Flüchtlingshilfe
Flüchtlingshilfe
Teresa Walton/plainpicture
Zahlt die Stadt die Miete?
Unsere Autorin Barbara Schmid ­möchte einer ukrainischen Familie ­helfen. Doch sie hat die Rechnung ohne die Verwaltung der Stadt Düsseldorf gemacht.
Anja Meyer
13.10.2022

Irgendwo in Düsseldorf muss es ein großes tiefes Loch geben. Einen ­Datenfriedhof ungeahnten Ausmaßes. Dort verschwinden Briefe, E-Mails und alles, was der ­Bürokratie erforderlich erscheint: Anträge, Miet­angebote, Genehmigungen zur Untervermietung, Bescheinigungen, Passkopien . . . Dort, wo auch immer es ist, liegen gefühlt ­Hunderte Seiten von mir und meinen ukrainischen ­Gästen. Wir haben versucht, erst ­Geldleistungen für sie und später Miete für meine Wohnung in Düsseldorf zu bekommen.

Tausenden ging es im Frühjahr so wie mir, als mit schrecklichen Bildern der Angriffskrieg auf die Ukraine in unsere Wohnzimmer einzog. Was kann man tun? Wie helfen? Ganz viele haben Zimmer frei gemacht, Wohnungen angeboten, sind zum Bahnhof gefahren, um ankommenden Frauen mit ihren Kindern ein Dach über dem Kopf anzubieten.

Anja Meyer

Barbara Schmid

Barbara Schmid, geboren in Nürnberg, ist Journalistin. Zunächst arbeitete sie u. a. für den "Kölner Stadt-Anzeiger" und die "Kölnische Rundschau". 1991 ging sie als Hauptstadtkorrespondentin für die "BILD am Sonntag" nach Bonn, seit 1998 arbeitet sie für den "Spiegel". 2006 war sie Sprecherin für das Kulturprogramm der Fußball-WM 2006. Sie lebt in Düsseldorf und in Ligurien. Im April 2020 ist ihr Buch "Schneewittchen und der böse König" (mvg, 16,99 Euro) erschienen. Es erzählt die wahre Geschichte einer jungen Frau, die in die Zwangsprostitution abgerutscht ist.

Ich habe eine Freundin angerufen, die schon 2015 während der Flüchtlingskrise ­engagiert war, und habe gefragt, wie ich ­helfen kann. Wie es in Kriegsgebieten ausschaut, wie es dort riecht, auch nach verscharrten ­Körpern, wie es ohne Strom und Heizung ist, die Verzweiflung und den Schmerz der überfallenen Menschen, das alles kenne ich aus dem ehemaligen Jugoslawien. Dort war ich als Reporterin unterwegs. Mein Büro in ­Düsseldorf erschien mir nach den ­Nachrichten aus der Ukraine als überflüssiger Luxus. Zwei Zimmer mitten in Düsseldorf sollten zur Unterkunft für Geflüchtete werden.

Völlig erschöpft

Am 23. März 2022 sind Oxana und ­Victoria*, Mutter und erwachsene Tochter mit zweijährigen Zwillingen, bei mir eingezogen. Sie kommen aus Kiew und hatten sich, als die ersten Bomben fielen, auf den Weg gemacht, um zu retten, was ihnen am wichtigsten ist: die beiden kleinen Kinder. Ohne sie wären sie zu Hause geblieben, um bei ihren Männern zu sein und um ihr Land zu verteidigen.
Nur durch einen Zufall sind die vier in Düsseldorf gelandet. Sie fuhren mit dem Zug Richtung Westen, den sie in aller Eile be­stiegen hatten, nur mit einem Rucksack voller Lebensmittel und Windeln für die Kinder. Im Zug trafen sie eine andere Frau, die jemanden kannte, in Düsseldorf. Den Namen der Stadt hörten sie da zum ersten Mal. Sie kamen erst bei der Familie dieses "Jemand" unter. Viele Menschen auf kleinem Raum. Und meine Freundin hatte davon erfahren.
Jetzt waren Victoria, 38, und Oxana, 59, in einem Land, das sie nicht kannten, dessen Sprache sie nicht sprachen. Sie waren, als sie bei mir ankamen, völlig erschöpft. Mit Victoria kann ich mich ein wenig auf Englisch unterhalten, ansonsten helfen die Übersetzungsprogramme unserer Handys. Victoria hat im Passamt der Stadt Kiew gearbeitet, Oxana ist ausgebildete Masseurin und war in einer Reha­klinik beschäftigt. Sie haben mich gebeten, nicht viel von ihren Männern zu erzählen. Die waren schon im Krieg, als die Russen 2014 die Krim besetzten – und jetzt wieder.

