Jan Skácel
Jan Skácel, mährischer Dichter, Prosaiker und Autor
Tschechisches Zentrum Wien
Ein Weihnachtsgedicht
Für alle, die im Herzen barfuß sind
Gesucht ist ein schönes, vielleicht mal nicht soo bekanntes Weihnachtsgedicht? Voilà, liebe Leserin und Leser: Hier ist mein Favorit aus dem 20. Jahrhundert, vom tschechischen Dichter Jan Skácel
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
20.12.2024
2Min

Der Bedarf ist groß, aber das Angebot könnte reichhaltiger sein. Gute Weihnachtsgedichte findet man nicht so leicht. Natürlich, es gibt die alten Lieder und klassische Verse wie die von Theodor Storm (der Weihnachten innigst liebte, zur Religion jedoch deutlich Abstand hielt). Aber in der modernen Literatur? Da hat man sich mit Weihnachten eher nicht befasst. Nun habe ich in diesem Jahr ein sehr schönes Weihnachtsgedicht eines großen Dichters des 20. Jahrhunderts gefunden.

Jan Skácel (1922-1989) gehört zu den bedeutendsten Autoren des modernen Tschechien. Während der kommunistischen Diktatur hielt er sich gerade und veröffentlicht nur im Untergrund oder im Ausland. Zum Glück fand er in Reiner Kunze einen Freund, der seine Gedichte übersetzte und im deutschen Sprachraum bekannt machte. Es braucht solche Brückenbauer, weil man in Deutschland zu sehr nach Westen starrt und die kulturellen Schätze der östlichen und südöstlichen Nachbarn zu oft übersieht.

Im Göttinger Wallstein-Verlag gibt es eine feine, konzentrierte Auswahl seiner Gedichte und Prosastücke mit dem wunderbaren Titel "Für alle die im Herzen barfuß sind", herausgegeben von Peter Hamm, mit vielen Übersetzungen von Reiner Kunze. Das Weihnachtsgedicht, das ich am Ende dieses langen Jahres allen ans Herz lege, hat Felix Philipp Ingold übersetzt.

Johann Hinrich Claussen und der Schriftsteller David Wagner über Weihnachten

Da es einen beim Lesen so direkt und doch überraschend anspricht, kann ich mir längliche literaturgeschichtliche Einführungen und theologische Deutungen ersparen. Stattdessen bedanke ich mich mit diesem lyrischen Fund bei allen, die meinen "Kulturbeutel" immer wieder mal aufgemacht haben und bei der Redaktion, die ihn so freundlich in Schuss hält. Nun aber, Jan Skácels "Weihnachten für Erwachsene":

Mit kindlicher Freude werden wir uns die Hände wärmen

wir werden lächeln und sagen

Weihnacht ist da

derweil der Frost mit weißem Faden all das Abgetragene

säumen wird

das ausgefranst ist in den langen Jahren

Ein wenig werden wir heiter sein

und ein wenig werden wir trauern

und ein wenig belustigt sein über uns selbst

und die Stille wird ihre zehn Finger ausstrecken

nach unsern Gesichtern

und wird herunterfrieren in die menschenleeren Straßen

Und die warmen Arme der Weihnachtsbäumchen

werden zu den Fenstern drängen wenn die Kinderlosen

nach dem Abendessen noch spazieren gehen

und sich bei den Händen halten

und einer des andern Kind ist

Und jeder von den beiden

wird der Erwachsene sein wollen

und sich um den andern kümmern

denn draußen ist’s eisglatt

und drinnen ist Weihnacht

Jan Skácel: Für alle die im Herzen barfuß sind
Wallstein Verlag, 20 Euro
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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur