Wir stehen vor der Ruine eines Krankenhauses, mitten in einem Hochhauswohnviertel in Aleppo. Uns fröstelt bei dem Anblick. Das Regime hat den ganzen Straßenzug stehen gelassen, aber das Dar Al Shifa-Hospital mit Raketen und Bomben richtig in den Erdboden gestampft. Um wenigstens die schlimmsten Krankheiten behandeln zu können, haben mutige Ärzte drei kleine Ersatzkliniken aufgemacht. Wir schauen uns im Keller eines Wohnhauses die Operationssäle an, die Apparaturen laufen alle mit Generatoren. Aleppo hat keinen Strom mehr, was in diesem sibirisch harten Winters etwas unglaublich Anstrengendes hat. Diese Ärzte sind die Helden der Lage. Sie würden den Medizin-Nobelpreis verdienen, auch den Friedenspreis - mehr als viele andere Institutionen, die ihn schon bekommen haben.
Staat als Angreifer
Es gibt eigentlich nichts mehr für die Menschen in Syrien, das man als lebenswert oder menschenwürdig bezeichnen könnte. Der Staat funktioniert nicht, im Gegenteil: Die Menschen erleben ihn als Angreifer auf die Bevölkerung. In der Stadt Azaz nahe der türkischen Grenze, die seit vergangenem Sommer in der Hand der Rebellen ist, haben wir die Schrecken der Verwüstung gesehen. Eine Vakuumbombe hatte am 13. Januar mehrere Häuser in den Eingeweiden der Stadt restlos zerstört und viele Menschen unter sich begraben. Am 24. Januar raste eine Rakete in vier Wohnhäuser hinein, zerriss und tötete 15 Menschen, darunter ein neun Monate altes Baby.
Ein paar hartgesottene Männer zeigten uns den Gräuelplatz. Sie wischen sich dabei die Tränen aus dem Gesicht. In 20 Kilometer entfernten Tal Rafaath schlug Ende Januar noch eine Bombe ein. Und wieder zerbrechen sich vor allem die Väter und Mütter die Köpfe: Sollen sie doch um der Kinder willen den Weg in das türkische Exil antreten?
Wo die Grünhelme helfen
In Azaz und Tal Refaath helfen wir mit dem Grünhelmen, Schulen und Krankenhäuser wieder aufzubauen: Einschlusslöcher zubetonieren, Mobiliar erneuern, Gebäude ganz neu bauen. Ebenso im Dorf Keljebrin, das auf halber Strecke zwischen Aleppo und Azaz liegt.
Wir haben jetzt Martin Mikat - unseren Mann für Baufach-Angelegenheiten, der schon in Pakistan und in der Demokratischen Republik Kongo für die Grünhelme arbeitete - nach Tal Refaath geschickt. Dort ist eine zweistöckige Schule von Bomben im Innersten getroffen worden. Das ganze Treppenhaus wurde entblättert, das gesamte Mauerwerk ins Wanken gebracht, so dass wir vor der entscheidenden Frage stehen: Können wir Teile der Schule – durch Strahltrassen verstärkt – noch weiter benutzen oder muss abgerissen werden?
Trotz Krieg: Schule und Fladenbrot
Zur politischen Lage fällt mir nicht mehr viel ein. Nur, dass einige skeptische Syrer jetzt beginnen, Hoffnung auf ein Ende des mörderischen Regimes zu haben. Natürlich gibt es auch Kriegsgewinnler wie die Heizöl- und die Dieselmafia, die das teure Gut immer noch über irgendeine Grenze schmuggeln. Aber die meisten Menschen wissen weder ein noch aus, sie haben keine Arbeit, kein Einkommen. Und ich muss voller Bewunderung sagen: Wie sie sich dennoch organisieren, ist beispielhaft und verdient unseren größten Respekt.
Ich meine nicht nur die Ärzte, sondern auch die Imame des Schariagerichtes, die sofort zur Stelle sind und Streit schlichten und uns beim Wiederaufbau helfen. Oder die Leute aus der Zivilverwaltung, die morgens immer noch die Bündel mit dem syrischen Fladenbrot vorbeibringen, das allerdings im Preis um mehr als das Doppelte gestiegen ist. Oder die Lehrer in Keljebrin, die den Schulbetrieb aufrecht erhalten. Trotz Krieg und Zerstörung: So gehen die 130 Mädchen und 370 Jungen der Schule jeden Tag weiter zum Unterricht.