Über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine sind seit Kriegsbeginn in Deutschland angekommen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, ist "stolz auf die Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft in unserem Land". An die überbordende Bürokratie, die das Helfen schwer macht, hat sie dabei sicher nicht gedacht.

Wir haben keine Ahnung, wie lange ­Victoria, Oxana und die Zwillinge bleiben werden. Anfangs dachte ich nicht an die Miete, das war meine private Ukrainehilfe. Allerdings hätte ich mir damals auch nicht vorstellen ­können, dass es in einer Stadt wie Düsseldorf so schwer sein würde, an Hilfen zu kommen, die den Flüchtlingen aus der Ukraine zustehen. Inzwischen fühle ich mich hilflos und es ist mir peinlich, meinen Gästen gegenüber. Wie muss es da nur Flüchtlingen gehen, die nicht mal unsere ­Sprache sprechen? Nach einem halben Jahr, nach vielen Mails von mir und unzähligen Versuchen meiner Gäs­te bei allen möglichen Stellen der Stadt und dem Jobcenter habe ich es am 6. ­September mit einem Brief an den Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller, CDU, versucht. Eine Antwort steht bei Redaktionsschluss noch aus.

Die überbordende Bürokratie macht das Helfen schwer


Ist es nur in Düsseldorf so schlimm? Für chrismon habe ich mich in ganz Deutschland bei Flüchtlingen und Helfenden, Gastfamilien und Behörden umgehört. Es gibt kein einheitliches Bild, oft hängt es von den handelnden Personen ab, es gibt engagierte Bürgermeister und funktionierende Verwaltungen. Aber die überbordende Bürokratie macht es allen schwer, den Helfern und den Flüchtlingen.

Schnelle Reaktion in Berlin

Wie läuft das anderswo? Zwei Schwestern mit ihren beiden Kindern und einem kleinen Hund zogen bei Christian Schmidt und seiner Frau in die große Wohnung in Berlin-Charlottenburg ein. Schmidt ist immer noch erstaunt, wie gut das alles geklappt hat: "Die Frauen bekamen sehr schnell Geld und AOK-Versicherungskarten vom Sozialamt, für die Kinder hatten wir schon nach ein paar Tagen Schulplätze." Als weitere Familienmitglieder aus dem Kriegsgebiet nachkamen, wurde es bei der Familie Schmidt zu eng. Über die Stadt, erzählt er, hätten sie sehr schnell eine Wohnung vermittelt bekommen. Kontakt haben sie ­
immer noch, die Kinder kommen regelmäßig zum Klavierunterricht vorbei.
Acht Familien hat allein Veronika Schürle untergebracht, sie ist gebürtige Bulgarin, spricht Russisch und leitet in Stuttgart den christlichen Verein Esther Ministries e. V., der sich um notleidende Frauen kümmert. Sie hat in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn auch als Übersetzerin in der Erstaufnahme in Ellwangen gearbeitet. In ihrem Wohnort Bartholomä, zwischen Stuttgart und Ulm auf der Schwäbischen Alb gelegen, klappte es gut mit der Unterbringung von Flücht­lingen. "Wir kennen dort den Bürgermeister, der sich sehr eingesetzt hat. Die Gemeinde zahlte schnell die Mieten. Auch im Juni, nach dem Übergang der Ukraineflüchtlinge in den Zuständigkeitsbereich des Jobcenters, kümmerte sich die Gemeinde darum, dass es zu keinen Finanzierungslücken kam."

