Der Chefredakteur von chrismon, Arnd Brummer
Der Chefredakteur von chrismon, Arnd Brummer
Sven Paustian
Politiker reden mit den Bösen. Muss das denn sein?
chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer über Verhandlungen mit "Machtpolitikern"
Lena Uphoff
16.11.2015

Unsere Politiker diskutieren und verhandeln doch nur! Die ­haben doch keinen Plan! Kanzlerin und Außenminister sprechen mit Putin, mit Erdogan, mit den Saudis, mit den Iranern. Was soll das denn? Sind doch alle Verbrecher oder mindestens Machtpolitiker – was ja fast dasselbe ist, oder? Und was machen die Deutschen? Reden mit denen! Die Kanzlerin redet in der Flüchtlingsproble­matik nur drum rum! „Wir schaffen das!“ Hahaha. „Wir besprechen das!“ Oho! „Wir werden Lösungen für diese Proble­matik disku­tieren.“ Na also! Euer Rezept? Reden, diskutieren, ausloten!

Ja genau! Was nicht nur am Tresen, sondern auch in zahlreichen Leitartikeln und TV-Kommentaren fortgesetzt negativ bewertet wird, macht mich sehr froh: Die politische Führung in Berlin inklusive weiter Teile der Opposition begegnet den aktuel­len Herausforderungen auf real­politische, pragmatische, kritisch-rationale Weise. Die Träume von einer besseren Welt, wie sie in Westeuropa nach der von Deutschen ausgelösten Katastrophe von Völkermord und Weltkrieg lebendig waren, sind in bitteres Erwachen gemündet.

Im Himmel sind die Allerletzten

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Kleine Geschichten über die großen Themen des Lebens. Mal nachdenklich, meistens heiter, hintergründig und geistreich berichtet chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer von Begegnungen und Beobachtungen, die nur scheinbar alltäglich sind. Wagt man mit Arnd Brummer den Blick hinter die Oberfläche, erschließen sich tiefe Einsichten in die großen Themen des Lebens.

Bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).

Wenn ich höre und lese, was sich in Syrien, im Jemen, in ­Kurdistan und Palästina, in Israel, Ägypten und Libyen oder auch in der Ukraine ereignet, kann ich nur daran erinnern: Dort laufen im Kern die gleichen Prozesse ab, wie sie in Europa fast tausend Jahre lang zu erleben waren. Die Grenzen und staatlichen Gebilde, um die mit nackter Gewalt gestritten wird, sind nicht „natürlich“ entstanden. Sie sind die Hinterlassenschaft von römischem wie osmanischem Imperialismus und europäischem Kolonialismus. Papiergeburten mit Bleistift und Lineal (ganz Afrika) oder Geschenke an Verbündete und Helfershelfer (z. B. Saudi-Arabien).

Auch die Grenzen innerhalb Europas sind das Resultat von jahrhundertelangen Konflikten zwischen Reichen und Mächten, gesteuert nicht von den betroffenen Menschen, sondern von den Interessen der Sieger in blutigsten Kriegen, verbrämt mit religiösen, nationalistischen oder kommunistischen Visionen vom wahren Paradies: Ausrottung von „Untermenschen“, „Klassenfeinden“ und andersgläubigen „Heiden“.

Ein zähes Geschäft und die Einsicht in unsere Fehlbarkeit...

Dass es nach dem II. Weltkrieg und erst recht in der Ära der „Entspannungspolitik“ anders wurde, ist bei genauem Hinsehen nur damit zu erklären, dass Leute über inhaltliche und geo­grafische Grenzen hinweg anfingen, miteinander zu reden. Als junger Mensch habe ich dies auf eindrucksvolle Weise von einem jüngst Verstorbenen gehört und gelernt: von Egon Bahr. Dieser Mann trieb im Namen Willy Brandts und Walter Scheels voran, was sich „Wandel durch Annäherung“ nannte.

„Natürlich“, erzählte er einmal in kleiner Runde, „wissen wir, dass die Interessen und Prinzipien Breschnews und seiner Leute im Kreml nicht die unseren sind. Und auch die Kameraden in Ostberlin beabsichtigen etwas anderes als freiheitliche Demokratie. Wenn wir aber wollen, dass sich im Interesse der Menschen etwas ohne Waffengewalt ändert, müssen wir mit ­denen reden.“

Wir sollen also Intoleranz tolerieren? Das Nebeneinander mit Diktatoren und fundamentalistischen Gewalttätern? Nein, nicht alles ist in seinem Wert gleich. Wir sollten zu unseren Prinzipien und Werten stehen. Und: Wir müssen versuchen, die zu überzeugen, denen dies nicht so wichtig erscheint. Es geht schließlich um Menschen, ihr Leben, ihre Freiheit. Wer Flucht und Vertreibung beenden will, muss ihre Ursachen beseitigen.

Ein zähes und nervenaufreibendes Geschäft, an dessen Ende nicht das Paradies auf Erden steht, sondern bestenfalls die Hölle verhindert wird. Aber selbst die Fehler, die in Gesprächen und Verhandlungen gemacht werden, diskreditieren ihren Ansatz nicht. Frei nach Voltaire: „Wir sollten uns unsere Fehler, unsere Fehlbarkeit, unsere Unwissenheit eingestehen.“ Wenn Angela Merkel und Frank Walter Steinmeier den Eindruck vermeiden, Patentrezepte in der Tasche zu haben, und versuchen, mit den Prinzipien christlicher Überzeugung im Sinne Voltaires zu ­han­deln, kann man sie dabei kritisch begleiten, mit ihnen streiten. Also: Reden, diskutieren – quatschen! Im gemeinsamen Wissen: Politik ohne Dialog fördert Gewalt.

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