Playmobil, Ausstechformen - und Nudeln: An "Luther-Kitsch" gibt es so einiges
Verlag am Birnbach
Merchandising-Kitsch
­Eine ­Nudel namens Martin
Luther-Pasta, Luther-Bier und Luther-Zwerge. Zwischen solchem Merchandising-Kitsch und seriösem Reformationsgedenken liegen Welten. So scheint es zumindest. Der Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche fragt: Wie kriegt man beides zusammen, ohne dass es peinlich wird?
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
19.10.2016

Manchmal ist es der Erfolg, der aus einer charmanten Idee ein Problem macht. Ein Beispiel dafür ist der Playmobil-Luther. Die bayerische Landeskirche hatte ihn mit zwei Tourismuseinrichtungen in Auftrag gegeben. Das war ein hübsch subversiver Einfall. Sie unterlief die hochpolemische Luther-Ikonographie der Reformationszeit wie auch das hohle Pathos der Luther-Denkmäler des 19. Jahrhunderts. An die Stelle des heiligen Helden mit dem Hammer setzte sie einen freundlichen, kleinen Kerl mit Feder und Bibel in der Hand. So wollte man Luther mal auf eine andere Art unters Volk bringen: als Spielfigur. Ob Kinder tatsächlich mit ihr spielen, ist unbekannt. Offenkundig aber ist der nostalgische Reiz für all die Erwachsenen der „Generation Playmobil“. Sie lieben die ironische Re­formatorenschrumpfung.

###mehr-galerien###Playmobil war anfangs skeptisch und legte eine bescheidene Stückzahl auf. Dann kam ein überwältigender Erfolg. Inzwischen sind etwa 400 000 Stück verkauft, und aus der kleinen Initiative gegen lutherischen Triumphalismus und protestantischen Bierernst ist die Ikone für 2017 geworden. Man begann, sich zu ärgern. Schon der „Luther-Zwerg“ von Ottmar Hörl, für 500 Euro in fünf verschiedenen Farben erhältlich und gerade einen Meter hoch, war eine ästhetische Verkitschung und inhaltliche Entleerung gewesen – umso mehr der Playmobil-Luther: ein Plastikklischee ohne individuelles Gesicht, dem übrigens die Bibel ständig aus der Hand fällt. Ist dies das Abbild des heutigen Protestantismus: An die Stelle der alten Heldenverehrung tritt nun ein verkaufsträchtiges Kindchen­schema? Man fragt sich, ob man mit solchen ­Gimmicks das Gedenken nicht beschädigt, das man doch befördern wollte.

Oder sind das Einwände, auf die nur hochmütige Theologen kommen? „Ich per­sönlich finde es gut“, erklärt Michael Mädler von der bayerischen Landeskirche, „dass wir sowohl für die breite Bevölkerung als auch für eine ästhetisch anspruchsvollere Klientel etwas anzubieten haben. Und dass der Playmobil-Luther eine Massenattraktivität gewinnt, entspricht ja ein bisschen dem, was dem Gedankengut des Reformators seinerzeit geglückt ist.“

Schreckliche Vorläufer und Klischees

Das ist die Herausforderung: den Spagat einer ebenso publikumswirksamen wie inhaltlich angemessenen Er­innerung an die Reformation zu schaffen. Eine große Aufgabe ist dies. Was kaum einer weiß: Die heutige Gedenkkultur verdankt sich der Reformation. Die erste Jahrhundertfeier des Thesenanschlags im Jahr 1617 setzte die historische Memoria, die feierliche Erinnerung, an die Stelle der Jubeljahre, die die Papstkirche für ihre Ablässe inszenierte.

###autor###Die heutigen Gedenkfeiern für Kriegsanfänge und Friedensschlüsse, epochale Menschheits­verbrechen und humanitäre Neuaufbrüche, aber auch familiäre Erinnerungsfeiern wie goldene Hochzeiten, verdanken sich unbewusst den ersten Reformationsjubiläen. Und blickt man sich heute um, wird man kein nationales Ereignis finden, das es mit „2017“ aufnehmen kann. Es müsste schon eine Fußball-WM kommen...

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass Theologie, Kirche, Staat, Kultur, Zivilgesellschaft und Touris­muswirtschaft gut zusammenarbeiten, sich ergänzen und begrenzen. „2017“ kann nur gelingen, wenn Geschichtsforschung, -kultur, -politik und -wirtschaft etwas Gemeinsames schaffen. Hier gibt es – allerdings schreckliche – Vorläufer: die konfessionalistisch-nationalistischen Reformationsjubiläen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Hier wurden Legenden geschmiedet und Bilder geschaffen, die leider, auch in großer Zahl als Ansichtskarten verschickt, bleibenden Eindruck gemacht haben. Man ist erstaunt, wo diese längst widerlegten Luther-Klischees immer noch auftauchen.

"Das ist Hammer!", sagt der Staat. Die Kirchen lieben leisere Töne

Die ernst zu nehmenden Erinnerungsarbeiter aber sind sich einig, dass sie den alten Luther-Kult nicht weiterführen wollen. Sie möchten, ohne die Bedeutung des ­Reformators zu schmälern, auch seine dunklen Seiten zeigen und auf die europäische Vielfalt der Reformation aufmerksam machen. Vor allem ist ihnen die Entfernung zwischen heute und damals wichtig: Luther ist ein Fremder. Doch genügt es, die historische Distanz zu markieren? Muss man auch sagen, was diese Geschichte für uns ­heute bedeutet, worin sie immer noch aufregend und anregend ist? Und muss man dafür nicht über das his­torisch Korrekte hinausgehen?