Ganz andere Erfahrungen hat Schürle in Stuttgart gemacht. Ihr Verein hat dort eine Wohnung, schnell konnte sie drei ­geflüchtete Frauen unterbringen. Miete hat ihr Verein bisher nur für eine der Frauen und auch nur für einen Monat bekommen. Verstehen kann Veronika Schürle das nicht. Es gibt schließlich eine Verpflichtung der Kommunen, die Mieten zu übernehmen, solange sie sich im vernünftigen Rahmen der orts­üblichen Mieten bewegen. Auf Dauer schade ein solcher Umgang mit der Hilfsbereitschaft dem sozialen Engagement, fürchtet Schürle.

Knapper Platz in München

In München mussten Frauen mit ihren Kindern wieder in Notunterkünfte ziehen, weil Wohnraum nur vorübergehend zur Verfügung stand. Aber auch dort wird der Platz langsam knapp, weil immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dann wird das private Engagement noch wichtiger. Was aber, wenn Teile des Staates die Helfer im Regen stehen lassen?

Klappt die Unterbringung auf dem Land, in kleinen Gemeinden besser als in der Großstadt? "Hier kümmert sich der Chef persönlich", versichert Manfred Scherer, SPD. Er ist Verbandsbürgermeister der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen, zehn Ortschaften mit 15 000 Einwohnerinnen und Einwohnern in Rheinland-Pfalz in der Nähe von Bingen. Als Scherer die ersten Nach­richten vom Krieg in der Ukraine las, griff er zum Telefon und ließ im Amtsblatt Wohnungssuchanzeigen veröffentlichen. Die Verbandsgemeinde hat einen eigenen Flüchtlings- und Armutsbeauftragten, einen Syrer, der 2015 nach Deutschland gekommen war. Über 200 Flüchtlinge aus der Ukraine wurden bisher in 60 angemieteten Wohnungen untergebracht, drei Häuser sollen angekauft werden. Ein paar Mal ist Scherer mit seinen Leuten bis an die Grenze zur Ukraine gefahren, hat Hilfsgüter abgegeben und Flüchtlinge mitgebracht.

Sprendlingen-Gensingen ging in Vorleistung

Wie lange es denn gedauert hat, bis die Miete gezahlt wurde? Scherer versteht die Frage erst gar nicht. "Na, sofort!" Auch Geld haben seine Flüchtlinge schnell bekommen. Die Gemeinde ging in Vorleistung. Ebenso bei der Umstellung auf das Jobcenter. Sprendlingen-Gensingen hat eine Partnerstadt in der Westukraine, Boratyn. Vielleicht ist darum auch das Verständnis für die Not größer. Ein Teil von Scherers Schützlingen kommt aus Mariupol. Weil dort alles zerstört ist, überlegen einige Familien einen Neustart in der schönen Weinbaugegend.

Was sich Scherer von der Bundesregierung wünscht? Weniger Bürokratie. Einfachere Verwaltungswege und wenige, aber verständliche Formulare. Das sorge in den Verwaltungen für unnötigen Arbeitsaufwand. Selbst er als Verwaltungsfachmann hat Probleme, einen Teil der Formulare zu verstehen, gerade das Jobcenter sei sehr formalistisch.

"Ich habe manchmal ratlos vor Papieren gesessen. Wie sollen Urkainer verstehen, was eine Überweisungsermächtigung ist, und was ist der Unterschied von Allgemeinstrom zu Strom"


Auch ich habe manchmal ratlos vor Papieren gesessen: Warum muss ich angeben, wie hoch die Gesamtfläche des Miethauses ist? Welche Rolle spielt das OG und rechts oder links? Wie sollen Ukrainer verstehen, was eine Über-
weisungsermächtigung ist, und was ist der Unter­schied von Allgemeinstrom zu Strom?

