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Vincent stammt aus Hamburg und ist in den letzten Jahren oft umgezogen. Erst zum Jurastudium in den Süden der Republik, dann wieder zurück in den Norden für sein Referendariat. Während seiner Station in Berlin musst er dreimal in einem Jahr umziehen, seine WG-Zimmer waren immer nur auf Zeit an ihn vermietet.
Auf schwere Möbel schleppen, so erzählt er es mir neulich, hatte er irgendwann keine Lust mehr und fand die für ihn geniale Lösung: Möbel, genauer ein Bett, aus Wellpappe: "Das ist leicht und trotzdem stabil. Für mich perfekt." Und günstig war es auch: Etwas über 100 Euro hat Vincent für sein Bett gezahlt.
Ich erinnere mich an Kirchentage, mit vollen Hallen, in denen wir, auf harten Papphockern sitzend, den Diskussionen und Reden der Kirchen- und Politpromis lauschten. Betten aus Pappe kannte ich bisher nicht.
Nun ist diese Kolumne nicht dafür da, Product-Placement zu machen: Aber Möbel aus Wellpappe sind nicht nur flexibel und passen sich damit schnell und einfach neuen Wohnverhältnissen an, sondern sie haben auch eine gute CO2 Bilanz, weil sie zu großen Teilen aus recyceltem Papier hergestellt werden und am Ende ihres Lebenszyklus‘ zu 100 % recyclebar sind. Kreislaufmöbel sozusagen. Und damit ein Thema für diese Kolumne.
Vincent hat sein Bett bei "Room in a Box" gekauft und so verabrede ich mich mit Co-Firmengrüner Gerald Dissen.
Dissen, heute Mitvierziger und Familienvater, hat seine Leidenschaft für Pappmöbel schon als Student entdeckt. Damals studierte er Wirtschaftswissenschaften und nahm an einem Resarch-Projekt über nachhaltige Möbel teil. Auf einer Messe über Upcycling sah er einen Sessel aus Alt-Pappe, hergestellt von den Berliner Stadtwerken: "Der war so unglaublich stabil, das konnte ich gar nicht glauben."
Das Thema Möbel aus Pappe hatte ihn gepackt und seither nicht mehr losgelassen. Nachwachsende Rohstoffe, regionale Produktion, recyclebar oder wie Gerald es sagt: "Einfach ein unglaublich zeitgemäßer Werkstoff."
Wellpappe gibt es schon lange, als steife Well-Papp-Halskrägen für den Herrn im 19. Jahrhundert, als Hutschachteln oder Verpackungen für den Versand von Seidenraupen. Wir kennen Wellpappe vor allem von unseren Online-Bestellungen, doch zwischen denen und den Möbeln, die Gerald oder andere Well-Papp-Möbel-Hersteller nutzen, gibt es einen entscheidenden Unterschied: Der Anteil von Frischzellulose. Je öfter ein Papier, hergestellt aus Holz, recycelt wird, desto öfter brechen die ursprünglich langen Holzfasern, die für die Festigkeit und Widerstandskraft der Pappe ausschlaggebend sind.
Und auch wenn Gerald schon viele Jahre mit Wellpappe arbeitet, ihn fasziniert immer noch, wie simpel sich ein so festes Material für ein Bett herstellen lässt: "Du klebst drei labberige Seiten Papier zusammen, das wars." Tatsächlich gehört noch ein bisschen mehr dazu, denn das Papier in der Mitte muss mit Walzen gewellt werden, das garantiert die Festigkeit. Wie und was genau gewellt wird (Höhe, Teilung, A-, C-, oder Wie-Auch-Immer-Welle) ist noch mal ein Sonderthema, doch all das führt hier viel zu weit.
Die Möbel bei Room in Box bestehen die Wellpappe zu 54 bis 80 Prozent aus Recyclingmaterial, das "Primär- oder Neupapier" stammt aus nachhaltiger Forstwirtschaft, produziert wird in einer Firma in Deutschland.
Mich interessieren noch das Thema Feuchtigkeit, denn, das erinnere ich auch von Kirchentagen: Im Regen draußen waren die Hocker natürlich nicht zu nutzen.
Gerald bestätigt: Nein, Pappmöbel sind keine Gartenmöbel. Doch dank der hohen Qualität der für die Außenlagen genutzten Papierschicht (s.o.), ist die Oberfläche erstaunlich widerstandsfähig, was umgekippte Wassergläser zum Beispiel betrifft. "Die Pappe verhält sich in etwa genauso wie unbehandeltes Naturholz. Auch da gibt es Flecken, wenn Du nicht aufpasst", erzählt Gerald – und empfiehlt für seinen Schreibtisch auch gleich eine Unterlage mit. Sicherer sei es.
Fazit meiner kleinen Recherche: Möbel aus Pappe sind eine Nische, neben "Room in a Box" gibt es noch andere Firmen, doch alle sind klein. Die Möbel sind vielleicht nicht für alles nutzbar – aber auf jeden Fall eine preiswerte, flexible und umweltfreundliche Alternative, und sei es auch nur als Gästebett im Karton.
Vincent jedenfalls sieht einem möglichen nächsten Umzug gelassen entgegen. Sein Bett ist in wenigen Minuten zusammengeschoben – und Zack – im Karton.
PS 1: Die Idee, mich in meinem Freundes – und Bekanntenkreis umzuhören, wer Möbel aus Wellpappe besitzt, bekam ich übrigens von diesem Anti-Greenwashing-Newsletter Flip, die für ihre Sneaker-Recherche berühmt sind und für den ich hier gern auch ein bisschen Werbung mache.
PS 2: Am 5. Oktober könnt Ihr mich im Podcast von Tom Voss in seiner Reihe "Wohnprojekte im Gespräch" hören.