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Es gibt ein paar kleine Worte in jeder Sprache, die Menschen nur dann echt und überzeugend einsetzen können, wenn sie sich tief traurig oder hoch beglückt fühlen: nie und nimmer, stets und immer. Nur in den Augenblicken des Außergewöhnlichen verströmen sie Kraft, denn dann ist die Maßlosigkeit der Behauptung, die sie unterstreichen, eine Sache der Gefühle.
"Maßlos" gehört zu den heiklen Zutaten in der Sprachküche
Wenn ich's recht überlege, so unterm Schreiben, gehört auch "maßlos" in die Liga dieser heiklen Zutaten in der Sprachküche. Dort, wo diese Adverbien und Adjektive fahrlässig eingesetzt werden, begründen sie den Anfangsverdacht der Unaufrichtigkeit, selbst dann, wenn sie Lob und Anerkennung vermitteln sollen. "Stets und immer war er pünktlich zur Stelle, wenn er gebraucht wurde!" Man kennt dergleichen Formulierungen aus Arbeitszeugnissen. "Nie hat er uns im Stich gelassen!" So jubeln die Redner bei runden Geburtstagen, Jubiläen und Ausständen. Dass es den Gelobten und Ausgezeichneten dabei blümerant wird, dass sie gequält den Hals im Hemdkragen winden, abwehrend die Hände spreizen, scheu lächelnd den Kopf schütteln, ist meist nicht nur ein Ausdruck von Bescheidenheit. Es ist die berechtigte Sorge, durch Übertreibung und unangemessene Anerkennung in Wahrheit abgewertet zu werden.
Unaufrichtigkeit ist keine Menschlichkeit - auch nicht, wenn sie gut gemeint ist.
Unaufrichtigkeit ist keine Menschlichkeit - auch dann nicht, wenn sie gut gemeint ist. In der Redaktion der Lokalzeitung, bei der ich in den Journalistenberuf einstieg, sollte eine Kollegin eine Zeitungsausträgerin zu deren zwanzigjährigem Jubiläum porträtieren. Sie griff voll in die Manuale der Übertreibung: Bei Eis und Schnee, in dunkler Nacht, bei strömendem Regen, nie war die Austrägerin unpünktlich, kein Weg war ihr zu weit, nie hat sie verschlafen, immer war sie fröhlich und freudig unterwegs. "Beleidigend und arrogant", bellte unser Chef der konsternierten Autorin entgegen, nachdem er das Manuskript gelesen hatte. "Warum?", stammelte sie nur. "Weil du dich nicht wirklich mit ihr beschäftigt hast, weil du ihrer Leistung nicht gerecht wirst, weil du die Frau einfach abfeierst." Zwei Stunden saßen sie über der kleinen Laudatio. Dann las sich das Ganze etwa so: "Manchmal, wenn es regnerisch und kalt ist, wenn die Wege und Treppen vereist sind, würde Berta Meier am liebsten im Bett liegen bleiben und sich die Decke über die Ohren ziehen. Aber es ist nun mal ihr Job, das Tageblatt in die Häuser zu bringen. Und deswegen macht sie sich dann auch an solchen Tagen auf den Weg. Ich brauch dann halt etwas länger, erzählt sie, aber die meisten Leute haben dafür Verständnis." In der Überwindung liegt die Leistung, die menschliche Schwäche sorgt für Nähe und Sympathie. Also: Wenn Sie eine Lobrede zu halten haben, liebe Leserin und lieber Leser, bleiben Sie maßvoll, selbst wenn Sie übertreiben. Sagen Sie nichts, was nicht stimmt. Echte Anerkennung verschweigt nicht, dass es mal rumpelt und kracht. Und sind Menschen nicht gerade wegen ihrer Macken und Eigenheiten, in ihrer Unvollkommenheit liebenswert? Als mein Freund Fred zum 75. Geburtstag seines Vaters sprach, kamen dem alten Herrn die Tränen, weil der Sohn sagte: "Du warst ein klasse Vater, obwohl uns deine Pedanterie manchmal gewaltig zu schaffen machte. Du warst großartig, obwohl Onkel und Tanten davon überzeugt waren, dass du deine Kinder zu sehr verwöhnst. Du konntest uns eigentlich nicht richtig Nein sagen. Und manchmal haben wir das auch ausgenutzt. Du warst nicht immer für uns da, aber wenn, dann warst du wirklich präsent. Und du warst immer unverwechselbar du selbst." Dieses eine "immer" in Freds Rede war berechtigt. Es gab dem Vater die höchste Anerkennung, zu der Menschen fähig sind: den anderen als einzigartig zu erkennen.