Dabei ging es in Düsseldorf für Victoria und Oxana gar nicht so schlecht los: Von Vodafone gab es schnell Telefonkarten für den Kontakt in die Heimat, die Stadtsparkasse richtete für die Flüchtlinge sehr zügig Konten ein. Alle bekamen die Genehmigung, eine Arbeit aufzunehmen, auch die Kinder! Doch es dauerte, bis der erste Abschlag von 300 Euro pro Erwachsenem überwiesen wurde. Und danach kam lange nichts. Auf meine Nachfrage bei der Stadt, wie die Familie ohne Geld auf Dauer zwei kleine Kinder ernähren sollte, kam der Hinweis per Mail, es gebe schließlich Ausgabe­stellen, wo sich die Flüchtlinge alles für den täglichen Bedarf kostenfrei abholen könnten.

Keine Windeln in Größe 6

Victoria und ihre Mutter machten sich dann auch jeden Tag auf den Weg, mit den Kindern in Buggys. Die und vieles andere hatten meine tollen Nachbarinnen gespendet. Vor Ort haben sie meist Stunden gewartet. Das fanden sie nicht so schlimm, aber es gab bei weitem nicht alles, was sie brauchten. Was es nie gab, waren Pampers in der Größe 6. Die gab es über Monate nicht. Also habe ich angefangen, Pampers zu kaufen. Das ist keine große Sache. Aber was denken sich eigentlich Leute in der Verwaltung? Sollten die Frauen zwei Pampers der Größe 3, die waren immer vorrätig, übereinanderlegen?

Und wann bekommen sie endlich Geld nach dem Asylbewerberleis­tungsgesetz? Mit Hilfe einer bekannten Politikerin bekamen wir am 23. Mai einen Termin im ­Sozialamt. Genau zwei Monate nach der Ankunft meiner Gäste bei mir in Düsseldorf. Unser angekündigter Ansprechpartner war nicht da. Dafür zwei junge Frauen, vielleicht Praktikantinnen. Sie sprachen auch kein Ukrainisch oder Russisch, zum Glück kam eine Bekannte zum Übersetzen mit. Nein, unsere Unterlagen lägen nicht vor. Keine Ahnung, wo die gelandet seien. Da war es, das tiefe Loch. Zwei Tage später war in der "Rheinischen Post" zu lesen: "4000 Geflüchtete warten in Düsseldorf auf Geld."

Wir stellten am 23. Mai zum ersten Mal per Mail den Antrag auf Bezahlung der Miete. Uns war langsam klar geworden, dass die Frauen länger bleiben würden, und es war ihnen unangenehm, dass ich immer noch die Miete zahlte. Daraufhin kam eine nette Mail von der Stadt, herzlichen Dank, man leite ­alles an die zuständigen Stellen weiter. Ins Loch oder wohin auch immer . . .

Während im Düsseldorfer Sozialamt bei Terminen nie ein Übersetzer dabei war, im Jobcenter manchmal, hat die Stadt Wuppertal gleich acht russisch sprechende Mitarbeiter


Während im Düsseldorfer Sozialamt bei den Terminen mit Victoria kein Übersetzer dabei war, im Job Center manchmal, gibt es beim Info Point einige, die ukrainisch sprechen. Die Stadt Wuppertal hat gleich acht solcher Mitarbeiter. Es geht also, wenn man will. Nicht immer ganz ohne Probleme, aber deutlich besser als in Düsseldorf: Miete für Wohnungen wurde in Wupper­tal schnell gezahlt, einige Ukrainerinnen ­bekamen 100 Euro bei der Anmeldung, andere 330 Euro. Auch in Bonn helfen Übersetzer bei Behördengesprächen, dort fanden über 2200 Flüchtlinge eine Unterkunft, ein Viertel von ihnen wohnt inzwischen in der eigenen ­Wohnung. Die Mieten würden gezahlt, so versichert Pressesprecher Marc Hoffmann, "in der Regel entstehen keine Wartezeiten". Und die "Prüfung erfolge unmittelbar nach der Antragstellung".

