Jakob Köster bei der Arbeit
Foto: Patrick Desbrosses
"In einem Kinderhospiz ticken die Leute anders"
Jakob Köster betreut während seines Freiwilligendienstes chronisch kranke Kinder in einem Hamburger Hospiz
Tim Wegner
17.10.2015

Nach dem Abi sagte ich meinen ­Eltern, dass ich Mönch in Thailand werden möchte. Der Haken: Vom Buddhismus her brauche ich das Einverständnis meiner Eltern. Nee, sagten die, ist nicht. Nach elenden Debatten sind sie mir entgegengekommen: O. k., Jakob, aber vorher studierst du was. Und bis du weißt, was, verdienst du dein eigenes Geld.

Ich wollte in ein Hospiz reinschauen. Meine Großmutter ist in einem Hospiz gestorben; ich fand die Atmosphäre beeindruckend, ich war nach jedem Besuch total geerdet und wusste wieder, was eigentlich von Bedeutung ist und was nicht. Deshalb arbeite ich jetzt ein Jahr freiwillig in einem Hospiz für Kinder und Jugendliche, im Hospiz Sternenbrücke in Hamburg. Die meisten Kinder haben eine chronische, ­lebensverkürzende Krankheit, viele außerdem eine geistige Behinderung. Die Kinder kommen mit ihren Familien immer wieder ­für ein paar Wochen ins Hospiz.

"Wir machen Quatsch, aber guten Quatsch"

Zum Glück war ich am Anfang bei den Hausmeistern, so dass ich mich langsam an die Situation gewöhnen konnte und nicht jedes Mal dachte: Das ist ein Kinderhospiz, das ist ein merkwürdiger Ort. ­Sondern: Ich bin ein Hausmeister, ich mach hier einfach meine Arbeit.

Da gibt es einen Jungen, der ist ein abso­luter Fan von Handwerkern, mit dem habe ich dann zusammen das Laub weggepus­tet, der findet schon das Geräusch total toll. Wir fahren auch öfter mit seinem Rolli zu einer Baustelle in der Straße – und neulich durfte er dort auf einem Bagger sitzen, wir hatten einfach mal gefragt.

Freiwilligendienst

Deutschland? Chile? Auf der Freiwilligenbörse ein-jahr-freiwillig.de können sie sich über Angebote informieren.Und weitere Informationen gibt es bei den Evangelischen Freiwilligendiensten

Es hört sich pathetisch an, aber es gibt doch kaum was Schöneres, als mit einem Kind, das nicht mehr so viel Zeit hat, was zu erleben. Wenn es auch kleine Dinge sind. Da was zu reißen, bedeutet mir viel.

Manche Ehrenamtliche bei uns neigen dazu, die Kinder zu verhätscheln. Die meinen es natürlich gut. Aber wir haben zum Beispiel einen Jungen da, Sohn einer alleinerziehenden Mutter, der ist 13, der will auch mal einen Konflikt. Wenn man ihm hinterherrennt, ihn hochnimmt und aufs Wasser­bett schmeißt, hat er wesentlich mehr Spaß, als wenn man ihm was Nettes sagt. Wir ­machen Quatsch, aber guten Quatsch.

Ich behandle die Kinder aber schon auch streng. Das erleichtert mir die Arbeit. Und wenn dieser 13-Jährige zum Beispiel sagt: „Ich mag dich nicht“, dann sage ich: „Ja und?“ Oder ich sage ironisch: „O, ich liebe dich über alles!“ Aber ich weiß mittler­weile, bei welchem Kind ich einen schnoddrigen Witz machen kann, und welches Kind gekränkt wäre, weil es den Witz ernst nimmt.

"Wie soll man Eltern gegenübertreten, wenn ihr Kind verstorben ist?"

Eigentlich hatte ich gedacht, dass mir das Thema Tod sehr viel mehr zu schaffen machen würde. Alle hatten gesagt, dass ich aufpassen müsse, dass ich nicht so ein starkes Verhältnis zu den Kindern aufbaue. Aber dann hätten die Kinder nichts davon, und ich habe auch keinen Spaß. Wenn ein Kind dann verstorben ist, trauere ich ein paar Tage sehr. Aber hinterher genieße ich, dass ich wieder einen Blick für das Wesentliche habe.

"Wir brauchen ihre Stimme"

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Nur eins weiß ich immer noch nicht: wie man den Eltern gegenübertreten soll, wenn ihr Kind verstorben ist. Wollen sie in den Arm genommen oder in Ruhe gelassen werden, wollen sie sprechen? Ich glaube, um das einschätzen zu können, braucht man richtig viel Erfahrung. Ich lass dann die anderen ihre Arbeit machen.

Am Anfang, wenn ich nach der Arbeit in die Bahn gestiegen bin, war ich total empört über all die deprimierten Gesichter in der Bahn. Ich dachte: Was erlaubt ihr euch, so zu gucken! Euch geht’s klasse, und ihr macht so eine Fresse! Aber dann wurde mir klar: In einem Kinderhospiz ticken die Leute anders, die Mitarbeiter und die Familien.

Vorher war ich ein sehr konfliktscheuer Mensch. Jetzt gibt es mal Streit, der ist dann aber auch notwendig. Meine Eltern sagen, dass ich mich total verändert hätte, und eher zum Schlechten, vorher war ich so lieb, und nun will ich auf einmal alles alleine machen, obwohl sie es eigentlich besser wissen. Jetzt haben wir schriftlich vereinbart, dass sie mir Ratschläge geben können, aber nicht erwarten dürfen, dass ich sie umsetze – ich trage dann auch alle Konsequenzen. Deshalb suche ich mir jetzt alleine eine Wohnung in Bremen. Da werde ­ich Philosophie studieren und später noch Physik dazunehmen.
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