Kunsthalle Karlsruhe präsentiert "systemrelevante" Krisen-Kunst.
epd-bild/ARTIS - Uli Deck
Der Begriff der Systemrelevanz spielt in der Corona-Pandemie eine wichtige Rolle. Mit einer Sonderpräsentation von Krisen-Kunst will die Kunsthalle Karlsruhe einen Beitrag zur aktuellen Diskussion bieten.
30.06.2020

Ob Krieg, Naturkatastrophen oder persönliches Leid, schon immer haben sich Künstler mit Krisen beschäftigt. Auf die Corona-Pandemie reagiert jetzt die Kunsthalle Karlsruhe mit einer kurzfristig anberaumten Sonderausstellung. Die Schau "Systemrelevant? Dass und wie wir leben" zeige Krisen-Kunstwerke vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, sagte Kunsthallen-Direktorin Pia Müller-Tamm am Dienstag. Die Schau solle ein "Zwischenruf zur aktuellen Debatte" sein und läuft bis 27. September.

30 Gemälde, Plastiken, Zeichnungen und Drucke aus fünf Jahrhunderten werden zu Themen wie Leid, Schmerz, Vereinzelung, Naturkatastrophen, aber auch Fürsorge und Hoffnung präsentiert. Dabei werde die Forderung des "Social Distancings" auf die museale Präsentation übertragen, indem die Werke in "isolierter Corona-Hängung" auf vereinzelte Betrachter treffen.

Präsentiert werden etwa Albrecht Dürers "Christus als Schmerzensmann" (1492/93) und "Die Schwangere" (1930) von Otto Dix. Gezeigt wird auch Francisco de Goyas "Ein Mann trägt einen Toten" (1815-20) und das Werk "Fuku" (2012) der japanischen Künstlerin Leiko Ikemura, das kurz nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima entstand.

Großer Abstand

Die in großem Abstand aufgehängten apokalyptischen Grafiken und hoffnungsverheißenden Gemälde sollen nicht nur Besucher voneinander distanzieren, sondern gleichzeitig auch auf die augenblickliche Situation des öffentlichen Lebens im Museum aufmerksam machen. Ergänzt werden sie durch 30 Statements von Menschen aus verschiedenen Bereichen und ihre unterschiedlichen Reaktionen auf die durch Corona ausgelöste gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise.

Die Sonderschau will zur Diskussion anregen, wie eine Gesellschaft aussähe, in der alles Nicht-Systemrelevante wegbricht - eine "Gesellschaft ohne Geschichten und Humor, Mode, Sportschau und Lieblingsplaylists, Existenzfragen und Horizonterweiterung", sagte Kuratorin Leonie Beiersdorf. Die Gesellschaft sei auf die Hingabe und Leistung der Menschen in lebensnotwendigen Berufen angewiesen.

Jedoch sei mit dem ursprünglich aus der Finanzwelt stammenden Begriff "Systemrelevanz" ein "durchaus problematisches Unterscheidungskriterium geschaffen worden, das Wertungs- und soziales Spaltungspotenzial besitzt". Deshalb will die Ausstellung auch ganz unterschiedlichen Stimmen ein Forum bieten. Darunter sind Schülerinnen, Krankenpfleger, einer Betreuerin in der Lebenshilfe, einer Kassiererin, ein Arzt, ein Theologe und ein Ökonom.

"Unwort des Jahres"

Auch wenn viele von ihnen selbst zu den systemrelevanten Berufen zählen, ist der Begriff für sie meist negativ besetzt. "Das Attribut kommt in unseren Selbstverständnis gar nicht vor", wird der Freiburger Mediziner Hajo Grundmann zitiert. Als "Unwort des Jahres", der nicht im Zusammenhang mit Menschen verwendet werden sollte, bezeichnet Lebenshilfe-Betreuerin Ute Schäffer den Begriff.

Kuratorin Beiersdorf fragt, wie das Leben aussähe für die Krankenschwester nach ihrer Schicht, den Erntehelfer nach Sonnenuntergang, wenn alles Nicht-Systemrelevante wegbräche: "Die systemrelevanten Berufe sichern, dass wir leben. Wie wir leben entscheidet sich woanders".

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.