Unsinnige Anträge

Victoria und Oxana haben immer wieder Unterlagen beim Info-Point, dem Sozialamt, dem Jobcenter abgegeben. Stapelweise. Manchmal mussten sie dort noch weitere Formulare ausfüllen. Unsinnige Anträge auf Wohnberechtigungsscheine und als ­Wohnungssuchende etwa. Meine Wohnung ist keine Sozialwohnung, und eine Wohnung suchen die beiden auch nicht. Das haben sie auch gesagt. Aber wenn man von einem ­Behördenmitarbeiter aufgefordert wird, ­etwas auszufüllen, dann macht man das halt. ­Irgendwann hörten sie in der Flüchtlings­community den heißen Tipp: Man müsse alles per Post schicken. Also haben sie auch noch Geld für Briefmarken ausgegeben.
Vor ein paar Wochen passierte ein Wunder: Ich wurde von der Stadt gebeten, ein "Mietangebot" zu schicken, das in x-facher Ausfertigung schon seit Mai vorliegt. Danach kam eine freundliche Mail, man leite das an die zuständigen Leute weiter. Und vom Jobcenter kam immerhin die Befreiung für die Fernsehgebühren. Ich spare jetzt also alle drei Monate 55,08 Euro, die Miete von 602 Euro zahle ich weiter. Immerhin bin ich nicht die Einzige in Düsseldorf, die kein Geld bekommt. Ein Vermieter von zwei großen Wohnungen hat viereinhalb Monate auf seine Miete gewartet. Eine Flüchtlingsfrau hat sich einen Anwalt gesucht, der die Miete durchsetzen soll. Einer anderen ist die ewige Bittstellerei zu viel geworden, sie hat ihre kleine Tochter genommen und ist mit ihr zurück in den Krieg gefahren.

Der Sprecher des Düsseldorfer Jobcenters, Jürgen Henningfeld, antwortete im Gegensatz zu seinen Kollegen von der Stadt sofort und beantwortet auch meine Fragen. Er ver­sicherte mir, Miete für rund 9000 ukrainische Flüchtlinge in 3600 Familien, für die das Jobcenter seit Juni zuständig ist, würde "schnell und geräuschlos" bezahlt. Probleme sind ihm nicht bekannt. Bei Flüchtlingen, die vor dem 1. Juni gekommen sind, liege die Prüfung der Ansprüche bei der Stadt. Neuankömmlinge haben Glück, sie landen direkt beim Jobcenter. Ähnliches gilt offenbar auch für Stuttgart, wo 6800 Flüchtlinge aus der Ukraine ange-
kommen sind. Das Jobcenter gibt dort die Bearbeitungsfrist ganz konkret mit 17,8 Tagen an.

Was können wir noch tun? Bei der Stadt haben sie Victoria kürzlich gesagt, sie bräuchte noch einen umfangreichen Mietvertrag und ein Wohnungsübergabeprotokoll. Reichen wir ein. Dann war sie bei einem Verein, der in Düssel­dorf Flüchtlingen hilft. Nach Durchsicht der Unterlagen fand die dortige Beraterin einen möglichen Fehler: Victoria habe im Mai keinen Widerspruch eingelegt gegen den Bescheid über die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Denn in dem Bescheid stand nichts zur Mietübernahme. Darauf muss man erst einmal kommen, bei dem Gespräch war es gar nicht um die Miete gegangen. Ist es jetzt wirklich die Aufgabe von Flüchtlingen und Wohnung-zur-Ver­fügung-Stellenden wie mir, die deutsche Bürokratie bis in den letzten Winkel zu durchdringen? Vielmehr sollte es überall Bürgermeister wie in Sprendlingen-Gensingen geben.

