In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?
Wenn ich durch den Wald reite, über Wiesen und Felder, das ist toll! Ich wohne ja eigentlich in der Eifel und habe einen Friesen. Solche Ausritte sind wie Reisen, die mich wegbringen von meinem Alltag und durch die ich zu mir selbst komme. Ich bin immer froh, wenn ich hinter meinem Haus in den Wald eintauche. Das hilft, den Blick zu erneuern auf alles, was danach kommt. Ich bin kein Stadtmensch. Manche Leute gehen shoppen und entspannen sich dabei. Das kann ich nicht, ich bin vom Shoppen noch gestresster. Ich brauche diesen Ausgleich in der Natur, dann kann ich wieder neu schauen und wieder neu beginnen.
An welchen Gott glauben Sie?
An einen weisen Gott, aber nicht mit Bart. An einen Gott, der uns vieles ermöglicht, aber uns nicht bestraft – wir sind frei, selbst zu entscheiden zwischen Recht und Unrecht. Dabei ist man begrenzt, man kann nicht immer klar sehen, was richtig oder falsch ist. Man entscheidet sich, und später stellt sich vielleicht heraus, dass man einem anderen unrecht getan hat. Das ist mir schon oft passiert. Als Politikerin schätzt man die Lage vielleicht falsch ein, oder man denkt zu sehr an das eigene Ziel und berücksichtigt nicht, dass die anderen auch ihre Ziele erreichen möchten. Dann muss man sich im Nachhinein korrigieren, das tut manchmal weh. Ich bete, wenn es mir ein Herzensanliegen ist; und natürlich im Gottesdienst. Nach dem Tod eines Menschen empfinde ich es als sehr tröstlich, dreimal einen Rosenkranz zu beten. Das ist ja in der katholischen Kirche Sitte, und auf dem Dorf machen wir das auch noch. Dieses murmelnde Gebet bringt mich Gott näher, es ist eine Verbindung zwischen dem Einzelnen, der Gemeinschaft und Gott.
Was bedeutet Ihnen Zaudern und Zweifeln?
Zu einer Entscheidung gehört es abzuwägen, auch zu zweifeln. Doch heute gibt es eine Rhetorik der Effizienz, der Leistung und des Funktionierens, die mittlerweile alles durchdringt. Durch die neuen Medien und gerade durch E-Mail und SMS muss alles ganz schnell gehen, die Phasen des Nachdenkens oder Nachspürens werden immer kürzer oder gleich ganz abgeschafft. Das ist schlecht, und das führt nicht zu besseren Entscheidungen. Es ist auch für Reue kein Platz mehr. In vielen Lebensberatungsbüchern kriegt man inzwischen regelrecht eingeprügelt: Zieh deinen Stiefel durch, guck nicht nach rechts und nach links – und lass dich nicht erwischen. Kein Lebensmodell, das ich für erstrebenswert erachte.
Hat das Leben einen Sinn?
Es gibt diesen Satz von Goethe: „Der Sinn des Lebens ist das Leben.“ Mit 17 Jahren war das Leben ein großes Versprechen, ein großes Abenteuer und eine Seite, die ich zu beschreiben hatte. Mit 25 war ich Juso-Bundesvorsitzende, und das Leben war schwieriger geworden, aber ich war nicht mehr so suchend, mehr auf konkrete Erfolge und Ziele hin orientiert. Mit 30 hatte ich das Gefühl: Es braucht noch etwas für das Glück. Das habe ich nun mit meinem Mann und meiner Tochter gefunden. „Der Sinn des Lebens ist das Leben“ – das heißt, dass es in der Schöpfung einen Sinn gibt und das eigene Leben ein Teil des Ganzen ist.
Muss man den Tod fürchten?
Wenn man so gerne lebt wie ich: ja. Ich fürchte den Tod. Nicht, weil ich glaube, dass es danach gar nichts mehr gibt, sondern weil ich zu wenig darüber weiß, was danach kommt – und das, was ich jetzt habe, gefällt mir.
Welche Liebe macht Sie glücklich?
Die Grundakzeptanz. Nicht perfekt und nicht immer schön sein zu müssen; nicht dauernd gut gelaunt. Und trotzdem zu wissen: Bei dir bin ich aufgehoben, ich kann mich auf dich verlassen.
Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?
Mit Schuldgefühlen quäle ich mich häufig recht lange, ich werde sie nicht schnell los. Doch bin ich wenigstens in dem Glauben und in dem Gefühl aufgewachsen: Solange du dich bekennst, eingestehst, korrigierst, ist Absolution möglich. Dieses Gefühl ist eine Art Grundmelodie meiner Kindheit. Heute habe ich meinen Mann, mit dem ich über so etwas rede. Es ist ja doch katholisch, an diese Art der Absolution zu glauben. Anders ist es für mich undenkbar. Wie sich das anfühlt, dass die Schuld nicht weggeht – ich stelle mir das schrecklich vor.