Der alte Mann war gelassen, als es zum Sterben ging. Man hatte einen inoperablen Krebs diagnostiziert, und er wirkte sonderbarerweise irgendwie erleichtert. Er begann mit den Vorbereitungen auf sein Ende und ließ seine Lieblingsbilder aufhängen: Einen Holzschnitt mit Noah, der die lang ersehnte Taube in Empfang nimmt, die ihm kündet, dass die Sintflut vorbei ist. Eine Graphik mit Psalm 90: Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Und die Postkarte eines Ölgemäldes aus dem 15. Jahrhundert, das den auferstandenen Christus zeigt. Der Auferstandene steht hoch aufgerichtet und kerzengerade neben dem Sarg. Sein blasser Leib ist nun unverletzbar. Hinter ihm eine beinahe unwirkliche Landschaft. Christus hebt die Hand zum Siegergruß.
Unter diesem kleinen Hausaltar, der von einer Mischung aus Sehnsucht, Hoffnung und Gewissheit erzählte, verabschiedete er sich von seinen Lieben. Nichts blieb ungesagt. Wenn er vom Sprechen erschöpft war, bat er um Musik. Das Requiem von Verdi und das von Mozart und das von Brahms. Texte der Hoffnung, Töne, die Begleiter werden können in ein anderes Leben.
Der Ernstfall des christlichen Glaubens ist der Tod. Wer ihn gelassen bewältigen kann, ihn vielleicht gestalten, reiht sich ein in die endlose Reihe von Menschen, denen ihr Glaube an den Auferstandenen ein Sterben in Würde ermöglicht hat. Die Auferstehung des gefolterten und gekreuzigten Predigers aus Galiläa war aber zugleich schon immer das gewichtigste Hindernis des Glaubens und ein starkes Argument, das Christentum nicht ganz ernst zu nehmen. Denn die einzige todsichere Erfahrung eines jeden Menschen ist der Tod und seine Unumkehrbarkeit. Es gab viele Gebildete, die Paulus und anderen christlichen Missionaren gerne zuhörten, wenn sie von der Friedenspredigt des Jesus von Nazareth erzählten, von der Feindesliebe, die den eigenen Tod in die Waagschale wirft, von dem Heiler und dem Propheten, der das Reich Gottes mitten unter den Menschen wahrnehmen konnte. Aber wenn die Rede auf die Auferstehung von den Toten kam, schüttelten sie die Köpfe, diagnostizierten Wahnvorstellungen, Fieberträume, und die Zweifler vermuteten, dass die Jünger wohl einem raffinierten Leichendiebstahl auf den Leim gegangen seien.
Für Paulus aber ist der Tod der Ernstfall des Glaubens. Für ihn bekommt alles, was Jesus gepredigt und getan hat, seinen revolutionären Sinn, sein göttliches Gewicht, seine weltgeschichtliche Dimension erst mit der Auferstehung. Denn die Auferstehung Christi ist der fundamentale Widerspruch gegen alle tödlichen Selbstverständlichkeiten und gegen alle lebensfeindlichen Strukturen. Die Auferstehung ist die Revolution gegen den Tod.
Es ist bis heute ein dunkles Rätsel der Weltgeschichte, warum das Kreuz das zentrale Symbol der Christenheit geworden ist. Es steht auf den Altären, baumelt in Gold um den Hals und hängt heute durchaus umstritten in Schulen, Gerichtssälen und Krankenhäusern. Warum haben die Christen eigentlich nicht das leere Grab zu ihrem Symbol gemacht, warum hängen sie sich nicht die Ostersonne um den Hals, warum feiern sie die Eucharistie unter dem Kreuz und nicht in Gegenwart der Figur des Auferstandenen. Der Sieg über den Tod, die Überwindung von Schmerz und Leid und die Liebe Gottes zum Leben ist der zentrale Inhalt christlichen Glaubens. Ein Christ buchstabiert sein Leben vom Ende her. Er rechnet mit dem Tod, glaubt aber nicht an ihn. Der Tod ist nicht mehr und nicht weniger als der letzte Schritt auf Gott hin. Wer an die Auferstehung glaubt, kann diesen Schritt trittfest und gelassen gehen.