Jobcenter reagiert

Victoria und Oxana machen sich Sorgen, weil ich immer noch ihre Miete bezahle. Dass Heizung und Strom immer teurer werden, haben sie mitbekommen. Sie lassen inzwischen einige Lampen und den Fernseher aus, um Strom zu sparen. Beide sind voller Hoffnung, dass der Krieg bald vorbei ist und sie zurück in die Ukraine können. Eine Zeitlang halten sie es für möglich, dass der Krieg schneller vorbei ist, als in Düsseldorf unser Fall bearbeitet wird: "Was ist, wenn wir zurückfahren und du immer noch kein Geld bekommen hast?"

Schließlich Oktober: Das Jobcenter hat zwei Monatsmieten bezahlt. Und eine Mitarbeiterin der Stadt signalisiert mündlich, man übernehme nun doch die ausstehenden fünf Monatsmieten seit Mai.

Nachtrag 2. November 2022: Die Stadt Düsseldorf hat die ausstehenden fünf Monatsmieten seit April überwiesen.

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Liebe Frau Schmidt,
Vielen Dank für diesen wahren Artikel! Die Bürokratie in Düsseldorf ist schrecklich, und ich spreche aus eigener Erfahrung. Es verunsichert und verängstigt die Frauen, die teilweise eh schon viele Kriegsängste im fremden Land zu verarbeiten haben. Die Familie die ich bereue, wollte nach der dritten unbezahlten Miete, und der Warnung des Vermieters, dass der Mietvertrag gekündigt wird, wieder zurück in die schwer umkämpfte Stadt Charkiw zurückkehren, und das mit 3 kleinen Kindern! Traurig, dass es in den Medien immer so dargestellt wird, als würde alles optimal und schnell laufen, das ist nicht so! Was mich beeindruckt hat waren meine Nachbarn, die Spenden, Kleidung, Schokolade und ostergeschenke für die Kinder vorbei gebracht haben, nachdem sie sahen, dass bei uns vor der Tür ein schlammverschmiertes Auto mit ukrainischen Kennzeichen parkt. Ich danke euch vom Herzen!

Das Bürokratiemonster, das die Stadtverwaltung Düsseldorf bei der Aufnahme von Flüchtlingen (nicht nur) aus der Ukraine aufgebaut hat, ist ein Chaos, das wohl kaum in der Bundesrepublik übertroffen werden kann. Man stümpert "frei schwebend" ohne Aktenzeichen und ohne ämterübergreifende Zusammenarbeit ( Ausländeramt/ Jobcenter/Sozialamt/Meldeamt/BZR etc.) vor sich hin und produziert unzutreffende Bescheide, denen ebensolche Änderungsbescheide folgen. Für Sprachunkundige völlig undurchschaubar. Einem verwaltungserfahrenen ehemaligem Kommunalbeamten streuben sich alle Nackenhaare, wenn man sich durch dieses WirrWarr durchzukämpfen hat, vergleichbar mit einem Rundgang zusammen mit Franz Kafka durch die Gänge der Arbeiterunfallversicherungsanstalt in Prag. Inzwischen sind über 2000 EURO Mietschulden aufgetürmt, obwohl das Wohnungsamt zugestimmt hat und das Ausländeramt auch eine Miete bezahlt hat. Was fehlte, war der Widerspruch gegen einen Leistungsbescheid des Sozialamtes (wie im Artikel beschrieben). Doch welcher Ukrainer traut sich so etwas? Ich möchte mal den Herrn Oberbürgermeister sehen, wenn er in Spanien oder Italien gegen einen Behördenbescheid Widerspruch einlegen soll. Ich habe den Eindruck, dass die Behörden dieser Landeshauptstadt, die wegen der KÖ auch "Klein Paris" genannt wird und alles dafür unternimmt, "bella figura" zu machen, den Ernst des Konfliktes der westlichen Demokratien mit Putins Russland nicht realisiert haben. Wer ein wenig Gespür für die Zeitgeschichte Deutschlands hat, der kann sich für solche Absurditäten der Bürokratie heutzutage in einem Land mit Führungsanspruch in Europa nur schämen.