so berühmt und unverwüstlich, weil sie ein eindeutiges Bild der Juden zum Inhalt hat. „Keine andere Geschichte über Juden hat je so viele antijüdische Verletzungen und Verfolgungen hervorgerufen“, sagt Amos Oz. Und das, obwohl Judas ein überzeugter Anhänger Jesu war, kein Verräter.
Ja, es gibt antijüdische Traditionen in der evangelischen Kirche. Und nein, sie bestimmen heute nicht mehr das Verhältnis zum Judentum. Ob es das christlich-jüdische Verhältnis verbessert, wenn zum Beispiel hoch an der Außenwand des Wittenberger Stadtkirche eine 700 Jahre alte „Judensau“ abgenommen wird, wie eine kleine Gruppe um einen Leipziger Pfarrer fordert, ist zweifelhaft. Diese wie ähnliche Plastiken zeigt Juden, die an den Zitzen eines Schweines trinken, eine Verhöhnung der Juden.
Die Plastik in einem Museum verschwinden zu lassen, ist keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Antijudaismus der Kirche. Diese muss aktiv in der Gemeinde und Stadt Wittenberg betrieben werden, und das geschieht auch. Im Straßenpflaster vor der Kirche ist eine Gedenktafel eingelassen, eine „Stätte der Mahnung“, es gibt Gottesdienste und Diskussionen zum Thema. Sollte man etwa auch antijüdische Bemerkungen in der Bibel verschwinden lassen? Und doch besser die Kraft aufbringen, sich dieser Herausforderung immer wieder zu stellen?