Sophie Keller
Foto: Patrick Desbrosses
Dem Dorfsterben entgegen treten
Sophie Keller setzt sich als Dorfraumpionierin für die Zukunft kleiner Städte und Dörfer ein
Tim Wegner
17.10.2015

Ich habe als Dorfraumpionierin nicht nur etwas über Dörfer gelernt, sondern auch über Erwachsene: nämlich dass sie mehr miteinander reden sollten und so die Gemeinschaft stärken. Schon als wir uns den ersten Flyer der Stadt anschauten, wussten wir: Die Leute in Obermoschel haben ein Kommunikationsproblem. Das ging so weiter. Für unsere Bürgeranhörung hängten wir überall Einladungszettel aus – in der Tankstelle, bei der Haarstation, im Getränkemarkt, beim Bäcker. Aber es kamen nur sechs Leute. Das war erstaunlich.

Zuerst nahmen die Erwachsenen, auch die Gemeinderäte, uns Jugendliche nicht so richtig ernst. Ich glaube, sie haben nicht verstanden, dass wir nicht nur was für uns machen wollen, sondern für die ganze Gemeinde, auch für Senioren oder für junge Familien. Erst als wir mit unseren Frage­bögen loszogen, haben die Erwach­se­nen ihre Anliegen an uns herangetragen. Wenn wir klingelten, sagten sie zwar zunächst: „Ich hab nicht so viel Zeit, aber kommt erst mal rein; wollt ihr was trinken?“ Aber dann hat man sich hingesetzt, und sie haben erzählt, manchmal sogar die ganze Lebensgeschichte. Sie waren total glücklich, dass sie ihre Geschichte erzählen konnten. Das fand ich großartig.

"Den Leuten fehlt der Zusammenhalt"

Ehrenamt

Lust bekommen, selbst ehrenamtlich in der Kirche mitzuarbeiten? Hier einige Tipps.

Ich hatte am Anfang Angst, dass die Leute uns angreifen, wenn wir sagen, was wir über das Image von Obermoschel herausgefunden haben. Aber 80 Prozent bestätigten uns: Das Image ist schlecht, man sieht sich auf der Straße gar nicht mehr, man kennt nur noch die direkten Nachbarn, Obermoschel steht auf dem Abstellgleis, in der zentralen Straße gibt es zu viel Leerstand, ein trauriger Anblick. Sie haben aber auch die guten Seiten aufgezählt: Es gibt noch einen Metzger, zwei Bäcker, zwei Hausärzte, zwei Autowerkstätten . . . Viele wünschen sich wieder ein Café, dass man gern durch die Altstadt geht, sich dort verabreden kann. Der Döner und der Pizza-Abholservice eignen sich dafür nicht.

Und die Leute sagten, dass ihnen der Zusammenhalt fehlt. Aber wenn es Arbeitseinsätze gibt, zum Beispiel auf dem Spielplatz, kommen immer dieselben ­Leute. Und diese wenigen sagen: „Warum soll ich da noch hingehen? Letztes Mal ­waren auch nur ich und mein Mann da.“

"Vielleicht stellen wir eine Couch mitten in den Ort"

Die Leute in Obermoschel kommen nicht aus ihren Häusern raus. Nicht mal zu unserer Endpräsentation. Die war für die ganze Gemeinde gedacht, und wir ­hatten ja an mehreren Wochenenden immerhin 200 Leute einzeln befragt gehabt – es kamen dann nur 40 Leute. Wir waren schon ein bisschen enttäuscht. Aber die, die da waren, gaben uns nur positives Feedback, und sie fragten, wie sie sich beteiligen können.

"Wir brauchen ihre Stimme"

Heirnich Bedford-Strohm wünscht sich, dass die Jugend in der Kirche mehr mitbestimmen kann.

Jetzt wollen wir unser Wissen umsetzen. Der erste Schritt ist, dass die Leute aus ihren Häusern rauskommen. Wir werden uns „Sofa-Grumbeere“ nennen, das ist pfälzisch für Couch-Potatoes. Vielleicht stellen wir eine Couch mitten in den Ort. Mal gucken, wer vorbeikommt und was dann passiert. Als wir an den ­Be­fragungswochenenden unseren Standort im evangelischen Gemeindehaus ­hatten, mit Kuchen und Kaffee, wurde das auf einmal zu einem Treffpunkt. Die Leute wollten gar nicht mehr gehen!
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