Es ist übergriffig, Kinder ohne Erlaubnis der Eltern zu fotografieren
Es ist übergriffig, Kinder ohne Erlaubnis der Eltern zu fotografieren
ozgurcankaya/iStockphoto
Übergriffige Erwachsene
Lassen Sie bitte mein Kind in Ruhe!
Ein Foto, durch die Haare strubbeln, ein Kuss auf die Wange - ab wann verhalten sich Erwachsene Kindern gegenüber übergriffig? Und wie reagiert man als Eltern?
Tim Wegener
19.09.2024
3Min

Eine fremde Frau nimmt ein fremdes Kind zu sich auf den Schoß und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Ist das okay? Geht das zu weit? War das mal okay?

Vor ein paar Wochen habe ich so eine Situation im Zug beobachtet. Die Frau, die das Kleinkind hochgenommen hat, tat es zunächst aus Rücksicht. Der Junge stolperte durch den Gang, eine Gruppe Fahrgäste kam ihm entgegen und die Frau nahm in kurzerhand zu sich auf die Seite in die Sitzreihe, weil die Mutter noch zu weit weg war.

Ich habe leider nicht gesehen, wie die Mutter darauf reagiert hat, aber ich weiß noch, dass ich zunächst dachte: Wie nett! Doch bevor die Frau den Jungen wieder auf den Boden setzte, küsste sie ihn auf die Wange. Jetzt reagierte die Mutter, die nähergekommen war, ziemlich wütend: "Würden Sie bitte nicht einfach so mein Kind küssen?" Die Frau verstand offenbar nicht besonders gut Deutsch und reagierte mit einem verschämten Lächeln - sie verstand aber definitiv, dass die Mutter nicht erfreut war.

Als neutralem Beobachter war mir die Szene sofort unangenehm. Aber warum? Weil ich fand, dass die Mutter überreagiert hatte? Vielleicht war es im kulturellen Umfeld der Frau ganz normal, so überschwänglich mit Kindern umzugehen. In Deutschland ist man da immer arg reserviert ... Oder empfand ich es auch instinktiv als übergriffig, dass die Frau einfach ein ihr unbekanntes Kind küsste?

Wahrscheinlich ging mir beides durch den Kopf. Also erzählte ich die Geschichte in meinem Bekanntenkreis und bekam von einer Mutter eine eindeutige Antwort: "Es geht nicht darum, wie der Kuss gemeint war. Es geht darum, dem Kind zu zeigen, dass es nicht in Ordnung ist, wenn andere Menschen ungefragt etwas mit seinem Körper tun." Aus ihrer Perspektive war es vollkommen richtig, wie die Mutter reagiert hatte: den Grenzübertritt ansprechen und dem Kind signalisieren, dass das nicht okay ist. Meine Bekannte sagte auch: "Als unsere Tochter klein war, wurde sie auf einem Familientreffen am Tisch von Tante zu Onkel gereicht und jeder wollte sie abknuddeln. Ich habe das unterbunden und gesagt, dass sie kein Wanderpokal ist."

Wir müssen unseren Kindern vorleben, dass man sich wehren darf

Sie erzählte auch von einer Freundin, die mit dem Kinderwagen spazieren war, als eine fremde Person ungefragt in den Kinderwagen griff und ihrem Kind in die Wange kniff. Die Freundin fackelte nicht lange und kniff kurzerhand ihrerseits der Frau in die Wange, die natürlich zurückschreckte.

Ob sich das genau so abgespielt hat oder ob man in solchen Situationen so hart reagieren muss, weiß ich nicht. Aber die Botschaft ist klar. Ich halte es auch für angemessen, Menschen darauf hinzuweisen, wenn sie die körperlichen Grenzen von Kindern überschreiten - selbst wenn es "nicht böse gemeint" ist, selbst wenn jemand dem Kind nur durch die Haare wuschelt. Wenn wir unseren Kindern beibringen wollen, dass sie über ihren Körper selbst bestimmen dürfen, dann müssen wir ihnen auch aktiv vorleben, dass man sich dagegen wehren darf, wenn jemand etwas ungefragt tut.

Es klingt vielleicht hart, den Bogen vom Kniff in die Wange zu sexualisierter Gewalt und Missbrauch zu spannen, aber wenn Kinder lernen, dass Erwachsene alles tun dürfen, erleichtert das Tätern, übergriffig zu werden.

Darf man also gar nicht mehr nett zu Kindern sein? Doch, natürlich. Meint man es gut mit einem Kind, fragt man das Kind oder die Eltern - und respektiert die Antwort, auch als Tante oder Onkel. Nein heißt nein.

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Und das beginnt auch schon bei Fotos. Ich habe mehrfach erlebt, wie vor allem im Urlaub fremde Menschen meinen Sohn fotografiert haben - nicht alle haben uns gefragt. Nicht immer bin ich eingeschritten, aber in Zukunft werde ich es tun. Es ist ganz einfach: "Bitte fassen Sie mein Kind nicht ungefragt an, bitte fotografieren Sie es nicht."

Kolumne

Michael Güthlein
,
Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (1) und drei Kinder (10, 9, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen; sie schreiben im Wechsel.