„Krabat“-Linolschnitt von Herbert Holzing 2020 in der Otfried-Preußler-Ausstellung, Ludwiggalerie, Oberhausen
Michael Dahlke/funke foto services/IMAGO
Otfried Preußler
Ein Jugendbuch gegen totalitäre Gewalt
Es gibt gerade einen Streit, weil eine Schule in Bayern nicht mehr nach Otfried Preußler benannt sein will. Das geht mich eigentlich nichts an. Doch ich lese endlich wieder „Krabat“
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
22.03.2024

Der Streit um die Schulumbennung in Pullach ist mir eigentlich egal. Aber er bietet mir eine Gelegenheit, wieder in Otfried Preußlers bedeutendstes Buch zu schauen: „Krabat“. Mich hat dessen christliche Tiefendimension immer fasziniert. Jetzt frage ich mich, inwiefern man es als Auseinandersetzung des Autors mit seiner jugendlichen Begeisterung für den Nationalsozialismus lesen kann. 

Normalerweise vermeide ich es, in alte Texte von mir zu schauen. Jetzt aber habe ich es getan, weil der Streit um Otfried Preußler (Warum war er als Jugendlicher ein Nationalsozialist? Warum hat er später keine explizite Reue geäußert?) mich beschäftigt. Vor einem Vierteljahrhundert (wie das klingt!) hatte ich einen Literaturgottesdienst über „Krabat“, eines der wichtigsten Bücher meines Lebens, gehalten. Nun habe ich es mir noch einmal angesehen.

Preußler erzählt darin eine alte wendische Sage neu: Ein heimatloser Betteljunge gerät in die Fänge eines teuflischen Müllers; unbedingten Gehorsam muss er ihm versprechen; tiefer und immer tiefer wird er in dessen dunkle Macht verstrickt; die Mühle, in der er dienen muss, ist ein totalitäres System, aus dem es keinen Ausgang zu geben scheint.

Damals faszinierte mich, wie genau sich die Geschichte am Lauf des Kirchenjahrs orientiert. Dreikönigstag, Karfreitag, Osternacht, Ostersonntag spielen eine große Rolle. In der Mühle herrscht eine menschenfeindliche und antichristliche Ordnung, die einem dämonischen Gegen-Kreislauf folgt: Das ganze Jahr besteht nicht – wie im Kirchenjahr – aus einer sinnreichen Abfolge von Festen und Gedenktagen, sondern nur aus Arbeiten und Sterben und Vergessen. In jeder Silvesternacht muss einer der Müllerjungen sterben, aber es darf nicht an ihn gedacht oder für ihn gebetet werden, dann geht es für die übrigen mit der Schinderei weiter. Über die Zeit herrscht allein der Müller, ein allmächtiger Sklaventreiber und Menschenfresser. Wie Krabat an einem Ostertag befreit wird, weil er die Liebe gefunden hat, erzähle ich hier nicht. Das lesen Sie am besten selbst, auch wenn Sie es früher schon einmal gelesen haben.

Jetzt frage ich mich, ob Preußler diese Geschichte deshalb so eindringlich erzählen konnte, weil er selbst erlebt hatte, wie faszinierend ein dämonischer Gewaltherrscher sein kann, welchen Sog er über junge Menschen entfalten kann, dass hinter seinen Zauberkünsten aber nichts als stumpfe, öde Bosheit zu finden ist, dass einem das Leben unter seiner Knute die eigene Menschlichkeit raubt, wie schwer es ist, sich seiner Macht zu entziehen, aus dem Zwang des totalen Gehorsams auszusteigen, dass es aber gelingen kann zu widerstehen, wenn man liebt und geliebt wird. Das sind Fragen an den Text, die zeigen, dass er auch heute noch eine unverzichtbare Lektüre ist.

P.S.: Warum ist die AfD in Ostdeutschland so erfolgreich (und nicht nur dort)? In meinem aktuellen Podcast spreche ich mit dem Rechtsextremismus-Experten David Begrich (Magdeburg).

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur