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Als ich vor vielen Jahren in Marburg studierte, musste ich über die Geschichte vom Propheten Elia am Gottesberg Horeb meine erste Seminararbeit schreiben. Sorgfältig wendete ich die Methoden an, die ich im Proseminar gelernt hatte. Ich übersetzte den hebräischen Urtext, prüfte seine Varianten, untersuchte die Geschichte der im Text enthaltenen Traditionen, beobachtete die literarischen Brüche im Text und so fort. Aber ich spürte, dass mir die Geschichte trotz aller Bemühungen sehr fremd geblieben war, zu weit entfernt von meiner studentischen Lebenswirklichkeit: Wüste, Engel – und eine Offenbarung Gottes selbst. All dies kannte ich nur aus der Bibel, aber nicht aus eigener Erfahrung.
Meine Gefühle von Fremdheit angesichts des Textes bauten sich erst ab, als ich selbst ein Jahr später nach Weihnachten wie Elia von Beerscheba, einer Stadt im südlichen Israel, in die Wüste ging. Zwar war ich damals nicht in meinem Leben bedroht und musste auch nicht aus meinen neuen Studienort Jerusalem fliehen, aber ich war doch ziemlich verwirrt und erledigt. Die Frage, wie ich das Judentum theologisch begreifen könnte, setzte mir zu, eine ungeklärte Beziehung zu einer Freundin trieb mich um. Als ich nach einer anstrengenden Tageswanderung auf dem Wüstenboden lag, fiel mir die Geschichte vom Propheten Elia wieder ein. Wasser hatte ich wohl ausreichend mitgenommen (es schmeckt in der Wüste so gut wie sonst nirgends). Aber geröstetes Brot muss man sich wie die Beduinen erst auf dem Stein backen. Was wünschte ich mir einen gedeckten Tisch nach so langer Wanderung! Und einen Engel, der einem am nächsten Morgen den Weg zeigt und zum Weitergehen ermuntert, hätte ich damals auch gut brauchen können: In dieser Einöde gibt es auch heute noch sehr selten Wegmarkierungen, meist muss man die Karte und die Landschaft irgendwie zur Deckung bringen. Auch das kann einen ziemlich niederdrücken.
Gefühl, dass mir einer zugehört hat, als ich ihm das Herz ausgeschüttet hatte
Plötzlich trat bei mir ein Umschwung ein, den ich nur zögerlich beschreibe und den ich gar nicht mit Elias Erlebnissen vergleichen will. Er half mir, die außerordentliche Erfahrung des Propheten ein wenig besser zu verstehen. Nachdem ich gegessen und den imponierend schönen Sternenhimmel beobachtet hatte, faltete ich die Hände und begann zu beten. Und erzählte, was mich bedrückte und die Einsamkeit hatte suchen lassen. Dabei fühlte ich mich dem Gott, zu dem ich betete, so nahe wie selten sonst.
Seit diesem Erlebnis kann ich eine Erfahrung des Volkes Israel, die die Erzählung vom Propheten Elia in der Wüste bezeugt, einigermaßen nachvollziehen: Gott kann einem in der Wüste näherkommen. Gott kann einem näherkommen, wenn all das Getriebe des Alltags fortfällt, wenn an die Stelle des Lärms das Schweigen der Wüste tritt, sich statt vieler Eindrücke nur noch ganz wenige Spuren im Sand finden und die Sterne am Himmel der Nacht. Am nächsten Morgen bin ich getröstet und fröhlich aufgewacht, weil ich das Gefühl hatte, dass mir einer zugehört hat, als ich ihm das Herz ausgeschüttet hatte. Ich meinte nun zu wissen, wie ich meine Probleme lösen könnte.
In den letzten Jahren ist mir diese Geschichte noch nähergekommen. Mir ist deutlicher, dass sie ein wunderbares Detail für die enthält, die nicht in die Wüste laufen können, um sie zu verstehen. Gott erscheint Elia nicht in Sturm, Erdbeben und Feuer. Er erscheint in einem stillen, sanften Sausen. Elia sieht Gott nicht. Er spürt und erfährt, wer und was Gott ist. Es braucht keine großen Wüstenerlebnisse, nicht einmal ein besonders inniges Gebet: Gott kann einem mitten im Alltag in einem stillen, sanften Sausen nahekommen. Man muss sich nur ein wenig Ruhe für eine solche Erfahrung nehmen – egal ob in Beerscheba oder wo auch immer.