Eine Hilfestellung
Zu Hause sterben. Ist das für jeden Schwerkranken möglich? Hier finden Sie Adressen und Informationen zu Palliativmedizin, Betreuungsdiensten, Depression, Sterbehilfe, Schmerzmittel, Unterstützung und Pflegezeit für Angehörige, Bürokratie, Übernahme der Kosten und Seelsorge.
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
15.10.2014

Wer steht dem Sterbenden zu Hause bei?

In erster Linie seine Angehörigen – wenn die dazu bereit sind. Außerdem, falls er oder sie eine Pflegestufe beantragt hat, die Pflegerinnen und Pfleger der ambulanten Betreuungsdienste. Und natürlich der Hausarzt. Und privat bezahlte Pflegerinnen oder Pfleger.

Ein alter Mensch lebt aber vielleicht schon seit langem in einem Heim.

Dann ist das sein Zuhause, auch wenn er auf die Pflegestation kommt. Dort sollte er gut versorgt sein. Deshalb ist es eine gute Idee, schon bei der Auswahl eines Heims danach zu fragen, welche Rolle dort die Versorgung in der letzten Phase des Lebens spielt. Ist der „Palliativgedanke“ ein wichtiges Thema für das Selbstverständnis der Einrichtung? Wenn das der Fall ist, läuft man kaum Gefahr, zum Sterben ins Krankenhaus gebracht zu werden.

Was heißt „palliativ“?

Eine palliative Behandlung hat nicht die Heilung einer Krankheit zum Ziel – das wäre eine „kurative“ Behandlung –, sondern soll die Folgen einer nicht mehr heilbaren Krankheit lindern. Das können Schmerzen, Angst, Schwäche, Atemnot, Übelkeit und Hirndruck sein. Auch Operationen, Chemotherapie und Bestrahlung können palliativ eingesetzt werden – sie können in manchen Fällen den Verlauf der Krankheit verzögern, auch wenn keine Hoffnung auf Gesundung besteht, oder Symptome zumindest zeitweise lindern.

In vielen Krankenhäusern gibt es Palliativstationen. Sind die Patienten zum Sterben dort?

Eigentlich nicht, aber viele Patienten sterben dort. Auf den meisten dieser Stationen werden Menschen, die an einer nicht mehr heilbaren, weit fortgeschrittenen Krankheit leiden (Krebs, sehr schwere Herz- oder Lungenerkrankungen, neurologische Krankheiten oder Aids) für ein paar Tage oder Wochen medizinisch und pflegerisch so versorgt und beraten, dass sie wieder zu Hause sein können. Oder dass sie, falls es nicht anders möglich ist, in ein Hospiz gehen. Palliativstationen sind nicht für alte Menschen, die dem Tod nahe sind, aber an keiner besonderen Krankheit leiden!

Oft kommen Schwerkranke auch deshalb auf die Palliativstation, weil sich bei der Versorgung zu Hause Krisen ergeben haben – für den Kranken oder die pflegenden Angehörigen. Meistens kommen sie aber von einer anderen Station des Krankenhauses. Die Palliativstationen sind anders eingerichtet als normale Krankenhausstationen: wohnlicher, freundlicher, weniger „medizinisch“. Oft kann das Personal Wünsche der Patienten nach besonderem Essen erfüllen. Die schöne Einrichtung und die Annehmlichkeiten sind zum Teil spendenfinanziert.

Und danach soll man wieder nach Hause? Mit einer so schweren Krankheit im letzten Stadium?

Ja. Wenn dort für „Schmerzfreiheit und Geborgenheit“ gesorgt werden kann, denn das ist es vor allem, was der Mensch am Lebensende braucht. Wenn es also zu Hause Menschen gibt, die einem beistehen.

Welcher Angehörige kann das leisten? Die meisten haben doch einen Job.

Manchmal geht mehr, als man denkt. Die Frau von Bernd im chrismon-Text hatte eine „flexible“ Regelung mit ihrem Arbeitgeber: Sie konnte ihre Arbeitszeit, dank sehr kooperativer Chefs und Kollegen, auf 50 Prozent reduzieren. Als sie ganz bei ihrem Mann bleiben wollte, bekam sie weiter ihr 50-Prozent-Gehalt, für das sie dann gar nicht mehr arbeitete. Später hat sie wieder voll gearbeitet – für 50 Prozent des Gehalts, bis das Verhältnis wieder ausgeglichen war.

Etwas mehr bürokratischen Vorlauf erfordert die sogenannte Pflegezeit.

Pflegezeit bedeutet, dass Sie einen Anspruch auf unbezahlte, sozialversicherte Freistellung von der Arbeit für die Dauer von bis zu sechs Monaten haben, wenn Sie einen nahen Angehörigen pflegen wollen. Genaueres erfahren Sie auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums.

