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„Du musst nur sagen, was du willst, ich mach das dann.“ Wenn meine Kinder so mit mir reden und sogar auf Ratschläge nicht genervt reagieren, dann hat eine Zeitenwende stattgefunden.
Wenn man sich nicht rechtfertigen muss wegen eines wenig nachhaltigen Kurzurlaubes am Meer; wenn ein militanter Nichtraucher gut gelaunt im Krankenhaus einer Frau nach draußen hilft und ihr die Zigarette anzündet; wenn du fürs Skatspielen unmittelbar Mitspieler findest, ohne überreden zu müssen...dann sind das alles klare Hinweise auf das, was ich palliative Narrenfreiheit nenne.
Wenn dann auch noch überzeugte Atheistinnen mir wünschen, dass mein Gott mich gut und lange durch diese Zeit trägt und Kirchenkritiker*innen anerkennend von der christlichen Selbstverständlichkeit des Krankenbesuchs reden, dann gibt es keinen Zweifel mehr.
Leben im goldenen Käfig?
Als Palliativpatientin darf ich einfach alles, habe grundsätzlich Recht und mir fällt gerade tatsächlich nichts ein, was mir in letzter Zeit von Familie oder Freund*innen wirklich krummgenommen wurde.
Ein wenig hört sich das natürlich an wie die Sache mit dem goldenen Käfig. In einem solchen sitzt man ja gut versorgt, hat alles, was man braucht und ist trotzdem nicht zufrieden: Der oft auch streitbare Austausch auf Augenhöhe mit der Welt fehlt.
Nach über zweijähriger Krankengeschichte ist das für mich eigentlich sogar ein wunder Punkt, auf betüttelndes und behütendes Gehabe reagiere ich mittlerweile über die Maßen empfindlich. „Niemand will ihnen die Schmerzmittel wegnehmen“, höre ich von ärztlicher Seite und kann den paternalistischen Grundton kaum ertragen. „Ich kann ihnen nicht sagen, wie lange sie noch leben“, höre ich von einer Palliativmitarbeiterin und antworte pampig, dass ich ihr eine Antwort eh nicht glauben würde.
Ich weiß um meine besondere Empfindlichkeit, wenn ich mich durch meine Erkrankung nicht ernst genommen fühle und reiße mich jetzt normalerweise bewusst zusammen.
Erstaunlicherweise muss ich das bei der „palliativen Narrenfreiheit“ jedoch nicht. Ich finde die liebevollen Gesten der Toleranz und Freundlichkeit einfach schön; und das kann nicht nur daran liegen, dass ich jetzt öfter jemanden zum Skatspielen finde.
Offenheit und Toleranz sind doch eigentlich nie falsch
Ich glaube, ich genieße einfach die wunderbare Therapie- und Pädagogikfreiheit dieser Freundlichkeiten. Wer der Patientin Feuer gibt, um ihr das verhasste Rauchen zu ermöglichen, muss nichts von seiner Überzeugung opfern. Keine Therapieziele, dafür Leben und Freundlichkeit pur ohne jede Berechnung, kein Besserwissen, kein von oben herab. Und wer Skat spielt statt zu lesen, gibt keine Überzeugung auf, sondern nimmt sich einfach selbst für eine kleine Zeit nicht so wichtig.
Auch als Seelsorgerin habe ich diese schöne Freiheit erlebt. Eine Frau, die sehr einsam lebte, meinte auf der Palliativstation unvermittelt: „Mein ganzes Leben lang habe ich mir immer eine Freundin gewünscht. Ausgerechnet jetzt, kurz vor Schluss, habe ich Sie gefunden.“ Alle meine professionellen Alarmlampen haben in dem Moment kurz geleuchtet. Habe ich hier Erwartungen geweckt, die ich nicht erfüllen kann?
Es war in Ordnung so und ich nahm mir ein paar Wochen lang einfach sehr viel Zeit für diese Frau. Warum nicht?
„Palliative Arbeit ist immer zu spät“, lautet der erste Satz auf dem Flyer meines Palliativdienstes und vermutlich gilt das auch für die palliative Narrenfreiheit. Es kann doch eigentlich nie zu früh sein für diese offene Freundlichkeit und Toleranz.
Danke, Karin
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Liebe Karin,
danke, dass Du uns an Deinem Prozess so teilhaben lässt. Du hast eine unfassbare Gabe, die Gedanken und Gefühle niederzuschreiben. Einfach unglaublich! Mach weiter so, das ist so wertvoll.
Karin Lackus Blog: Palliative Narrenfreiheit
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Liebe Karin, wieder ein toller Beitrag, bei dem man komplett zwischen Lachen und Weinen steht. Du hast völlig Recht. Natürlich erfordern besondere Situationen besonderes Verhalten. Aber eigentlich kostet es auch im "normalen " Alltag so wenig, sich selbst mal für einen Moment zurückzunehmen, wenn das dem Gegenüber gerade gut tut. Ein wichtiger Denkanstoß.
Liebe Grüße Anneke