Wie die Zeit vergeht
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Entwicklungsphasen
Der "Schrubauber" fliegt davon
Am Anfang freuen sich Eltern über jeden Entwicklungsschritt des Kindes. Und plötzlich schmerzt es, dass manche Phasen für immer vorbei sind
Tim Wegener
02.10.2025
3Min

Am Wochenende habe ich in meiner Heimatstadt einen alten Freund getroffen. Wir hatten uns einige Jahre nicht gesehen. Obwohl er jünger ist als ich, hat er zwei Kinder, die deutlich älter sind als mein Sohn. Irgendwann kamen wir darauf zu sprechen, wie schnell sich Kinder manchmal entwickeln. Mit leichtem Bedauern erzählte er mir, dass die Kuschelphase bei seinen Kindern quasi vorbei sei. Der Jüngere käme noch manchmal, um seine Eltern zu knuddeln, die Tochter schon lange nicht mehr. Auch beim Sohn sei absehbar, dass sein Bedürfnis nach körperlicher Nähe zu seinen Eltern nachlässt.

Das hat auch mich nachdenklich gemacht. Mein Sohn kuschelt sich zwar noch sehr regelmäßig an Mama und Papa, hoffentlich noch ein paar Jahre lang, aber auch wir mussten uns schon mit Wehmut von gewissen Phasen verabschieden. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Sprache anschaut.

Ein Freund, dessen Tochter älter ist als mein Sohn, erzählte mir vor einiger Zeit, dass er manche ihrer "falschen" Wörter vermisst. Sie waren gemeinsam öfter im Zoo, und seine Tochter hat "Papagei" lange falsch ausgesprochen. Das ist ja auch kompliziert für ein Kleinkind. Aber irgendwann konnte sie es, ohne dass mein Freund sich an den genauen Zeitpunkt erinnerte. Aus dem "Kapakei" (oder so ähnlich) wurde der Papagei. Der Kapakei ist nun eine ausgestorbene Art.

Auch mein Sohn hat für manche Dinge lustige Namen erfunden. Statt "Roller" sagt er bis heute "Lorrer". Die Ziehharmonika ist die "Harmonikazieh". Und so hieß das Flugzeug bei ihm lange das "Zubzeig". Der Hubschrauber war folgerichtig der "Zubzeiger". Mittlerweile sagt er schon lange "Flugzeug". Nur aus dem Hubschrauber wird manchmal noch ein "Schrubauber". Aber auch das werde ich bald zum letzten Mal hören. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ja, es macht mich traurig, weil es zeigt, dass die ersten Entwicklungsphasen endgültig vorbei sind und auch die Zeit mit einem Kleinkind irgendwann vorübergeht.

Andererseits ist es natürlich schön (und praktisch), dass man mit ihm mittlerweile ziemlich gut kommunizieren kann. Wenn er am Spielplatz weinend angerannt kommt, kann ich ihn fragen, was passiert ist und wo es ihm wehtut. Als er kleiner war, hat er nur geschrien. Manchmal haben wir Eltern eine Beule oder einen blauen Fleck entdeckt, manchmal konnten wir nur mutmaßen. Jetzt sagt er mir, was er essen will und was nicht, anstatt einfach nur auszuspucken, wenn ihm etwas nicht schmeckt.

Ohnehin lernt er viel mehr neue Dinge dazu, als er welche verliert. Außerdem tröstet es mich, dass ich in fast jeder Phase mindestens einmal zu meiner Frau gesagt habe: Es ist gerade so schön mit ihm. Ich wünschte, er würde immer so bleiben! Diese Meinung revidiert man natürlich ganz schnell wieder, denn jede Phase hat auch ihre Tücken: Wenn das Baby zum Beispiel an Kabeln zieht oder das Essen über das halbe Wohnzimmer verteilt, ist das alles andere als beglückend.

Es ist gut, dass Verständnis und Vernunft wachsen und die Kinder nicht ewig von einem abhängig sind. Allein die Tatsache, dass mein Sohn mittlerweile in seinem Zimmer spielen kann, ohne dass ich seine Schritte überwachen muss, ist eine große Erleichterung. Ich sehe schon: Nicht mehr lange, dann wird er ausziehen. Okay, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben ...

Ja, es ist eine Binsenweisheit, aber so ist nun mal das Leben: Von manchen schönen Dingen muss man sich verabschieden, aber dafür folgen vielleicht andere neue unvergessliche Erlebnisse und Augenblicke. Ohne Veränderung wird es irgendwann langweilig. Und trotzdem erlaube ich mir, ein bisschen melancholisch zu sein, wenn eines nahen Tages der letzte "Schrubauber" davonfliegt und für immer am Horizont verschwindet.

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Kolumne

Michael Güthlein
,
Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (2) und drei Kinder (11, 10, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Sie schreiben im Wechsel.