Aber allein schafft man das als Angehöriger nicht. Wer hilft noch?

Meistens wird schon in der Palliativstation die Betreuung organisiert. Wer an einer schlimmen, weit fortgeschrittenen Krankheit leidet, kann die „spezialisierte ambulante palliative Versorgung“ verordnet bekommen, kurz SAPV. Ein Team aus Arzt oder Ärztin, Pflegerinnen, Pflegern, Physiotherapeuten und Seelsorgern kümmert sich dann um den Schwerkranken zu Hause. Sie kommen je nach individuellem Bedarf, besorgen Medikamente, beschaffen meistens sehr kurzfristig Pflegebett, Rollstuhl, Dusch- und Badehilfen, alles, was die Pflege zu Hause erleichtert. Sie unterstützen den Angehörigen und helfen ihm, mit der Situation umzugehen – und mit den hilfreichen Geräten. Die SAPV-Teams sind rund um die Uhr in Rufbereitschaft. Etwa zehn Prozent aller Sterbenden, so schätzt man, sind auf diese Art von spezialisierter Versorgung angewiesen.

Können diese Leute tatsächlich Schmerzen lindern?

Patienten leiden am Ende ihres Lebens – aber nicht unbedingt oder nicht in erster Linie an Schmerzen. Die Schmerzen machen etwa ein Drittel aus, die anderen Symptome sind internistisch (Atemnot, Übelkeit, Erbrechen) und neuropsychiatrisch (Verwirrtheit, Demenz, Depression, Schwäche, Fatigue). Viele dieser Symptome können gemildert werden. Palliativmediziner wissen, welche Medikamente helfen, wann Krankengymnastik oder ein empathisches Gespräch besser ist als ein Morphin und wie Begleitmedikamente wie Cortison die Schmerzmittel unterstützen können. Viele Menschen finden zum Beispiel Atemnot schlimmer als Schmerzen, auch weil sie existentielle Angst auslöst.

Wer bezahlt das?

Seit der Gesundheitsreform 2007 gehört die SAPV zu den Regelleistungen der Krankenkassen. Jeder niedergelassene Haus-, Facharzt oder Krankenhausarzt kann die SAPV verschreiben. Leider gibt es immer noch Krankenhaus- und Hausärzte, die von dieser Möglichkeit entweder nichts wissen – oder glauben, sie würden ihre Patienten verlieren. Aber das ist nicht der Fall. Der Palliativmediziner im SAPV-Team arbeitet grundsätzlich mit dem Hausarzt zusammen – falls das auch gewünscht wird.

Gibt es das wirklich überall?

Fast überall. Im Gespräch mit dem Hausarzt, den Krankenhausärzten oder der Krankenkasse sollte man herausfinden können, wer solche Leistungen in der Region anbietet. Oder man schaut im Internet, zum Beispiel auf der Hilfsseite "Palliativ Portal". Zusätzlich kann es sinnvoll sein, einfach mal bei einer Suchmaschine im Internet die Suchbegiffe „palliativ“ und – zum Beispiel – „Buxtehude“ einzugeben. Oder man fragt, per Mail oder Telefon, bei der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.

Das gilt alles vor allem für Krebspatienten. Was, wenn ein alter Mensch zu Hause sterben will?

Wahrscheinlich ist der alte Mensch schon seit längerem gebrechlich und wird versorgt – von Verwandten, von Pflegediensten oder privat organisierten Pflegern. Die Gebrechlichkeit und die Abhängigkeit nehmen womöglich zu. Wenn seine Angehörigen und Helfer dazu bereit sind, wenn der Kranke zusätzliche professionelle Pflegeleistungen bezahlen kann,  dann wird er hoffentlich auch ganz am Ende des Lebens gut versorgt. Nicht jeder Mensch ist vor seinem Tod schwer krank und braucht intensive medizinische Betreuung, längst nicht jeder braucht die SAPV.

Wer hilft den Angehörigen?

Vergleichsweise gut betreut sind die Angehörigen von Krebskranken (Psycho-Onkologie, Beratungsstellen im Krankenhaus). Wer hochbetagte und/oder demente Menschen pflegt, kann mit dem Hausarzt über Hilfe sprechen, mit Sozialstationen, Hospizvereinen, Krebsberatungsstellen und Selbsthilfegruppen. Sicher findet sich auch in der Kirchengemeinde ein Gesprächspartner. Und fürs Praktische: In den vielen Hospizvereinen und Hospizgruppen im Land gibt es ausgebildete Ehrenamtliche, die ins Haus kommen und von der Situation nicht überfordert sind, sondern mit Ruhe und Fachkenntnis weiterhelfen. Auch wenn der Angehörige einfach mal Luft braucht – oder ein Gespräch.

Wer pflegt, lernt schnell, andere Menschen einzuspannen – wenn die das wünschen.

