Lisa Reinermann
Kein blinder Optimismus
Manche Menschen haben eine positive Lebenseinstellung, die durch noch so schlimme Erfahrungen nicht erschüttert werden kann
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
03.06.2015

Der österreichische Schriftsteller Friedrich Torberg hat eine bemerkenswerte Geschichte in einer Novelle aus dem Jahr 1943 erzählt. Sie spielt in einem kleinen Konzentrationslager an der holländischen Grenze. Der Kommandant dort ist ein Sadist. Er lässt die Häftlinge so lange foltern, bis sie sich selbst töten wollen, vor seinen Augen. Dazu reicht er ihnen seine Pistole. Jüdische Häftlinge diskutieren darüber, ob sie, wenn sie in diese Situation kommen, die Gelegenheit nutzen sollen, den Kommandanten zu erschießen. Manche sind dafür. Aber andere zitieren den Satz aus der Bibel: „Mein ist die Rache, spricht der Herr.“ Sie vertrauen darauf, dass Gott die Gerechtigkeit wiederherstellen wird.

Gottvertrauen zu haben bedeutet nicht, naiv zu sein. Pastor Henning Kiene vom Kirchenamt der EKD erklärt, was Gottvertrauen ist - und wo es seine Grenzen hat.

Ob Gottvertrauen trägt, zeigt sich in ­Extremsituationen. Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Theologe, saß wegen seines Widerstands gegen die Nationalsozialisten in Haft, als er die Verse dichtete: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns, am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Ist das blinder Optimismus? Eben nicht. Es ist nicht das naive „Es wird schon alles gut gehen“. Es bedeutet nicht, alle Vorsicht fahren zu lassen, Eigeninitiative zu vermeiden, Verantwortung abzuschieben und darauf zu hoffen, dass die eigenen Dummheiten und Fehler von anderen ausgebügelt werden. Der Häftling Bonhoeffer wusste sehr wohl, dass seine Lage aussichtslos war, gleichwohl fühlt er sich geborgen. Er hat Hoffnung in einer Lage, die objektiv betrachtet hoffnungslos ist. Sein Vertrauen in Gott wird nicht einmal durch die ­Menschen erschüttert, die ihm Haft und Verfolgung bescheren und die ihn im KZ Flossenbürg später erhängen sollten.

In jeder Religion spielt Gottvertrauen eine Rolle

Etwas von diesem Selbst- und Gottvertrauen Bonhoeffers zu haben, das wünschen sich viele Menschen. Diese Haltung lässt sich nicht einfach mit einem beson­deren Mut oder mit Heldenhaftigkeit erklären. Es ist eine innere Souveränität und zugleich ein besonderer Blick auf die Welt: offen, neugierig, erwartungsvoll. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen“, mahnt Jesus seine Jünger, die mit heftigen Rivalitäten untereinander beschäftigt sind. Er bringt ihnen bei, Gott mit „Abba“, Papa, anzusprechen. Offenheit und Lebens­freude statt Rivalität und Kampf. Das bringt Gelassenheit und die Einsicht, dass man nicht alles selbst erledigen muss. Und es schützt vor Selbstüberforderung und vor dem Zwang, alles kontrollieren zu müssen. 

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Schreiben Sie (bitte mit vollständiger Anschrift) an: chrismon, Stichwort: Religion für Einsteiger, Postfach 50 05 50, 60394 Frankfurt am Main, oder per E-Mail: religion-fuer-einsteiger@chrismon.de.

Ob dann alles gut geht? Natürlich nicht. Trotz ihres Gottvertrauens starben Mil­lionen Juden und viele Menschen aus dem Widerstand. Aber viele ließen sich nicht von Lebensangst beherrschen. Entwicklungspsychologen sprechen davon, dass  Kleinkinder ein Urvertrauen erwerben müssen, das dann ihr ganzes Leben prägt. Anders als von Sigmund Freud wahrgenommen, ist der christliche Glaube nicht automatisch eine Angstquelle und ein Instrument zur Infantilisierung der Menschen, sondern er kann Menschen stark, souverän, entscheidungsfreudig, selbstverantwortlich machen. 

###autor### In jeder Religion spielt Gottvertrauen eine Rolle. Von der Hindu-Gottheit Shani fühlen sich die Bewohner einer indischen Stadt so gut beschützt, dass sie auf Türen an ihren Häusern und Wohnungen verzichten. Als lebensnäher erscheint ein Ratschlag Mohammeds, den der deutsch-iranische Autor ­Navid Kermani in einer seiner Frankfurter Poetik­vorlesungen ­zitiert: „Vertraue auf Gott, aber binde dein Kamel an.“

Soll man gutgläubige Menschen bewundern oder sie eher zur Vorsicht mahnen? Als 1914 der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo Opfer eines Attentats wurde, schrieben manche Historiker seine Unbedachtheit, trotz der vielen Vorwarnungen weitgehend ungeschützt im offenen Wagen zu fahren, seinem Gottvertrauen zu. Und der Papst? Er fährt in einem Wagen mit Panzerglas durch die jubelnde Menge. Die Bilder des Attentats von 1981 sind noch vielen vor Augen.

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