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Ich bin gut. Ich habe Kraft. Ich werde siegen. Sportpsychologen halten das Wiederholen von positiven Selbstsuggestionen für ein wesentliches Element des Erfolgs. Einer der prominentesten Vorkämpfer dieser Methode ist vor kurzem in den sportlichen Ruhestand gegangen: Oliver Kahn. Seine Trainer fanden durch die Bank, er sei ein "positiver Typ", weil sich bei ihm unbändiger Ehrgeiz mit der Gabe vereine, sich selbst immer und immer wieder psychologisch aufzurichten.
Was Oliver Kahn tatsächlich auszeichnet, ist der Umstand, dass er die Methode der "Ich-Affirmation" auf seine Mannschaftskollegen auszudehnen wusste, also eigentlich "Wir-Affirmation" betrieb: "Der FC Bayern muss immer Titel gewinnen. Wir haben vor niemandem Angst. Weiter, immer weiter! Wer hart arbeitet, wird irgendwann belohnt! " Damit konnte er Kollegen aus dem tiefen Tal der Selbstzweifel holen, sie mit neuem Treibstoff versorgen. In Mannschaftssportarten sind solche Akteure unersetzlich.
Aber jeder, der Sport treibt, weiß andererseits genau, dass die nächste Niederlage so sicher ist wie das tödliche Ende des Erdenlebens. Muhammad Ali sagte: "Ich bin der Größte." Und er prophezeite seinem Gegner: "Ich werde dich zerstören. Nach dem Kampf wirst du dich fühlen, als hätte dich ein Lastwagen überfahren." Er unterlag Joe Frazier. Der Turner Fabian Hambüchen erzählte in jedem Interview vor den Olympischen Spielen in Peking, dass er fest von seinem Sieg am Reck und der Goldmedaille überzeugt sei. Er griff an seinem Paradegerät mehrfach daneben und musste lernen, sich über einen dritten Platz zu freuen. Im Sport enden Niederlagen glimpflich. Die Ich-Affirmation in kriegerischen Auseinandersetzungen wurde und wird oft genug tödlich widerlegt.
Ein schwieriges Feld für positive Autosuggestion ist der demokratische Wettbewerb in der Politik. Zu häufig ist für die Wählerinnen und Wähler nicht erkennbar, ob ein Wahlkämpfer oder eine Wahlkämpferin sich mit suggestiven Aussagen an sich selbst oder an das Publikum wendet. Wenn der US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama "Yes, we can. Yes, we can change! " (Wir können die Wende schaffen! ) ausruft, meint er mit dem "Wir" sich, seine Partei und seine Wähler. Er formuliert ein gemeinsames Ziel.
Als die amerikanische Bürgerrechtsbewegung "We shall overcome" (Wir werden das Schicksal meistern) sang, hieß die erklärende Zeile dazu im Liedtext: Tief in meinem Herzen fühle ich es. Es ging um eine Kernwahrheit des Glaubens, um Hoffnung in ausweglosen Zeiten. Der Adressat des Rufes, wie ihn ähnlich die aus Afrika verschleppten Sklaven auf den Baumwollfeldern Amerikas anstimmten, war nicht das eigene Ich. Die spirituelle Kraft entspringt dem Du, gleich wo man es vermutet - im Himmel oder in der eigenen Seele. Letztlich verkleidet sich hier ein Gebet als affirmative Aussage: Gib uns Kraft, o Herr.
Ich bitte dich, lass mich glaubwürdig bleiben. Steh mir bei!
Die meisten Leute haben ein ganz gutes Gespür dafür, wie glaubwürdig Bitten und Ich-Affirmationen sind. Und sie können in der Regel auch ganz gut unterscheiden, ob jemand aus tiefer Not schreit oder mit dem Hinweis, er sei stark, groß, unbesiegbar, nur hohle Überheblichkeit abstrahlt. Schön getroffen hat es Albert Lortzing in seiner Oper "Zar und Zimmermann" mit der Arie des Bürgermeisters van Bett: "O, ich bin klug und weise ..." Kann jemand sich selbst Weisheit attestieren? Klingt absolut peinlich.
"Ich bin eine glaubwürdige Politikerin, weil ich das, was ich heute sage, morgen auch tue." Das hat die hessische SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti während des Wahlkampfs im Januar 2008 in einem Interview gesagt. Glaubwürdigkeit kann man sich eigentlich so wenig selbst zuerkennen wie Weisheit. Nehmen wir zu Ypsilantis Gunsten an, dass es sich bei diesen Aussagen um eine positive Autosuggestion handelt, um eine spirituelle Ich-Affirmation, um ein verkapptes Gebet: "Gott, ich bitte dich, lass mich glaubwürdig bleiben und morgen tun, was ich heute sage. Und lass mich nicht im Stich, wenn ich es nicht schaffe! "