Der Nachbar, der früher mal Zivildienst im Krankenhaus gemacht hat, hilft bestimmt beim Bettenbeziehen. Oder er bleibt mal eine Stunde bei der Kranken, damit der pflegende Ehemann einkaufen gehen kann. Mit der Freundin, die zu Hause einen Kranken pflegt, ein paar Runden im Park zu drehen, ist eine große Hilfe. Der Kranke selbst freut sich über Besuch – wenn der nicht selbst Trost braucht und wenn er nicht zu lange bleibt. Ein sehr kranker Mensch ist ja schon nach wenigen Minuten erschöpft.

Was macht man, wenn der Kranke über den Tod nachdenken und sprechen will – aber man fürchtet sich selbst davor?

Es kann ja nicht schaden, auch das zu besprechen, wovor man sich fürchtet. Wenn der Kranke darüber sprechen will, dann spricht man darüber – ganz klar! Ob der Angehörige das Thema von sich aus ansprechen sollte? Oder gar Besuch? Vorsicht: Der Kranke entscheidet selbst über seinen Umgang mit dem Thema Tod. Aber wer den Kranken kennt, der findet schon heraus, welchen Zuspruch er braucht. Auch die professionellen Helfer sind da aufmerksam und können aus leisen Andeutungen heraushören, auf welcher Frequenz der Kranke erreichbar ist.

Soll man dann auch einen Seelsorger rufen?

Wer einen guten Kontakt zu seiner Kirchengemeinde hat, muss sicher nicht lange rufen. Viele Fragen stellen sich vielleicht erst jetzt, wenn der Tod nahe ist. Bei den diakonischen Pflegediensten ist eine Pfarrerin oder ein Pfarrer im Team. Seelsorger, die sich für eine solche Arbeit entschieden haben, sind gut darin, sich einzufühlen – übrigens gerade auch bei Patienten, die nicht mehr ganz bei Bewusstsein sind. Natürlich können sich auch Konfessionslose an einen Pfarrer wenden.

Ist man im Hospiz nicht doch besser aufgehoben?

Wenn es zu Hause nicht geht, dann auf jeden Fall. Hospize sind kleine, hochspezialisierte Pflegeheime für Sterbende unter pflegerischer und/oder seelsorgerlicher Leitung.  Auch dort ist übrigens nicht ständig ein Arzt präsent, die Patienten werden meistens von niedergelassenen Ärzten (oft mit Zusatzausbildung in Palliativmedizin) betreut.

Was ist, wenn der Tod sehr nahe ist oder das Leben unerträglich wird: Leisten die SAPV-Teams Sterbehilfe?

Nein, aber sie helfen dem Sterbenden, den Übergang so leicht und so wenig angst- und schmerzvoll zu erleben wie möglich. Als letztes Mittel setzen die Palliativmediziner die „palliative Sedierung“ ein, sie versetzen den Patienten – mit seiner Einwilligung – in einen reversiblen narkoseartigen Zustand. „Was wir tun“, sagt Marcus Wyrwol, „ist keine aktive Sterbehilfe, aber es könnte von außen betrachtet so aussehen. Da sind absolute Transparenz, intensive Gespräche im Vorwege – mit dem Patienten und den Angehörigen – und saubere Dokumentation unerlässlich. Wir versuchen damit, den Sterbenden von dem, was mit seinem Körper geschieht, zu distanzieren. Er nimmt es dadurch nicht mehr oder kaum mehr wahr.“ Für so ein Vorgehen gibt es klare Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Es kann bei Zuständen von schwerster Luftnot, bei sehr schlimmen Schmerzen oder furchtbaren Tumorwunden notwendig werden. Die palliative Sedierung muss aber nur relativ selten wirklich angewendet werden. Häufig, sagt Wyrwol, „ist eine gute Therapie zur optimalen Symptomkontrolle möglich.“

Außerdem kennen die SAPV-Teams die Patientenverfügung – wenn es eine gibt. Vermutlich wird jeder Patient, der an einer weit fortgeschrittenen, unheilbaren Krebskrankheit leidet, schon im Krankenhaus auf diese Frage angesprochen: Haben Sie eine Patientenverfügung? Können wir die mit Ihnen besprechen? Das ist sehr wichtig.

Was sind ambulante Hospizdienste oder Hospizvereine?

Hospizvereine vermitteln geschulte Ehrenamtliche, die nach Hause kommen, vor allem für sogenannte Entlastungsbesuche – sie beraten Patienten und Angehörige, sind Gesprächspartner und haben ein Netzwerk von möglichen Helfern im Hintergrund. Ein Teil der rund 1500 Hospizvereine in Deutschland wird von den Kirchen getragen. Hospizvereine sind spendenfinanziert, die Koordination der Einsätze tragen die Krankenkassen.

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