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Ich schleiche mich gelegentlich in Lokalen an, ganz höflich natürlich, und erkundige mich, ob Küchenchefin oder Koch bereit wären, mir Zutaten und Vorgehensweise einer exzellenten Speise zu verraten. Selbst das gelingt fast immer, vor allem, wenn es mit der entsprechenden Hommage an die Künstler in Weiß verbunden ist. Wenn ich dazulernen kann von Menschen, die in ihrem Metier brillieren, bin ich dankbar.
Diesmal habe ich darauf verzichtet. Eine dunkle Bar in einem fremden Land, eine Cocktailkarte voll mysteriöser Drinks. Ich kenne keinen davon. Natürlich könnte ich als erstes fragen, was jeweils hinter dem Namen steckt. Nur ist das total langweilig - wo bleibt dann die Überraschung? Schon klar, dass sie unter solchen Umständen auch negativ ausfallen kann. Aber das muss man einfach riskieren. Ich bestelle die „Flower Box“.
Ein Cocktail in einer Blumenschachtel? Es kommt noch toller. Herbeigetragen wird in schummrigem Licht eine dunkle Holzkiste wie von einem Piratenschiff. Der Kellner öffnet elegant den Deckel. Es macht leise „plopp“ und eine Blase zerplatzt. Aus ihr entweicht frisch duftender weißer Dampf, der Kiste und Tisch in zarten Nebel hüllt. Schemenhaft kann ich Rosen entdecken, ebenfalls weiß, die sich in der Kiste verborgen haben.
Flower Box …. In der Mitte der Cocktail in einem grüngoldenen Becher. Ich komme mir vor wie im Märchen. Was passiert, wenn ich ihn leere? Nur Mut und hoch die Tassen! Cognac meine ich zu schmecken, Pfirsich, eine Menge Kräuter, vor allem Thymian, wenig Zitrone und vielleicht noch etwas Weißwein. Die Konsistenz des Drinks ist sehr geschmeidig, fast samtig - das spricht für Eiweiß im Getränk.
Weder verwandle ich mich in eine Prinzessin noch in eine Unke. Letzteres vor allem ist beruhigend. Der Angetraute neben mir sieht auch aus wie immer und schaut mich liebevoll-vertraut an. Alles in Ordnung offenbar. Nur ein Element fehlt mir noch … Irgendetwas kann ich nicht herausschmecken. Soll ich darum bitten, dass das Geheimnis gelüftet wird, oder lieber nichts entzaubern?
Wie wenn er meine Gedanken lesen könnte, geahnt hätte, steht der Kellner urplötzlich neben uns. „Elderflower“, sagt er. Holunder. Der Name bedeutet im Althochdeutschen heiliger, günstiger, gnädiger Strauch. Baum des Lebens. Die Sagen und Legenden, die sich um ihn ranken, sind Legion. Sogar das Jesuskind soll in einer Holunderkrippe gelegen sein. Fast ein wenig andächtig trinke ich den Becher aus. Das genaue Rezept brauche ich nicht mehr.
Von der Kolumne zum Buch:
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