Es riecht nach Staub. Vor einem Souvenirladen baumeln hellbraune Ledertaschen vor Ikonen und Weihrauchgefäßen. Ein Führer drängelt sich mit einer Schar gelbbemützter Touristen in Richtung Grabeskirche. Eine Rucksackreisende hält ihr Gesicht in die Frühjahrssonne. Neben ihr hängt die MP-Mündung eines israelischen Soldaten. Eine Gruppe Koreaner zieht mit riesigem Kreuz singend über die Via Dolorosa, den Schmerzensweg Jesu.
Über zwei Millionen Besucher zieht Jerusalem jährlich an. Juden beten an der Klagemauer, einem Teil der früheren jüdischen Tempelanlage. Sie stecken Zettelchen mit Gebetswünschen in ihre Fugen. Muslime zieht es zur Al-Aksa-Moschee oberhalb der Klagemauer, ihrem drittwichtigsten Heiligtum. Und zum Felsendom, wo Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte, und wo Mohammed angeblich gen Himmel fuhr. Selbst viele säkulare Christen fasziniert die Vorstellung, dass Jesus hier vor 2000 Jahren seine letzten Tage vor der Kreuzigung verbrachte. Wem gehört Jerusalem? So gesehen den Pilgern, Reiseführern und Souvenirverkäufern.
Nicht jedem gefällt das "Geläuff" der Pilger
Eine heilige Stadt ist Jerusalem allerdings nur in der Vorstellung der Menschen. Ansonsten ist sie eher ein Ort erbitterten Streits – vor allem zwischen radikalen jüdischen Siedlern und der angestammten Ostjerusalemer Bevölkerung. Längst nicht jeder Pilger findet hier seine religiösen Erwartungen bestätigt. „Reisen verderben die großartigsten Bilder“, spottete der Schriftsteller Mark Twain – zu Recht. Auch gefällt nicht jedem die Pilgerei. Allein aus Glauben komme ein Christ zu Gott – nicht durch das „Geläuff“, sagte der Reformator Martin Luther. Über einen anderen Pilgerort, Santiago de Compostela, ätzte er: „Lauf nicht dahin, man weiß nicht, ob Sankt Jakob oder ein toter Hund da liegt.“
Europäische Kirchen prägen heute noch das Bild der Altstadt
Jerusalem ist auch eine ganz normale Stadt mit Kinos und Fitnesscentern. Nur dass hier mehr Devotionalien verkauft werden als anderswo. Und dass jeder diese Stadt haben will. Seit Jahrhunderten erheben gleich mehrere Religionen Anspruch auf sie. Nie werde der Gott Israels Jerusalem vergessen, schrieb ein Prophet im fünften vorchristlichen Jahrhundert. Gott habe die Stadt in seine Hände tätowiert, ihre Mauern stünden ihm stets vor Augen (Jesaja 49,16). Zu den ersten christlichen Jerusalempilgern zählt die Mutter Kaiser Konstantins des Großen, der dann die Grabeskirche errichten ließ. Nach Eroberung der Stadt bebauten die muslimischen Omaijaden den Tempelberg mit Moscheen. Die Kreuzritter kämpften um Jerusalem auch unter dem Vorwand, die christlichen Pilgerwege seien unsicher.
Im 19. Jahrhundert, als sich normale Bürger erstmals längere Reisen leisten konnten, kam eine Heilig-Land-Begeisterung auf – selbst unter Lutheranern. Deutsche, Franzosen, Italiener, Österreicher, Engländer, sie alle kauften Grundstücke von den osmanischen Eigentümern. Ihre Kirchen und Hospize prägen noch heute das Bild der Altstadt. Jüdische Zionisten aus Österreich-Ungarn und Russland entdeckten Palästina als neue Heimstatt. Nach der Schoah immigrierten Juden zu Hunderttausenden. Und als Israel ganz Jerusalem 1967 im Sechstagekrieg einnahm, zog es viele jüdische Soldaten als Erstes zur Klagemauer, um dort zu beten.
Israelische Behörden erkennen die alten Urkunden nicht an
Völkerrechtlich ist Jerusalem heute eine geteilte Stadt. Ihr Westteil gehört zu Israel, der Osten zu Palästina. Das hat Auswirkungen bis ins Handelsrecht. Israelische Exporteure etwa, die sich im Ostteil angesiedelt haben, müssen ihre Waren in der EU verzollen, da sie nicht unter ein Zollabkommen fallen, das die EU 1995 mit Israel geschlossen hat. Israel akzeptiert diese Teilung nicht: Ostjerusalem solle von Verhandlungen ausgenommen werden, wenn es um palästinensische Gebietsansprüche gehe. Israelische Behörden erkennen Besitzurkunden aus der osmanischen Zeit oft nicht an. Vor allem palästinensische Jerusalemer können sich kaum wehren, wenn sie dann enteignet werden und jüdische Siedler ihr Grundstück kaufen. Dieser Streit um das Land kann nicht religiös, er muss juristisch und politisch gelöst werden. Für Pilger jeder Religion sollten die Heiligtümer allerdings stets offen stehen. Das heilige Jerusalem wird immer ihnen gehören.
Wem gehört Jerusalem?
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Chrismon 04.2011 Hinweis auf einen Fehler
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich beziehe mich auf Ihren Artikel "Wem gehört Jerusalem" Religion für Einsteiger. In der o. g. Ausgabe schreiben Sie, daß den Muslimen Jerusalem heilig sei wegen der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom, in dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte und von wo aus Mohammed in den Himmel fuhr.
Die Begründung, warum der Felsendom heilig ist, ist nicht ganz korrekt. Nach muslimischem Verständnis sollte Abraham seinen erstgeborenen Sohn Ismael, den er mit der Magd Hagar hatte, dort opfern.
Nach jüdischem Verständnis sollte Abraham seinen Sohn Isaak, den ihm später seine Ehefrau Sara geboren hatte, opfern.
Es geht für die Muslime also nicht darum, daß Isaak geopfert werden sollte, wie Sie schreiben, sondern um Ismael.
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Glaube und Gebet
Materialistische "Absicherung", das ist es warum/worum die Menschen dieser zeitgeistlich-reformistischen Welt- und "Werteordnung" wetteifern.
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