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Vor kurzem hat eine Kirchengemeinde mich gebeten, eine scheinbare einfache Frage zu beantworten: Braucht der Glaube Schönheit? Das hat mich ins Grübeln gebracht. Eine Antwort hängt ja vom Glauben ab, aber auch von der Schönheit – oder was man darunter versteht. Hier nun ein paar Gedankenversuche.
Zunächst ist der Glaube nichts Ästhetisches. Er bezieht sich auf das, was mich unbedingt angeht, mein Leben im Kern trifft und verwandelt. Das muss nicht immer "schön" sein. Es kann mir auch als harte Überwältigung oder schmerzliche Erschütterung widerfahren.
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Doch Glaubenserfahrungen gibt es nie nackt und bloß. Wir geben ihnen immer eine Gestalt. Anders könnten wir unseren Glauben nicht mit anderen teilen und feiern, ihn nicht einmal uns selbst vor Augen führen. Diese Gestaltungen des Glaubens sind immer ästhetische Leistungen: Kult gibt es nur als Kultur.
Das beginnt mit der Sprache, in der wir beten oder uns vom Glauben erzählen. Sie ist kein Alltagsgerede. Sie stimmt einen höheren Ton an, wählt die Worte auch nach ihrer poetischen oder dramatischen Kraft, fügt sie in einen Rhythmus und eröffnet so einen Sprach- und Erfahrungsraum, der hoffentlich auch schön ist. Man lese nur die Psalmen des Alten Testaments oder die Evangelien.
Nah an der Sprache ist die Musik des Glaubens. Eigentlich sollte man weniger vom Glauben reden, als über ihn singen. Da verbinden sich Worte und Klänge, Bedeutungen und Gefühle auf eine Weise, die tiefer reicht und weiter hinauf führt. Die reiche Geschichte der christlichen Musik zeugt davon.
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Auch sucht sich der Glaube besondere Orte, die unterschieden sind von der banalen, geschäftigen und oft genug hässlichen Alltagswelt. Frühere Zeiten bauten herrliche Kirchen zur höheren Ehre Gottes. Ob der Ewige so etwas braucht? Auf jeden Fall brauchen wir schöne Architekturen, damit wir zur Besinnung kommen, uns gemeinsam ausrichten und den Glauben als ein Fest erfahren.
"Zum Gottesdienst machen wir uns schön, denn unser Gott ist schön"
Übrigens, es gibt christliche Gemeinschaft, die sich so etwas Teures nicht leisten können, wo sich die Gläubigen aber selbst auf eine Weise schön machen, wie es den deutschen Durchschnittschristen nicht bekannt ist. Man besuche nur einen afrikanischen Gottesdienst und staune über die Kleider und Frisuren der Frauen und Mädchen, die Anzüge und Schuhe der Männer und Jungs. Mir sagte einmal ein deutsch-afrikanischer Christ: "Zum Gottesdienst machen wir uns schön, denn unser Gott ist schön."
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Wenn man seinen Sinn für die Schönheiten des Glaubens schärfen und weiten lassen möchte, kann man sich von anderen christlichen Gemeinschaften und anderen Religionen inspirieren lassen. So hat der Autor Navid Kermani in seiner Doktorarbeit ("Gott ist schön") dargelegt, wie die Rezitation des Korans – für alle, die Arabisch verstehen – ein überwältigendes ästhetische Erlebnis sein kann. Von einem Rabbiner habe ich erfahren, wie das Nachdenken über die Tora etwas Köstliches bereithält. Leider war ich noch nie in Asien. Aber ich stelle mir vor, wie die Pracht hinduistischer Tempel mir den Atem rauben oder die Stille buddhistischer Klöster mich beglücken würde.
Allerdings geht mir nach all den Lobpreisungen der Glaubensschönheiten ein Störgedanken durch den Kopf. Schönheit hat auch ihre hässlichen Seiten. Sie kann als Instrument benutzt werden, um Menschen zu beeinflussen, zu locken und zu manipulieren. Die Konsumwirtschaft weiß das nur zu gut und setzt ihre Künste sehr geschickt ein, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und uns zu bestimmten Entscheidungen zu verleiten.
Dabei verliert das Schöne – das doch eigentlich ein "interesseloses Wohlgefallen" (Immanuel Kant) auslösen soll – seine Freiheit. Es wird zugerichtet und benutzt. Deshalb wünschte ich mir, in der Kirche solchen Gestaltungen des Schönen zu begegnen, die nicht einem fixen Muster folgen, keine Norm aufstellen und keinem Zweck dienen, sondern meinen Sinn für Gottes Unendlichkeit wecken sowie meine Sensibilität für die Würde meiner Mitmenschen und Mitgeschöpfe fördern.