„Wer heute an die Reformation er­innern und über sie informieren möchte, braucht plakative Türöffner“, meint Benjamin Hasselhorn, Historiker an den Luther-Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Pünktlich zum Schlussspurt der Jubiläumsvorbereitungen hat er einen instruktiven Sammelband „Luther vermitteln. Reformationsgeschichte zwischen Historisierung und Aktualisierung“ herausgebracht. Aus seiner Erfahrung als Kurator weiß er: „Man muss die Menschen einladen, sich mit dieser Geschichte zu beschäftigen, die ihnen zunächst so fremd ist. Und am besten lockt man sie immer noch mit den großen alten Luther-Geschichten über die Türschwelle. Wenn sie diese aber überschritten haben, hat man die Chance, die Reformationsgeschichte in ihrer Komplexität zu vermitteln.“

Es genügt nicht, die Legenden von Thesenanschlag oder Tintenfasswurf zu zerstören, man muss sie auch nutzen. Auffällig ist übrigens, dass die evangelische Kirche vorsichtiger für 2017 wirbt als einige staatliche Einrichtungen. So werden die drei nationalen Ausstellungen im nächsten Jahr unter dem Slogan „3xHammer.de. Die volle Wucht der Reformation“ beworben – volle Dröhnung also! Zu lange sollte man sich darüber aber nicht erregen.

Interessanter ist, was langfristig überzeugt

Problematischer ist etwas anderes: Immer noch verweigern sich zu viele Wissenschaftler der Aufgabe, ihr Wissen einem großen ­Publikum zu vermitteln. Die Gesellschaft, die sie ja finanziert, hat ein Anrecht ­darauf, dann und wann etwas von den Damen und Herren Professoren zurückzube­kommen. Sie sollen engagiert lehren, gewissenhaft forschen, aber auch die Allgemeinbildung befördern. Letzteres ist eine intellek­tuelle Herausforderung für sich: komplexe Sachverhalte so einfach wie möglich (aber auch nicht mehr) darzustellen. Viele verbleiben da lieber im Schonraum des akademisch Richtigen und fachlich Langweiligen.

Dabei sind die Gefahren der Banali­sierung, der Kommerzialisierung, des Kitsches gar nicht so groß. Natürlich gibt es Luther-Bier, Luther-Ausstechformen und Luther-Quietsche-Entchen. Aber im Vergleich zu dem, was rund um den Vatikan feilgeboten wird, nimmt sich das Reforma­tionsmarketing bescheiden aus. Auch wird das meiste davon schon bald aufgegessen, ausgetrunken oder weggeschmissen sein. Interessanter ist, was langfristig überzeugt. Und da gibt es einiges.

Zum Beispiel sind gute Bücher erschienen: die Luther-Biografie von Heinz Schilling oder die Reformationsgeschichte von Thomas Kaufmann. Das klingt langweilig, aber der Protestantismus ist aus gutem Grund eine Lesekonfession: Wer ihn verstehen will, muss sich ein bisschen anstrengen, wird aber auch mit Lesefreuden belohnt.

Die vielleicht schönste Art, der Reformation zu gedenken

Zudem wird es einiges zu sehen geben. Schon an Karfreitag dieses Jahres hatte das ZDF in einer Sendung mit Petra Gerster gezeigt, dass die Reformation sehr wohl fernsehtauglich ist, wenn man es richtig anstellt. Gespannt darf man auf die sechsteilige Reihe „Luther-Code“ sein, die ab 29. Oktober bei Arte zu sehen sein wird, sowie auf einen TV-Spielfilm über Katharina Luther, der im nächsten Jahr ausgestrahlt wird.

Die aber vielleicht schönste Art, der Reformation zu gedenken, ist denkbar einfach. Sie wird gegenwärtig an vielen Orten, auf sehr unterschiedlichen Ebenen vorbereitet: Menschen werden aufgefordert, in einer These das öffentlich zu sagen, was sie unmittelbar umtreibt und unbedingt angeht. So entsteht gerade gemeinsam mit dem Literaturhaus Frankfurt am Main ein Buch mit 95 Thesen bekannter Intellektueller. Aber auch viele Kirchengemeinden machen sich auf, bitten Menschen in ihrem Gemeinwesen um ihre These, um sich mit ihnen darüber auszutauschen, was heute zum Leben notwendig und heilsam ist. Was könnte reformatorischer sein? 

Und wenn die eine oder andere These etwas kitschig geraten sollte, wäre das kein Schaden. Denn man soll nicht vergessen: Kitsch kann auch eine populäre Gestalt der Liebe sein.

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Die Peinlichkeit ist nicht so schlimm. Schlimmer ist der kostenüberschreitende Faktor und die Konsumorientierung. Zudem bleiben die kleinen Leut weitestgehend außen vor. Außer der üblichen Augenwischerei versteht sich.
Wie eben solche langen, aber nichtssagenden Artikel z.B., die feilbieten, was lieber unerwähnt bleiben sollte. Das ist schon peinlich !
Die Nudel, der Vergleich mit dem Vatikan, wonach sich der protestantische Nippes nicht ganz so schlimm ausnehme wie eben der dortige. Wie überaus tröstlich !
Wenn der Protestant seine Reformation braucht, um aus einem 500 jährigen Dornröschenschlaf in D. zu erwachen, dann wäre das mehr als peinlich, weil man sich fragen müsste, wie solle man die Schlummerzeit dazwischen denn erklären ?
Es lassen sich natürlich immer Erklärungen finden, und Beschäftigung für willige Leute, und solche, die keine Ahnung haben.
Nur wird es immer übelerregender.
Man sollte nicht glauben, dass das Fest der Reformation alle Ressentiments bereinigt. Es räumt sie nur für den Moment aus dem Weg.